09.10.2017

PRO ASYL appel­liert an Grü­ne und FDP, die­sen recht­staat­wid­ri­gen Plä­nen entgegenzutreten

Am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de haben sich die Uni­ons­par­tei­en auf wei­te­re Ver­schär­fun­gen des Asyl­rechts in Deutsch­land und Euro­pa geei­nigt. »Das ist ein men­schen­un­wür­di­ges Gescha­che­re bei dem gesichts­wah­rend auf Kos­ten der Schutz­be­dürf­ti­gen eine men­schen­rechts­wid­ri­ge Lösung der Öffent­lich­keit prä­sen­tiert wird,« sag­te Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL. Offen­bar will die Uni­on auch Hand anle­gen an den Zugang zum indi­vi­du­el­len Asyl­recht an Euro­pas Grenzen.

Auf schar­fe Kri­tik stößt bei PRO ASYL die wie auch immer genann­te »Ober­gren­ze«. Die Uni­on füh­re eine von der Rea­li­tät los­ge­lös­te Phan­tom­dis­kus­si­on, so als hät­te es die zwei Jah­re Abschot­tungs­po­li­tik und den Flücht­lings­deal mit der Tür­kei nicht gege­ben. »Euro­pas Gren­zen sind dicht gemacht wor­den«, kri­ti­siert Gün­ter Burk­hardt. Eine Ober­gren­ze sei ein Ver­stoß gegen Arti­kel 3 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on. »Men­schen­rech­te ken­nen kei­ne Ober­gren­ze, nie­mand darf in eine Situa­ti­on in der Fol­ter oder unmensch­li­che Behand­lung droht, zurück­ge­wie­sen werden.«

Auch das Recht als Fami­lie zusam­men­zu­le­ben ist mit einer Ober­gren­ze nicht ver­ein­bar. Die Fest­le­gung auf eine Gren­ze ist rei­ne Will­kür und damit grund­ge­setz­wid­rig. Das Grund­ge­setz gilt auch für Flücht­lings­fa­mi­li­en, nicht nur für Deut­sche. Eine Aus­wahl von weni­gen nach einer will­kür­lich fest­ge­leg­ten Zahl ist nicht mit dem Grund­ge­setz vereinbar.

  • Was von der Öffent­lich­keit kaum wahr­ge­nom­men wird: Laut Kom­pro­miss der Uni­on soll das soge­nann­te Dub­lin-Sys­tem und das Gemein­sa­me euro­päi­sche Asyl­sys­tem (GEAS) refor­miert wer­den. Unter dem neu­tra­len Begriff »Reform« steckt ein Angriff auf den Zugang zum indi­vi­du­el­len Asyl­recht nach euro­päi­schem Recht. Denn die bereits in den Ver­hand­lun­gen befind­li­chen Reform­vor­schlä­ge sehen vor, dass der Zugang zum Asyl­ver­fah­ren und einer recht­staat­li­chen Prü­fung der Asyl­grün­de immer wei­ter erschwert wird. Mit Zuläs­sig­keits­ver­fah­ren an den EU-Außen­gren­zen soll ein Grenz­ver­fah­ren zum Stan­dard wer­den, das als Schnell­ver­fah­ren recht­staat­lich mehr als frag­wür­dig ist. Ver­schärf­te Dritt­staa­ten­re­ge­lun­gen füh­ren dazu, dass pri­mär nur noch nach dem Rei­se­weg der Flücht­lin­ge und nicht nach den Flucht­grün­den gefragt wird. Wie das Recht auf Bera­tung, anwalt­li­che Ver­tre­tung, eine recht­staat­li­che Anhö­rung, das Recht auf effek­ti­ven Rechts­schutz unter die­sen Bedin­gun­gen noch auf­recht erhal­ten blei­ben soll, ist mehr als frag­lich. Das indi­vi­du­el­le Asyl­recht, das mit einem Recht auf ein rechts­staat­li­ches Ver­fah­ren ein­her­geht, droht an den Außen­gren­zen Euro­pas beer­digt zu werden.
  • Die Uni­ons­par­tei­en wol­len zudem die Zusam­men­ar­beit mit Her­kunfts- und Tran­sit­län­dern nach dem Vor­bild des EU-Tür­kei-Abkom­mens Wei­ter­hin soll es eine EU-wei­te gemein­sa­me Durch­füh­rung von Asyl­ver­fah­ren an den Außen­gren­zen sowie gemein­sa­me Rück­füh­run­gen von dort geben. Damit wird die Poli­tik der Aus­la­ge­rung des Flücht­lings­schut­zes in die Her­kunfts- und Kri­sen­re­gio­nen und ein unso­li­da­ri­scher Umgang mit den EU-Staa­ten an den EU-Außen­gren­zen wei­ter ver­folgt. Die Deals mit Staa­ten, wie etwa Liby­en, die die Men­sch­rech­te von Flücht­lin­gen mit Füßen tre­ten, darf kei­ne Blau­pau­se für die künf­ti­ge Asyl­po­li­tik der EU sein. Die Euro­päi­sche Uni­on wür­de sich ansons­ten voll­stän­dig ihrer Ver­ant­wor­tung für den inter­na­tio­na­len Flücht­lings­schutz ent­zie­hen und zudem Bei­hil­fe zu schwer­wie­gen­den Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen leisten.
  • Ent­schei­dungs- und Rück­füh­rungs­zen­tren für Neu­an­kömm­lin­ge nach dem baye­ri­schen Modell. Neu ankom­men­de Asyl­be­wer­ber sol­len in spe­zi­el­len Auf­ent­halts­zen­tren, soge­nann­ten »Ent­schei­dungs- und Rück­füh­rungs­zen­tren« blei­ben, bis über ihre Ver­fah­ren ent­schie­den ist. Die CSU-Des­in­te­gra­ti­ons- und Abschre­ckungs­po­li­tik soll deutsch­land­weit zum Modell wer­den.  Die­se Poli­tik der Kaser­nie­rung von Schutz­su­chen­den hat mit einer men­schen­wür­di­gen Auf­nah­me von Flücht­lin­gen nichts zu tun.

