11.08.2025
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Foto: privat

Othman Saeed war 15, als er aus dem Irak nach Deutschland floh. Dass er in eine Pflegefamilie kam, hat ihm das Ankommen in Deutschland enorm erleichtert. Mittlerweile ist er eingebürgert und hat jüngst seine Ausbildung bestanden, wie er in akzentfreiem Deutsch erzählt.

Es war ein Frei­tag Ende Mai, da habe ich rich­tig gefei­ert. An die­sem Tag habe ich Bescheid bekom­men, dass ich mei­ne Aus­bil­dung bestan­den habe – und am glei­chen Tag habe ich end­lich mei­nen deut­schen Per­so und Rei­se­pass in den Hän­den gehal­ten. Den Antrag auf Ein­bür­ge­rung hat­te ich schon im Okto­ber 2023 gestellt, aber erst jetzt, im Früh­jahr 2025, wur­de er bewil­ligt. An dem Abend bin ich mit Freun­den hier in Hil­des­heim ordent­lich fei­ern gegangen.

Von Bag­dad nach Hil­des­heim – das hät­te ich als Kind nicht für mög­lich gehalten.

Von Bag­dad nach Hil­des­heim – das hät­te ich als Kind nicht für mög­lich gehal­ten. Ich war nie außer­halb mei­ner Hei­mat­stadt Bag­dad gewe­sen, und dann war es gleich die ganz gro­ße Rei­se: 2015 bin ich los­ge­lau­fen und mit Bus­sen, Boot und zu Fuß über die Tür­kei und Grie­chen­land nach Deutsch­land gekom­men. Ich war damals 15, und ich war allei­ne. Es war die Idee mei­nes Vaters. Dass wir alle los­zie­hen, dafür hät­te das Geld nicht gereicht. Mei­ne Mut­ter war zu dem Zeit­punkt schon ver­schwun­den. Wir wis­sen nicht, was mit ihr pas­siert ist, aber wir befürch­ten das Schlimms­te. Als Sun­ni­ten in einem mehr­heit­lich schii­ti­schen Stadt­vier­tel in Bag­dad waren wir immer in Gefahr. Mei­ne Fami­lie wur­de stän­dig ver­folgt und hat Droh­brie­fe bekom­men. Meh­re­re mei­ner Onkel sind ermor­det worden.

Annli ist zu einer Mutter für mich geworden

Ich war nicht unglück­lich dar­über, zu gehen, denn mein Vater hat­te eine kur­ze Zünd­schnur. Er war von schii­ti­schen Mili­zen gefan­gen genom­men und gefol­tert wor­den und das hat ihn sehr ver­än­dert. Ich muss­te stän­dig mit Trit­ten oder Schlä­gen rech­nen. Erst in Deutsch­land kam das alles hoch: Die Ängs­te, die Schlä­ge mei­nes Vaters, die feh­len­de Hei­mat. Weil wir ver­folgt wur­den, sind wir bis zu mei­nem 15. Lebens­jahr neun Mal umge­zo­gen. So kön­nen kei­ne Freund­schaf­ten wach­sen und man kommt nie rich­tig an. Erst als ich hier in Sicher­heit war, habe ich erkannt, dass ich Hil­fe brau­che, um das zu ver­ar­bei­ten. Und habe eine The­ra­pie begon­nen. Dort wur­de fest­ge­stellt, dass ich Depres­sio­nen und eine post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­stö­rung habe.

Dass ich es geschafft habe, ver­dan­ke ich zu gro­ßen Tei­len mei­ner Pfle­ge­fa­mi­lie, zu der ich 2017 kam. Oder war es 2016? Mei­ne Mum weiß, wann das war. Ja, im August 2016. Am Anfang war es sehr schwer für mich, Ver­trau­en auf­zu­bau­en. Ich habe nie­man­dem geglaubt, nie­man­dem ver­traut. Deutsch konn­te ich auch nicht, aber wenigs­tens Eng­lisch. Ich habe dem Jugend­amt gesagt, dass ich ger­ne in einer Fami­lie leben wür­de, um die Spra­che und Kul­tur schnel­ler ler­nen zu kön­nen. Und dann kam ich zu Ann­li und Achim – ein gro­ßes Glück. Sie haben mich getrös­tet, wenn es mir schlecht ging, haben mich gefragt, wie sie mir hel­fen kön­nen und ech­tes Inter­es­se an mir gezeigt. Da habe ich lang­sam begon­nen, zu ver­trau­en. Ann­li ist wirk­lich zu einer Mut­ter für mich gewor­den. Vor ein paar Jah­ren bin ich aus­ge­zo­gen, aber ich lebe in der Nähe, das war mir wichtig.

