24.01.2020

PRO ASYL for­dert, das Pak­tie­ren mit Erdoğan auf dem Rücken Schutz­su­chen­der zu beenden!

Vor dem Tref­fen von Kanz­le­rin Mer­kel und dem tür­ki­schen Prä­si­den­ten Erdoğan for­dert PRO ASYL, das Pak­tie­ren mit der Tür­kei auf dem Rücken schutz­su­chen­der Men­schen zu been­den. Die Tür­kei ist kein Land, in dem Ver­folg­te Schutz fin­den und Rech­te von Flücht­lin­gen geach­tet wer­den. »Die Tür­kei ent­fernt sich wei­ter­hin in rasan­ter Geschwin­dig­keit von recht­staat­li­chen Stan­dards und demo­kra­ti­schen Wer­ten. Erdoğans Poli­tik ver­stößt gegen das Völ­ker­recht und ver­letzt Men­schen­rech­te von Flücht­lin­gen«, sagt Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL.

Die Befürch­tung von PRO ASYL, dass mit Deals wie der soge­nann­ten EU-Tür­kei-Erklä­rung die Flucht aus Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­ten mas­siv erschwert wird, hat sich bestätigt:

  1. Die Flucht aus Haupt­her­kunfts­län­dern wie Syri­en und Afgha­ni­stan wird sys­te­ma­tisch geblockt. An der tür­kisch-ira­ni­schen Gren­ze ent­steht eine 144 Kilo­me­ter lan­ge Grenz­mau­er. Die tür­kisch-syri­sche Gren­ze ist bereits seit 2015 nur in Aus­nah­me­fäl­len pas­sier­bar; auch ent­lang die­ser Gren­ze steht eine Mau­er. Immer wie­der wird von Schüs­sen aus der Tür­kei auf Schutz­su­chen­de berichtet.

Aktu­ell sind im tür­ki­schen Grenz­ge­biet Haft­zo­nen geplant, in denen Schutz­su­chen­de bis zum Ende ihres Ver­fah­rens fest­ge­hal­ten wer­den sol­len. Wie die­se Ver­fah­ren aus­se­hen sol­len, ist unklar, wie lan­ge die Men­schen dort längs­tens fest­ge­hal­ten wer­den dür­fen, wel­che Rech­te sie haben, eben­falls. Es droht das de fac­to Ver­schwin­den von Flücht­lin­gen in die­sen Haft­zo­nen an der Gren­ze auf Jah­re – ein men­schen­recht­li­ches Niemandsland.

2. Die Tür­kei schreckt nicht davor zurück, Men­schen in Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­te wie Syri­en und Afgha­ni­stan abzu­schie­ben und hat dies bereits viel­fach getan. Dies ist eine Ver­let­zung des völ­ker­recht­li­chen Abschie­bungs­ver­bots (Refou­le­ment). Nach dem krie­ge­ri­schen Ein­marsch in Nord­sy­ri­en unter Bruch des Völ­ker­rechts und der Ver­trei­bung hun­dert­tau­sen­der dort leben­der Men­schen will die Tür­kei zudem dort syri­sche Geflüch­te­te zwangs­an­sie­deln bzw. hat bereits damit begonnen.

3. Mit teils bru­ta­ler Gewalt wird die Flucht aus der Tür­kei Rich­tung Euro­pa über Land- und  See­gren­ze verhindert.

Zusätz­lich ist die Tür­kei selbst ein Ver­fol­ger­staat. Erdoğans repres­si­ver Staats­ap­pa­rat führt zu Flucht­be­we­gun­gen aus der Tür­kei her­aus. Das Land gehört mitt­ler­wei­le zu den Top 3 Haupt­her­kunfts­län­dern bei Asy­l­erst­an­trä­gen in Deutsch­land: 2019 stell­ten rund 10.800 tür­ki­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge erst­mals einen Asyl­an­trag. Die Schutz­quo­te für inhalt­lich geprüf­te Anträ­ge tür­ki­scher Asyl­su­chen­der beträgt rund 53 Pro­zent. Bei den Aner­ken­nun­gen wur­de größ­ten­teils Asyl nach 16a Grund­ge­setz (770) und Schutz nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (4.871) gewährt. Eine sol­che Aner­ken­nungs­quo­te spricht nicht nur Bän­de über die Ver­fol­gungs­si­tua­ti­on für die Betrof­fe­nen in der Tür­kei, son­dern auch über die Ein­hal­tung von Recht und Geset­zen inner­halb des Landes.