Die  jah­re­lan­ge Ver­wah­rung von Asyl­be­wer­bern in Sam­mel­la­gern dient allein der Abschre­ckung. Sie wird sich fatal auf die Inte­gra­ti­on der Betrof­fe­nen aus­wir­ken, da sie in sozia­ler Iso­la­ti­on gehal­ten wer­den und eine Inte­gra­ti­on in den Arbeits­markt und ande­re gesell­schaft­li­che Berei­che ver­hin­dert. Es gibt dort kei­ne sozia­len Kon­tak­te für Schutz­su­chen­de, kei­nen Zugang zu Arbeit und Schu­le, kei­ne Berück­sich­ti­gung des Kindeswohls.

Iso­liert, ohne effek­ti­ven Zugang zu Bera­tungs­struk­tu­ren und Anwält*innen kann es kein fai­res Asyl­ver­fah­ren geben. Damit ste­hen Schutz­su­chen­de sowohl im Asyl­ver­fah­ren als auch bei dro­hen­der Abschie­bung ohne Hil­fe­stel­lung da. Eine Beglei­tung bei Anhö­run­gen kann so kaum statt­fin­den, der Zugang zu Rechts­bei­stand wird erheb­lich erschwert. Peti­tio­nen oder die Inan­spruch­nah­me der Här­te­fall­kom­mis­si­on sind so schwer möglich.

PRO ASYL erin­nert dar­an, dass das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt für das soge­nann­te Flug­ha­fen­ver­fah­ren am 14. Mai 1996 (2 BvR 1516/93) Min­dest­stan­dards eines fai­ren rechts­staat­li­chen Ver­fah­rens auch im Hin­blick auf die Rechts­schutz­ga­ran­tie und Wah­rung recht­li­chen Gehörs defi­niert hat. Es ist mehr als frag­lich, ob die vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt defi­nier­ten Min­dest­stan­dards in sol­chen Iso­la­ti­ons­zen­tren gewähr­leis­tet sein werden.

Abschie­bun­gen aus den Lagern her­aus wer­den in gro­ßem Stil nur mög­lich, wenn man den effek­ti­ven Rechts­schutz in den abge­le­ge­nen Ein­rich­tun­gen leer­lau­fen lässt, weil Rechts­an­wäl­tIn­nen dort nicht alle ver­tre­ten kön­nen. Die Ent­schei­dungs­dau­ern bei den Ver­wal­tungs­ge­rich­ten wer­den auf abseh­ba­re Zeit so lang sein, dass im Fall der Ein­le­gung von Rechts­mit­teln  Betrof­fe­ne und vie­le Mona­te, gar Jah­re hin­aus inter­niert wer­den. Hin­zu kommt die Zeit der eigent­li­chen Abschie­bungs­vor­be­rei­tung. Durch Dau­er­inter­nie­rung und Sach­leis­tungs­ge­wäh­rung in Ver­bin­dung mit einer gro­ßen Zahl von Unter­ge­brach­ten ist Ver­elen­dung und Stig­ma­ti­sie­rung vorprogrammiert.

