26.07.2017

PRO ASYL: Der EuGH bekennt sich zum Sta­tus quo des funk­ti­ons­un­tüch­ti­gen Dublin-Systems

Der Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on (EuGH) hat­te heu­te über eine in Tei­len his­to­ri­sche, in ande­ren Tei­len höchst aktu­el­le Fra­ge zu ent­schei­den. Gerichts­hö­fe Slo­we­ni­ens und Öster­reichs hat­ten die Fra­ge vor­ge­legt, ob die Ein­rei­se von Flücht­lin­gen, denen die kroa­ti­schen Behör­den mit der Wei­ter­be­för­de­rung per Bus bis an die slo­we­ni­sche Gren­ze gehol­fen hat­te, als legal im Sin­ne der Dub­lin-III-Ver­ord­nung anzu­se­hen sei. Wei­ter stand zur Debat­te, ob die Hal­tung der kroa­ti­schen Behör­den der Ertei­lung eines Visums gleich­ge­kom­men sei. Slo­we­ni­en und Öster­reich waren der Ansicht, dass die Ein­rei­se nach Kroa­ti­en ille­gal gewe­sen sei, sodass kroa­ti­sche Behör­den die Anträ­ge auf inter­na­tio­na­len Schutz hät­ten prü­fen müssten.

Der EuGH folgt mit sei­nem heu­ti­gen Urteil weit­ge­hend der Rechts­auf­fas­sung Öster­reichs und Slo­we­ni­ens. Eines der zen­tra­len Argu­men­te: Wür­de man die Ein­rei­se, die ein Mit­glied­staat unter Abwei­chung der grund­sätz­li­chen Ein­rei­se­vor­aus­set­zung aus huma­ni­tä­ren Grün­den gestat­tet, nicht als ille­ga­les Über­schrei­ten der Gren­ze anse­hen, wür­de dies bedeu­ten, dass die­ser Mit­glied­staat nicht für die Prü­fung der Anträ­ge auf Schutz zustän­dig wäre. Dies wäre mit der Dub­lin-III-Ver­ord­nung unver­ein­bar. Staa­ten, die aus huma­ni­tä­ren Grün­den die Ein­rei­se gestat­te­ten, könn­ten grund­sätz­lich nicht ihrer Zustän­dig­keit ent­ho­ben wer­den, so der EuGH.

Die juris­ti­schen Argu­men­te sind eher dünn. Sie wei­chen auch in wesent­li­chen Tei­len vom Antrag der Gene­ral­an­wäl­tin Sharps­ton ab, die für die his­to­risch ein­ma­li­ge Aus­nah­me­si­tua­ti­on der Jah­re 2015/16 juris­tisch gut begrün­de­te Argu­men­te für einen Über­gang der Zustän­dig­keit vor­ge­tra­gen hatte.

Der EuGH ver­tei­digt in sei­ner Aus­le­gung den »Besitz­stand« der Staa­ten im Zen­trum der EU – zulas­ten der Flücht­lin­ge und zulas­ten der Staa­ten an den EU-Außen­gren­zen. Letz­te­re haben über vie­le Jah­re hin­weg die Haupt­last des Dub­lin-Sys­tems getra­gen – ange­sichts des Man­gels an euro­päi­scher Soli­da­ri­tät bis an die Gren­zen ihrer Mög­lich­kei­ten und dar­über hin­aus. Der EuGH argu­men­tiert wenig über­zeu­gend, dass es nicht aus­schlag­ge­bend sei, dass das Über­schrei­ten der Gren­ze in einer Situa­ti­on erfolgt sei, in der es außer­ge­wöhn­lich hohe Ankunfts­zah­len Schutz­su­chen­der gege­ben habe.

Kein wirk­li­cher Aus­gleich ist es, dass der Gerichts­hof, der dem maro­den Dub­lin-Sys­tem sei­nen Segen gege­ben hat, dar­auf hin­weist, dass die Auf­nah­me von Asyl­su­chen­den ja dadurch erleich­tert wer­den kön­ne, dass die ande­ren EU-Staa­ten – ein­sei­tig oder abge­stimmt – »im Geist der Soli­da­ri­tät« von der Mög­lich­keit Gebrauch machen könn­ten, auch dann Schutz­er­su­che zu prü­fen, wenn sie for­mal nicht zustän­dig sind. Genau dies klappt ja seit lan­gem eben­so schlecht wie es eine euro­päi­sche Soli­da­ri­tät bei der Auf­nah­me und Umver­tei­lung von Flücht­lin­gen aus den Rand­staa­ten der EU gibt. Und wei­te­re Ver­schlech­te­run­gen ste­hen an: Mit dem Weg­fall des Selbst­ein­tritts­rechts und der Zustän­dig­keits­re­ge­lung nach Frist­ab­lauf durch die geplan­te Dub­lin-IV-Reform wer­den gera­de die Instru­men­te, die eine Soli­da­ri­tät und huma­ni­tä­re Auf­nah­me ermög­li­chen, gestri­chen, was das Urteil des EuGH für die Zukunft ad absur­dum führt.Der Gerichts­hof geht mit sei­nem Urteil des­halb an der aktu­el­len Rea­li­tät der Kri­se der euro­päi­schen Flücht­lings­so­li­da­ri­tät eben­so vor­bei wie an der his­to­ri­schen Son­der­si­tua­ti­on der Jah­re 2015/16.

Staa­ten wie Ita­li­en und Grie­chen­land sehen sich wei­ter allein­ge­las­sen. Das Gericht hat sie aufs Bet­teln um die huma­ni­tä­re Ein­sicht ande­rer EU-Staa­ten ver­wie­sen. Der Gerichts­hof hät­te statt­des­sen die Tür öff­nen kön­nen für eine zukunfts­träch­ti­ge Inter­pre­ta­ti­on euro­päi­scher Soli­da­ri­tät und Zustän­dig­keits­re­ge­lun­gen, wie ihn die Gene­ral­an­wäl­tin vor­ge­schla­gen hatte.

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