27.07.2011

Zahl­rei­che Poli­ti­ker haben auf die Hun­gers­not in Soma­lia mit Spen­den­auf­ru­fen reagiert. Neben UNO-Gene­ral­se­kre­tär Ban Ki-Moon, Bun­des­prä­si­dent Chris­ti­an Wulff und Ent­wick­lungs­mi­nis­ter Dirk Nie­bel rief auch Außen­mi­nis­ter Gui­do Wes­ter­wel­le die deut­sche Öffent­lich­keit auf, den Men­schen in Soma­lia durch Spen­den zu helfen.

Im eige­nen Haus aber scheint es kei­ne Bereit­schaft zu geben, der Aus­nah­me­si­tua­ti­on Rech­nung zu tra­gen und zu hel­fen. Dies zeigt die Pra­xis der Visums­ver­ga­be für Ange­hö­ri­ge soma­li­scher Flücht­lin­ge, die in Deutsch­land leben.

Wenn Flücht­lin­ge aus Soma­lia in Deutsch­land einen asyl­recht­li­chen Schutz erhal­ten haben – 2010 waren das 378 Per­so­nen –, gewährt ihnen das deut­sche Recht in Über­ein­stim­mung mit den euro­päi­schen Vor­ga­ben einen Rechts­an­spruch auf Fami­li­en­nach­zug. Das heißt, dass ihre Ehe­gat­ten, ihre min­der­jäh­ri­gen Kin­der, oder, soll­ten sie selbst min­der­jäh­rig sein, ihre Eltern zu ihnen nach Deutsch­land kom­men dürfen.

Den Anspruch auf Fami­li­en­nach­zug zu ver­wirk­li­chen ist aber fast aus­sichts­los – dank der deut­schen Büro­kra­tie. Die deut­sche Bot­schaft in Nairobi/Kenia – die ein­zi­ge, die sol­che Anträ­ge bear­bei­tet – nimmt Visums­an­trä­ge nur nach vor­an­ge­gan­ge­ner Ter­min­bu­chung über das Inter­net ent­ge­gen. Jeder Flücht­ling, ob neu gebo­ren oder Greis, muss einen eige­nen Ter­min buchen. Die­se wer­den im Halb­stun­den-Rhyth­mus ver­ge­ben und sind maxi­mal für die nächs­ten vier Wochen buchbar.

Ein Blick auf die ent­spre­chen­de Sei­te der Bot­schaft zeigt: alle Ter­mi­ne sind ver­ge­ben. Wird um Mit­ter­nacht ein neu­er Tag frei­ge­ge­ben, sind die­se Ter­mi­ne in Sekun­den aus­ge­bucht. Eine Fami­lie braucht des­halb – wenn sie es denn über­haupt schafft – Mona­te, bis für alle Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen Ter­mi­ne gebucht sind. Der Rechts­an­spruch auf Fami­li­en­nach­zug nach Deutsch­land steht daher für vie­le nur auf dem Papier.

Ange­sichts der Hun­gers­not und der anhal­ten­den Gewalt in Soma­lia sind die in Deutsch­land leben­den soma­li­schen Flücht­lin­ge in größ­ter Sor­ge um ihre Fami­li­en. Dass die deut­sche Büro­kra­tie ihnen ihr Recht auf Fami­li­en­nach­zug ver­ei­telt, wiegt ange­sichts der der­zei­ti­gen Kata­stro­phe beson­ders schwer.

Anwäl­te berich­ten, dass wegen der lan­gen Dau­er der Visa­ver­fah­ren Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge, die aus Soma­lia nach Kenia geflo­hen waren, in Haft kamen und nach Soma­lia zurück­ge­scho­ben wur­den, wo sie jetzt von Hun­gers­not und Gewalt bedroht sind.

