14.02.2022

Vor sechs Mona­ten sind die Tali­ban in Afgha­ni­stan an die Macht gekom­men. Zeit für eine bit­te­re Bilanz: Das Leid der Men­schen ist weit­ge­hend aus den Schlag­zei­len ver­schwun­den. Mas­si­ve Ver­let­zun­gen der Men­schen­rech­te durch die Tali­ban sind doku­men­tiert. Vie­le Zehn­tau­sen­de Men­schen, die einen Bezug zu Deutsch­land haben oder für eine libe­ra­le Demo­kra­tie ein­ge­tre­ten sind, fürch­ten um ihr Leben, die Situa­ti­on in Afgha­ni­stan spitzt sich täg­lich wei­ter zu. Die ver­spro­che­ne Auf­nah­me von Ver­folg­ten stockt. Immer noch har­ren Zehn­tau­sen­de ohne Auf­nah­me­zu­sa­ge aus oder sit­zen in Afgha­ni­stan oder Nach­bar­staa­ten fest. Die alte Bun­des­re­gie­rung hat sie kläg­lich im Stich gelas­sen. Die Umset­zung der von der neu­en Regie­rung ver­spro­che­nen Aus­wei­tung der Auf­nah­me ist noch nicht in Sicht.

PRO ASYL, Kabul Luft­brü­cke und das Paten­schafts­netz­werk Afgha­ni­sche Orts­kräf­te haben des­halb gemein­sam den Zehn-Punk­te-Plan „Ver­gesst Afgha­ni­stan nicht, han­delt jetzt“ ent­wi­ckelt. Die zehn Vor­schlä­ge müs­sen und kön­nen schnell umge­setzt wer­den. Dazu gehört, bei Men­schen, denen die Auf­nah­me zuge­sagt wur­de, auf büro­kra­ti­sche Visa­ver­fah­ren zu ver­zich­ten und erst bei Ein­rei­se ins Staats­ge­biet an deut­schen Flug­hä­fen ein Visum zu ertei­len (Visa on Arrival).

Bun­des­re­gie­rung muss Ver­folg­te retten

„Die Bun­des­re­gie­rung muss zu ihrer Ver­ant­wor­tung ste­hen und Ver­folg­te ret­ten. Dies gilt ganz beson­ders für Afghan*innen, die für deut­sche Minis­te­ri­en und Insti­tu­tio­nen tätig waren und sol­che, die sich als Journalist*innen, Anwält*innen oder Menschenrechtsaktivist*innen für Demo­kra­tie und Men­schen­rech­te stark gemacht haben, ob mit oder ohne Bezug zu Deutsch­land“, for­dern die Orga­ni­sa­tio­nen. In ihrem Zehn-Punk­te Plan sehen die Orga­ni­sa­tio­nen Direkt­flü­ge aus Kabul nach Deutsch­land mit Visa­er­tei­lung auf den deut­schen Flug­hä­fen als Lösung an.

Auch der zum Erlie­gen gekom­me­ne Fami­li­en­nach­zug zu in Deutsch­land leben­den Flücht­lin­gen kann und muss durch Visa on Arri­val beschleu­nigt wer­den. „Mehr als 6000 Anträ­ge auf Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung wur­den oft jah­re­lang nicht ein­mal gestellt, geschwei­ge denn bear­bei­tet. Das ist uner­träg­lich, dies kann und muss sofort durch Direkt­flü­ge nach Deutsch­land gelöst wer­den“, for­dert PRO ASYL-Geschäfts­füh­rer Burkhardt.

„Deutsch­land muss jetzt ein Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm beschlie­ßen, um die Eva­ku­ie­rung von gefähr­de­ten Per­so­nen aus Afgha­ni­stan zu ermög­li­chen. Allein die Orga­ni­sa­ti­on Kabul Luft­brü­cke steht der­zeit mit über 35.000 Men­schen in Afgha­ni­stan in Kon­takt, die drin­gend eva­ku­iert wer­den müs­sen. Das ver­spro­che­ne Bun­des­auf­nah­me­pro­gram muss die­sen Bedarf abde­cken”, for­dert Tareq Alaows für die Orga­ni­sa­ti­on Kabul Luft­brü­cke.  Hin­zu kom­men vie­le Tau­send Men­schen, die sich bei ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen oder direkt beim Aus­wär­ti­gen Amt gemel­det haben. PRO ASYL und Kabul  Luft­brü­cke for­dern das Aus­wär­ti­ge Amt auf, offen zu legen, wie vie­le E‑Mails mit Anträ­gen auf Schutz seit dem 15. August 2021 ein­ge­gan­gen sind und wie vie­le noch in der Bear­bei­tung sind.