Ich bin stolz darauf, dass ich aus meiner Komfortzone rausgekommen bin

Mich ver­bin­det nicht viel mit dem Irak, beson­ders seit auch zwei mei­ner Brü­der in Deutsch­land leben. Aber Deutsch­land als Hei­mat zu bezeich­nen, fällt mir trotz­dem schwer. Ein­fach wegen der poli­ti­schen Stim­mung und des Ras­sis­mus, den ich erle­be, vor allem im Netz. Mir wird immer wie­der gesagt oder gezeigt, dass ich nicht dazu gehö­re. Die Erfah­run­gen, die ich gemacht habe, moti­vie­ren mich, gegen so etwas anzu­kämp­fen – gegen Ras­sis­mus eben­so wie gegen fami­liä­re Gewalt. In einem Team mit ande­ren Leu­ten mache ich neben­bei als Frei­be­ruf­ler Awa­re­ness-Arbeit, sen­si­bi­li­sie­re also für ras­sis­ti­sche Mus­ter und Struk­tu­ren. Wir wer­den von ver­schie­de­nen Insti­tu­tio­nen ange­fragt; im Mai war ich zum Bei­spiel auf dem Kir­chen­tag in Han­no­ver und bei der Robert-Bosch-Stif­tung in Stuttgart.

Ich träu­me von einem klei­nen Häus­chen, am liebs­ten irgend­wo auf dem Dorf, wo ich mit mei­ner Freun­din gemein­sam woh­nen kann.

Ich bin stolz dar­auf, dass ich aus mei­ner Kom­fort­zo­ne raus­ge­kom­men bin und vie­les erreicht habe, was ich lan­ge für unmög­lich hielt. Zum Bei­spiel, dass ich mei­ne Aus­bil­dung zum Kauf­mann für Dia­log­mar­ke­ting bestan­den habe. Vor einem Jahr erschien mir das noch ganz weit weg. Ich habe zu der Zeit Anti­de­pres­si­va genom­men, und wenn ich die mal ein paar Tage abge­setzt habe, ging es mir direkt schlecht. Nun habe ich es geschafft. Ich arbei­te im Ver­trieb eines Soft­ware-Anbie­ters und will zukünf­tig mei­nen Fach­wirt machen. Aber erst­mal möch­te ich beruf­li­che Erfah­run­gen sammeln.

Ich träume von einem kleinen Häuschen auf dem Dorf

Dass ich mir ein Leben ohne Angst auf­bau­en konn­te, macht mich eben­falls stolz. Und dass ich eine tol­le Freun­din habe, mit der ich schon lan­ge zusam­men bin. Wir pla­nen, bald zu hei­ra­ten. Ich träu­me von einem klei­nen Häus­chen, am liebs­ten irgend­wo auf dem Dorf, wo ich mit mei­ner Freun­din gemein­sam woh­nen kann. Obwohl ich in der Groß­stadt auf­ge­wach­sen bin, mag ich die Atmo­sphä­re und die Ruhe auf dem Land. Und ich wün­sche mir, dass ich genug Geld ver­die­ne, um eine Fami­lie grün­den und ernäh­ren zu kön­nen. Ganz nor­ma­le Träu­me eben, ein ganz nor­ma­les Leben.

Ich habe ein klei­nes Ritu­al ent­wi­ckelt: Ich mache mir jeden Mor­gen und jeden Abend bewusst, dass ich allen Grund habe, dank­bar zu sein. Für das, was ich erreicht habe. Und für die tol­le Fami­lie, die ich gefun­den habe. Das nicht nur lei­se zu den­ken, son­dern auch laut aus­zu­spre­chen, ist zu einem fes­ten Bestand­teil mei­nes Tages geworden.

(er)