PRO ASYL for­dert den Bun­des­au­ßen­mi­nis­ter auf, sei­nen Spen­den­ap­pel­len an die deut­sche Bevöl­ke­rung Taten im eige­nen Haus fol­gen zu las­sen: Den betrof­fe­nen Flücht­lin­gen muss es ermög­licht wer­den, Ter­mi­ne auch auf ande­rem Wege buchen zu kön­nen. Die Ter­min­ver­ga­be muss erleich­tert und beschleu­nigt wer­den. Dazu ist drin­gend erfor­der­lich, dass auch die deut­schen Bot­schaf­ten in den ande­ren Län­dern der Regi­on Anträ­ge zum Fami­li­en­nach­zug von soma­li­schen Flücht­lin­gen anneh­men und bearbeiten.

Zwei kon­kre­te Fall­bei­spie­len, wie die deut­sche Bot­schaft in Kenia das Recht von Flücht­lin­gen auf Fami­li­en­nach­zug behindert: 

Frau F., die im Janu­ar in Deutsch­land Flücht­lings­schutz erhielt, stell­te einen Antrag auf Fami­li­en­nach­zug, um ihren Ehe­mann, ihre fünf eige­nen Kin­der und ihre zwei 10 und 11 Jah­re alten Geschwis­ter, die sie als Wai­sen in Obhut genom­men hat­te , nach Deutsch­land nach­zu­ho­len. Am 11. März bestä­tig­te die deut­sche Bot­schaft in Nai­ro­bi, den Antrag erhal­ten zu haben. Sie for­der­te alle betrof­fe­nen Fami­li­en­mit­glie­der auf, bis zum 11. Sep­tem­ber 2011 per­sön­lich in der Bot­schaft vor­zu­spre­chen. Trotz vie­ler Ver­su­che von Frau F., von Cari­tas-Mit­ar­bei­ten­den und von ihrem Anwalt gelang es nicht, im Online-Ter­min­bu­chungs­sys­tem der Bot­schaft auch nur einen der acht erfor­der­li­chen Ter­mi­ne zu buchen. Frau F.s Anwalt wies die Bot­schaft mehr­mals dar­auf hin, dass die online-Ter­min­ver­ga­be nicht funk­tio­niert. Die deut­sche Bot­schaft behaup­te­te, es wür­den fast täg­lich neue Ter­mi­ne hin­zu­ge­schal­tet, das Sys­tem wer­de in regel­mä­ßi­gen Abstän­den geprüft. Die Bot­schaft hielt dar­an fest, dass Ter­mi­ne nur über das Sys­tem gebucht wer­den kön­nen. Zuletzt bat der Anwalt von Frau F. die Bot­schaft am 5. Juli um einen Ter­min für alle Fami­li­en­mit­glie­der. Die Bot­schaft ant­wor­te­te bis­lang nicht.

Herr A. erhielt Ende 2010 Flücht­lings­sta­tus, im Janu­ar 2011 stell­te er einen Antrag auf Fami­li­en­nach­zug für sei­ne Frau, sei­ne fünf Kin­der und zwei Kin­der sei­nes ver­stor­be­nen Bru­ders. Am 14. Janu­ar bekam er eine Ein­gangs­be­stä­ti­gung der Bot­schaft und eine Frist von sechs Mona­ten mit­ge­teilt, inner­halb der die Fami­li­en­mit­glie­der per­sön­lich in der Bot­schaft vor­spre­chen müs­sen. Am 12. Mai teil­te sein Anwalt der Bot­schaft mit, dass sei­ne Man­dan­ten wider­holt ver­geb­lich ver­sucht hat­ten, einen Ter­min zu buchen und stell­te einen Antrag auf einen Ter­min für alle acht Betrof­fe­nen. Der Anwalt erhielt bis heu­te kei­ne Antwort.

Auf der Sei­te der Deut­schen Bot­schaft Nai­ro­bi kön­nen Sie sich selbst ein Bild über die Ter­min­ver­ga­be­pra­xis der Bot­schaft machen:

https://service2.diplo.de/rktermin/extern/choose_realmList.do?request_locale=de&locationCode=nair

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