  • Der Fami­li­en­nach­zug von sub­si­di­är Geschütz­ten soll wei­ter aus­ge­setzt blei­ben. Was als befris­te­te Maß­nah­me durch das Asyl­pa­ket II 2016 beschlos­sen wur­de, soll nun als Dau­er­re­ge­lung ein­ge­führt wer­den. Für die Betrof­fe­nen bedeu­tet dies eine zwei­jäh­ri­ge War­te­zeit, in der sie von ihren Ehe­gat­ten, Eltern oder Kin­dern getrennt leben müs­sen. Dies stellt eine ekla­tan­te Miss­ach­tung des Schut­zes der Fami­lie dar. Nicht nur Art. 6 GG, son­dern auch die EMRK und EU-Grund­rech­te-Char­ta garan­tie­ren den Schutz der Fami­lie und des Kin­des­wohls. Eine Aus­set­zung oder mehr­jäh­ri­ge War­te­zeit ist bei sub­si­di­är Geschütz­ten, die z.B. wegen dro­hen­der Fol­ter im Her­kunfts­land einen Schutz­sta­tus haben, völ­lig unver­hält­nis­mä­ßig, da die Ange­hö­ri­gen in der Regel eben­falls im Her­kunfts­land gefähr­det sind oder pre­kär in Tran­sit­län­dern leben. Die Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs ver­hin­dert zudem, dass sich die Betrof­fe­nen gut inte­grie­ren kön­nen. Wer um das Leben sei­ner engs­ten Ange­hö­ri­gen ban­gen muss, kann sich auf die Her­aus­for­de­run­gen, die ein Neu­an­fang in frem­der Umge­bung, bedeu­tet, nur schwer einlassen.
  • Die Ein­stu­fung von Maghreb-Staa­ten und ande­ren Staa­ten als siche­re Her­kunfts­län­der. Es soll die Lis­te der siche­ren Her­kunfts­län­der erwei­tert wer­den – min­des­tens um Marok­ko, Alge­ri­en und Tune­si­en. Die­ses Pro­jekt, das bereits von der bis­he­ri­gen Gro­ßen Koali­ti­on beschlos­sen und im Bun­des­rat ver­hin­dert wur­de, bleibt ein ver­fas­sungs­wid­ri­ges Vor­ha­ben, das mit dem Asyl­recht unver­ein­bar ist. Denn in den genann­ten Län­dern sind Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen nach wie vor an der Tages­ord­nung. Bereits 2016 hat PRO ASYL gemein­sam mit Amnes­ty Inter­na­tio­nal in einem offe­nen Brief kri­tisch hier­zu Stel­lung genom­men. Auch die jüngs­ten Aner­ken­nungs­quo­ten des Bun­des­am­tes ste­hen der Ein­stu­fung der Län­der als siche­re Her­kunfts­län­der fun­da­men­tal ent­ge­gen. Die berei­nig­ten Schutz­quo­ten bei den Maghreb-Län­dern lie­gen inzwi­schen bei 5,5% (Tune­si­en) bzw. 7,2% (Alge­ri­en) und 11,9 % (Marok­ko).

Ange­sichts der gerin­gen Zugangs­zah­len aus den Maghreb-Län­dern wird um die For­de­rung nach ihrer Ein­stu­fung als »sicher« eine Schein­de­bat­te geführt. Viel­mehr ver­sucht die Uni­on, einen Fuß in die Tür zu bekom­men, für wei­te­re frei­hän­di­ge »Ernen­nun­gen« siche­rer Her­kunfts­län­der nach jeweils aktu­el­lem Bedarf und poli­ti­schem Kal­kül und abseits jeder ernst­haf­ten Prü­fung der ver­fas­sungs­recht­li­chen Voraussetzungen.

  • Die Uni­ons­par­tei­en spre­chen sich zudem dafür aus, die Grenz­kon­trol­len Deutsch­lands zu sei­nen euro­päi­schen Nach­barn wei­ter auf­recht zu erhal­ten. Damit wird die durch die EU gewähr­leis­te­te unge­hin­dert Rei­se­frei­heit inner­halb der EU wei­ter außer Kraft gesetzt.
  • »Fach­kräf­te-Zuwan­de­rungs­ge­setz«. Die Uni­ons­par­tei­en spre­chen sich außer­dem für ein »Fach­kräf­te-Zuwan­de­rungs­ge­setz« aus. Anders als es in der Öffent­lich­keit dar­ge­stellt wird, bestehen auch schon heu­te gesetz­li­che Rege­lun­gen zur Ein­wan­de­rung aus Erwerbs­zwe­cken. Eine Erwei­te­rung von Ein­wan­de­rungs­mög­lich­kei­ten ist sinn­voll. Zugleich soll­ten jedoch die hier bereits leben­den Asyl­su­chen­den nicht von einer Inte­gra­ti­on in den Arbeits­markt abge­hal­ten wer­den, indem Abschre­ckungs­maß­nah­men – wie die oben beschrie­be­ne Dau­er­un­ter­brin­gun­gen in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen – Maß­nah­men zur Qua­li­fi­zie­rung und Ein­glie­de­rung in den Arbeits­markt verhindern.
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