Dass die EU und die Bun­des­re­gie­rung vor die­sem Hin­ter­grund Erdoğan wei­ter als Part­ner hofie­ren, ist nicht hinnehmbar.

Hin­ter­grund

Die Tür­kei ist kein „siche­rer Dritt­staat“ für Flüchtlinge

Mit der EU-Tür­kei Erklä­rung vom März 2016 ist die Lage von Flücht­lin­gen in der Tür­kei in den Fokus gerückt. Für sie soll die Tür­kei angeb­lich ein »siche­rer Dritt­staat« sein, obwohl die Tür­kei weder die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on ohne Ein­schrän­kung rati­fi­ziert hat noch das Non-Refou­le­ment-Gebot ein­hält (sie­he unten). Damit sind die Vor­aus­set­zun­gen der EU-Asyl­ver­fah­rens­richt­li­nie für die Anwen­dung des Kon­zep­tes des »siche­ren Dritt­staats« nicht erfüllt. Eine Beur­tei­lung der Lage von Flücht­lin­gen wird zudem durch die schlech­te Men­schen­rechts­la­ge in der Tür­kei erschwert, da für Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen öffent­li­che Kri­tik oder das Anpran­gern von Miss­stän­den nicht mehr mög­lich ist.

Ver­let­zun­gen des Grund­sat­zes der Nicht-Zurückweisung 

Der Grund­satz der Nicht-Zurück­wei­sung wird durch die Tür­kei sys­te­ma­tisch ver­letzt. Gemäß dem Not­stands­de­kret 676 vom Okto­ber 2016, das 2018 größ­ten Teils ins ordent­li­che Recht über­nom­men wur­de, kön­nen Schutz­su­chen­de aus Grün­den der öffent­li­chen Ord­nung, öffent­li­chen Sicher­heit oder Ter­ro­ris­mus zu jeder Zeit wäh­rend und nach dem Ver­fah­ren abge­scho­ben wer­den. Die Zuord­nung ist will­kür­lich: Bereits das Arbei­ten ohne Arbeits­er­laub­nis wird als Gefahr der natio­na­len Sicher­heit bewer­tet, Klein­kin­der und alte Men­schen wer­den als Mit­glie­der von Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on ein­ge­stuft. Sie wer­den mit einem Sicher­heits­code belegt, erhal­ten eine Rück­kehr­an­ord­nung, wer­den inhaf­tiert und sogar abgeschoben.

Für Istan­bul wur­de vom Gou­ver­neur im Juli 2019 ange­kün­digt, dass nicht in Istan­bul regis­trier­te Syrer bis zum 20. August 2019 – in der Fol­ge mehr­fach ver­län­gert – Zeit haben, die Stadt zu ver­las­sen. Ansons­ten wür­den sie in die Regi­on ihrer Regis­trie­rung oder sogar nach Syri­en abge­scho­ben wer­den. Laut über­ein­stim­men­den Medi­en­be­rich­ten fan­den sol­che Abschie­bun­gen statt, was auch von der Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Human Rights Watch durch eige­ne Recher­chen bestä­tigt wur­de. Berich­te der tür­ki­schen Regie­rung, wonach nur Straf­tä­ter nach Syri­en abge­scho­ben wer­den, oder Aus­rei­sen auf Basis frei­en Wil­lens erfol­gen, wer­den durch zahl­rei­chen NGO-Berich­te und jour­na­lis­ti­sche Recher­chen wiederlegt.

Die Anzahl der Abschie­bun­gen in die Kriegs­re­gi­on Idlib wird von meh­re­ren Hun­der­ten bis zu über Tau­send geschätzt. Die­se Abschie­bun­gen ver­sto­ßen gegen das Non-Refou­le­ment-Gebot. Auch wenn die Inten­si­tät der Kon­trol­len in den Fol­ge­mo­na­ten abge­nom­men hat, ist das Gefühl der Angst geblie­ben. Vie­le Flücht­lin­ge mei­den seit­her die Straße.

Alle Presse­mitteilungen