18.02.2014

 

Der 43-jäh­ri­ge Ahmed J. aus Liby­en starb in der Nacht zum 14. Febru­ar 2014 in einer Unter­kunft im säch­si­schen Plau­en. Ein Wach­schutz­mit­ar­bei­ter hat­te zuvor fast zwei Stun­den lang kei­ne Hil­fe geholt.

Ahmed J., der mit sei­ner Fami­lie in einer gro­ßen Flücht­lings­un­ter­kunft in Plau­en leb­te, hat­te star­ke Schmer­zen ver­spürt. Nach Anga­ben eines Spre­chers der säch­si­schen Poli­zei soll der dienst­ha­ben­de Wach­mann den sich vor Schmer­zen krüm­men­den Flücht­ling in sei­nem Zim­mer lie­gen gese­hen haben. Mit­be­woh­ner hat­ten den Wach­mann offen­bar mehr­fach auf­ge­for­dert, einen Not­arzt zu rufen. Als sie hier­bei auf den Wach­mann ein­schrien, soll die­ser sich in der Pfor­te ver­bar­ri­ka­diert haben.

Als die um Ahmed J.s Leben besorg­ten und ver­zwei­fel­ten Flücht­lin­ge das Fens­ter der Pfor­te auf­he­bel­ten, rief der Wach­mann offen­bar die Poli­zei. Wäh­rend­des­sen hat­ten Flücht­lin­ge selbst einen Not­ruf abge­setzt. Der her­bei­ge­ru­fe­ne Not­arzt konn­te jedoch nur Ahmed J.s Tod fest­stel­len. Gegen den Wach­mann ermit­telt die Poli­zei nun wegen unter­las­se­ner Hil­fe­leis­tung. Der Asyl­su­chen­de hin­ter­lässt eine hoch­schwan­ge­re Frau, die die­ses Dra­ma mit­er­le­ben muss­te, und einen 10 Mona­te alten Sohn. Erst im Dezem­ber 2013  war die Fami­lie nach Deutsch­land geflüch­tet. Weni­ge Tage vor sei­nem Tod war Ahmed J. wegen aku­ter Schmer­zen in einem Kran­ken­haus unter­sucht und spä­ter wie­der ent­las­sen wor­den. Ört­li­che Flücht­lings­un­ter­stüt­zer und ‑Unter­stüt­ze­rin­nen haben in Plau­en mit einer Mahn­wa­che Ahmed J.s gedacht und for­dern die Auf­klä­rung der Todesumstände.

Dass Not­ärz­te nicht geru­fen wer­den, wenn Asyl­su­chen­de – ins­be­son­de­re nachts – über mas­si­ve Beschwer­den kla­gen, ist nicht nur in Plau­en ein Pro­blem. Die Hand­lungs­ver­ant­wor­tung liegt dann bei Wach­diens­ten oder Haus­meis­tern. Im Fall Plau­en soll nachts ein ein­zi­ger Wach­mann zustän­dig für eine Unter­kunft mit 290 Bewoh­ne­rIn­nen sein. Er ist für die Ent­schei­dung, ob ein Ret­tungs­dienst geru­fen wird, sicher nicht qualifiziert.

Selbst auf der Basis des in Sachen medi­zi­ni­sche Behand­lung restrik­ti­ven Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes ist die ärzt­li­che Not­fall- und Akut­ver­sor­gung in jedem Fall zwin­gend zu gewähr­leis­ten. Es stel­len sich nun Fragen:

-  Ist dem Wach­schutz die Auf­ga­be, über das Vor­lie­gen eines medi­zi­ni­schen Not­falls zu ent­schei­den, über­tra­gen worden?

-  Auf der Basis wel­cher Wei­sung und mit wel­chem Wort­laut ist dies geschehen?

Vor dem Hin­ter­grund der Ant­wor­ten wird die Staats­an­walt­schaft eine mög­li­che Mit­ver­ant­wor­tung der Lei­tung des Wach­schut­zes, der für die Unter­brin­gung zustän­di­gen Kreis­be­hör­de oder auch des auf­sichts­füh­ren­den Minis­te­ri­ums zu prü­fen haben.

