PRO ASYL kritisiert das Vorhaben der Europäischen Kommission und der deutschen Bundesregierung, bei Abschiebungen das bislang verpflichtende Verbindungskriterium für „sichere Drittstaaten“ streichen zu wollen. Das ist nicht weniger als der Versuch, sich aus dem Flüchtlingsschutz zurückzuziehen.
Die EU-Kommission hat heute angekündigt, das sogenannte Verbindungskriterium abschaffen zu wollen. Dieses bestimmt bisher im EU-Recht, dass es eine persönliche Verbindung zwischen Flüchtlingen und angeblich für sie „sicheren Drittstaaten“ geben muss, damit ihr Asylantrag in der EU als unzulässig abgelehnt und sie in das Land abgeschoben werden können. Zukünftig sollen die Mitgliedstaaten hiervon ganz absehen oder den Transit für ausreichend erachten können. Die Mitgliedstaaten müssten dann nur entsprechende Vereinbarungen mit den Drittstaaten treffen, die sicherstellen sollen, dass der Asylantrag der betroffenen Person dort bearbeitet wird. Auch die Bundesregierung befürwortet in ihrem Koalitionsvertrag eine Streichung des Verbindungselements.
„Wenn das verpflichtende Verbindungskriterium wie von der Kommission vorgeschlagen und mit Rückenwind der neuen deutschen Bundesregierung aus den europäischen Rechtstexten entfernt würde, könnten Asylsuchende künftig in Länder gebracht werden, in denen sie nie zuvor waren und zu denen sie keine Verbindung haben. Das ist pure Willkür!“, so Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. Diese Änderung würde es EU-Mitgliedstaaten ermöglichen, Modelle wie den berühmt-berüchtigten UK-Ruanda-Deal, bei dem Asylverfahren in Länder außerhalb Europas ausgelagert werden sollen, anzuwenden. „Solche Ansätze sind nicht nur rechtlich höchst fragwürdig, realistisch kaum umsetzbar und politisch unverantwortlich, sondern auch zutiefst unmenschlich. Das Europäische Parlament sollte die Streichung des verpflichtenden Verbindungskriteriums ablehnen!“
Die Kommission schlägt zudem vor, die aufschiebende Wirkung von Klagen gegen die Ablehnung des Asylantrags aufgrund der Anwendung des „sicheren Drittstaaten“-Konzepts zu streichen. Eine aufschiebende Wirkung der Klage verhindert eine Abschiebung, während das Klageverfahren noch läuft. „Das würde de facto eine weitere Entrechtung von Schutzsuchenden bedeuten, die sich dann noch schwerer gegen die Ablehnung ihres Asylantrags wehren könnten.“
Die standardmäßige Anwendung des Konzepts der „sicheren Drittstaaten“ wäre ein frontaler Angriff auf den Flüchtlingsschutz in Europa. PRO ASYL lehnt das Konzept von „sicheren Drittstaaten“ grundsätzlich ab und kritisiert die Ausweitung des Konzeptes durch die GEAS-Reform. Schon jetzt werden rund drei Viertel der weltweiten Flüchtlinge von armen oder einkommensschwachen Ländern – vor allem im globalen Süden – aufgenommen.
Hintergrund
Die neue Asylverfahrensverordnung sieht vor, dass die Regelung zu den sogenannten sicheren Drittstaaten bis zum Juni 2025 evaluiert und eventuell angepasst wird. Mehrere Mitgliedstaaten – und mit dem neuen Koalitionsvertrag nun auch die Bundesregierung – fordern, das sogenannte Verbindungskriterium zu streichen, um Asylsuchende auch in Länder abschieben zu können, in denen sie noch nie waren. Als ausreichend wird bislang eine Verbindung mit der asylsuchenden Person und dem Drittstaat gesehen, wenn sie sich einige Zeit in dem Land aufgehalten hat. Das Europäische Parlament muss der Änderung der Rechtstexte ebenso zustimmen wie die Mitgliedstaaten im Rat der EU.
Das Vorhaben, die Verantwortung für Asylverfahren an angeblich sichere Drittstaaten auszulagern, ist rechtlich höchst fragwürdig, realistisch kaum umsetzbar und politisch unverantwortlich. Solche Versuche führen zu viel Leid, sind extrem teuer, schaffen Abhängigkeiten von Drittstaaten und sind meistens zum Scheitern verurteilt. Das hat PRO ASYL bereits im vergangenen Jahr in einer Stellungnahme im Rahmen der Sachverständigenanhörungen des Bundesinnenministeriums (BMI) dargelegt. Eine deutliche Mehrheit der geladenen Expert*innen zeigte sich damals kritisch und lehnte die diskutierten Modelle zur Auslagerung von Asylverfahren ab. Dies zeigt auch der Abschlussbericht des Bundesinnenministeriums.