Anträ­ge zügig bearbeiten

Die Orga­ni­sa­tio­nen war­nen des­halb gemein­sam: „Ein eng­her­zi­ges bei­spiels­wei­se auf eine vier­stel­li­ge oder nied­ri­ge fünf­stel­li­ge Zahl begrenz­tes Pro­gramm ist abso­lut nicht aus­rei­chend. Dem Aus­wär­ti­gen Amt wur­den im ver­gan­ge­nen Som­mer vie­le Zehn­tau­send gefähr­de­te Per­so­nen gemel­det. Die Anträ­ge der Betrof­fe­nen auf Schutz wur­den viel­fach minis­te­ri­ell nicht bear­bei­tet. Nur ein Bruch­teil wur­de für die soge­nann­te Men­schen­rechts­lis­te berücksichtigt.“

PRO ASYL-Geschäfts­füh­rer Burk­hardt appel­lier­te an das Aus­wär­ti­ge Amt und das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um, sofort zu han­deln und end­lich die vor­han­de­nen Mög­lich­kei­ten unab­hän­gig von einem Bun­des­pro­gramm sofort zu nut­zen. „Es darf kei­ne wei­te­re Zeit mit Ver­hand­lun­gen zwi­schen den betei­lig­ten Minis­te­ri­en ver­lo­ren wer­den. Die alte Regie­rung woll­te nicht, die neue muss par­al­lel zur Ent­wick­lung eines Auf­nah­me­pro­gramms die bestehen­den Instru­men­te sofort groß­zü­gig und schnell nut­zen. Sonst sind die tot, die mit einem Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm geret­tet wer­den sol­len. Dazu gehört, Fall für Fall end­lich zügig zu bear­bei­ten und posi­tiv zu bescheiden.“

Orts­kräf­te­ver­fah­ren reformieren

In ihrem Zehn-Punk­te-Plan for­dern die Orga­ni­sa­tio­nen die sofor­ti­ge Reform des Orts­kräf­te­ver­fah­rens: Orts­kräf­te, die bis­her auf­grund von büro­kra­ti­schen Hür­den – zum Bei­spiel vor 2013 beschäf­tigt oder angeb­lich nicht zeit­ge­recht ein­ge­reich­ter Gefähr­dungs­an­zei­gen  – aus­ge­schlos­sen sind, müs­sen end­lich unter Schutz gestellt wer­den. Auch Afghan*innen, die als Subunternehmer*innen für deut­sche Orga­ni­sa­tio­nen tätig waren oder in Pro­jek­ten gear­bei­tet haben, die von deut­schen Insti­tu­tio­nen und Orga­ni­sa­tio­nen finan­ziert wur­den, müs­sen als Orts­kräf­te aner­kannt wer­den und eine Auf­nah­me­zu­sa­ge erhalten.

Beson­ders wich­tig ist den Orga­ni­sa­tio­nen außer­dem die Wie­der­öff­nung der Men­schen­rechts­lis­te des Aus­wär­ti­gen Amts. „Egal ob Rich­ter, Poli­ti­ker, Frau­en­rechts­ak­ti­vis­tin oder Sport­le­rin: In Afgha­ni­stan sind Tau­sen­de von Ver­tre­tern und Ver­tre­te­rin­nen eines libe­ra­len Afgha­ni­stans in Gefahr – mit und ohne Bezug zu Deutsch­land. Wir dür­fen sie nicht im Stich las­sen“, warnt Burk­hardt.  “Wir dür­fen die Men­schen, die für ein libe­ra­les Afgha­ni­stan tag­täg­lich ein­ge­stan­den sind, nicht ver­ges­sen. Alle, die nicht dem Welt­bild der Tali­ban ent­spre­chen, müs­sen um ihr Leben fürch­ten. Sie müs­sen geret­tet wer­den, egal ob sie einen direk­ten Bezug zu Deutsch­land haben oder nicht“, for­dert Alaows.

Pres­se­kon­tak­te:
PRO ASYL: Gün­ter Burk­hardt, presse@proasyl.de,  069 24 23 14 30
Luft­brü­cke Kabul: Lorenz Hor­nung, press@kabulluftbruecke.de

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