Nach dem inzwi­schen vor­lie­gen­den Ergeb­nis der Obduk­ti­on (Lun­gen­em­bo­lie) wird sich mög­li­cher­wei­se auch die Fra­ge stel­len, ob es eine Ver­ant­wor­tung der vor­be­han­deln­den Ärz­te gibt, die Ahmed J. weni­ge Tage zuvor aus dem Kran­ken­haus ent­las­sen hatten.

Erst 2011 wäre in einer Unter­kunft im baye­ri­schen Zirn­dorf ein Roma­jun­ge um ein Haar an einer Infek­ti­on gestor­ben. Die Eltern hat­ten ver­geb­lich um einen Not­arzt gefleht. Sowohl das Sicher­heits­per­so­nal als auch eine Mit­ar­bei­te­rin der Ver­wal­tung hat­ten die Bit­ten der Eltern abge­wie­sen. Die Staats­an­walt­schaft erhob Ankla­ge, im Früh­jahr soll der Pro­zess stattfinden.

Dass inkom­pe­ten­tes Per­so­nal de fac­to mit der Ent­schei­dung über Behand­lungs-not­wen­dig­kei­ten befasst wird, gibt es in ande­ren Fall­kon­stel­la­tio­nen auch. Para­graf 4 Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz beschränkt die ärzt­li­che Behand­lung für Asyl­su­chen­de auf die Fäl­le aku­ter Erkran­kun­gen und Schmerz­zu­stän­de. Kran­ken­schei­ne wer­den dem-ent­spre­chend oft erst aus­ge­stellt, wenn Flücht­lin­ge auf­grund einer aku­ten und schmerz­haf­ten Erkran­kung beim Sozi­al­amt vor­spre­chen. Vie­le Ämter sind der Mei­nung, nur so kön­ne geprüft wer­den, ob ein Fall des § 4 vor­liegt. Auch dabei bleibt offen, nach wel­chen Kri­te­ri­en Sach­be­ar­bei­ter die­se Not­wen­dig­keit prü­fen. Ist die­se büro­kra­ti­sche Hür­de bei der Ver­ga­be von Kran­ken­schei­nen über­wun­den, kann es auch noch dazu kom­men, dass die Behand­lungs­be­dürf­tig­keit vor­ab durch den Amts­arzt geprüft wird. All dies führt zu Ver­zö­ge­run­gen bei not­wen­di­gen Krank­be­hand­lun­gen. Das hat zwei Fol­gen: Die Zahl der Not­arzt­ein­sät­ze, Ret­tungs­fahr­ten und Not­auf­nah­men steigt. Krank­hei­ten kön­nen sich in der Zwi­schen­zeit ver­schlim­mern, sodass Betrof­fe­nen ver­meid­ba­re Schmer­zen ober dau­er­haf­te Gesund­heits­schä­den in Kauf neh­men müssen.

PRO ASYL und der Säch­si­sche Flücht­lings­rat stel­len fest: Das Asyl­be­wer­ber-leis­tungs­ge­setz ist nicht refor­mier­bar. Mit sei­nen Mecha­nis­men der Aus­gren­zung schafft es auch gesund­heit­li­che Risi­ken. Die nach einer Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs-gerich­tes zur Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des Leis­tungs­ni­veaus ohne­hin anste­hen­de Novel­lie­rung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes kann genutzt wer­den – zu sei­ner ersatz­lo­sen Abschaffung.

Update: Im Absatz 2 haben wir eine Kor­rek­tur vor­ge­nom­men. Ursprüng­lich stand dort „Mit­ar­bei­ter“ statt „Mit­be­woh­ner“. Wir bit­ten den Feh­ler zu entschuldigen. 

 Fall Leo­nar­do: Mit­ar­bei­ter von Asyl­be­wer­ber­un­ter­kunft zu Geld­stra­fen ver­ur­teilt (15.04.14)

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