08.09.2021

Inte­gra­ti­on in Hes­sen beson­ders schwer: Brei­tes zivil­ge­sell­schaft­li­ches Bünd­nis, dar­un­ter PRO ASYL, for­dert Lan­des­re­gie­rung zur Wen­de in der Flücht­lings­po­li­tik auf.

Aus­gren­zung, Abschie­bun­gen und Rück­kehr­druck bestim­men die Asyl- und Flücht­lings­po­li­tik in Hes­sen. Selbst Men­schen, die Arbeit haben und ihren Lebens­un­ter­halt selbst ver­die­nen, wer­den in Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­te abge­scho­ben, Fami­li­en dabei aus­ein­an­der­ge­ris­sen. Dem in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag for­mu­lier­ten Anspruch, Men­schen­rech­te und geleb­te Huma­ni­tät in den Mittel­punkt zu stel­len, wer­den CDU und Bünd­nis 90/Die Grü­nen nicht gerecht.

Ein brei­tes zivil­ge­sell­schaft­li­ches Bünd­nis aus Wohl­fahrts­ver­bän­den, Gewerk­schaf­ten und Orga­nisationen, dar­un­ter PRO ASYL, appel­liert an die Lan­des­re­gie­rung, nach der Hälf­te der Legis­la­tur­pe­ri­ode die Ausrich­tung der Flücht­lings­po­li­tik in Hes­sen grund­le­gend zu über­prü­fen und neu zu jus­tie­ren. Es for­dert zudem ein sofor­ti­ges Abschie­bungs­mo­ra­to­ri­um, damit nicht noch mehr gut inte­grier­te Men­schen aus ihrem Umfeld geris­sen und in eine unge­wis­se Zukunft abge­scho­ben werden.

Sys­te­ma­ti­sche Des­in­te­gra­ti­on: Hes­sen nutzt Ermes­sens­spiel­räu­me nicht

„Wir appel­lie­ren an die Lan­des­re­gie­rung, sich auf die im Jahr 2015 pro­pa­gier­te Willkommenskul­tur zurück­zu­be­sin­nen“, sagt Dr. Yas­min Ali­naghi, Lan­des­ge­schäfts­füh­re­rin des Pari­tä­ti­schen Wohl­fahrts­ver­bands Hes­sen. „Die der­zeit prak­ti­zier­te Flücht­lings­po­li­tik schürt Ängs­te bei Be­troffenen und schafft Ver­un­si­che­rung und Frus­tra­ti­on bei Unterstützenden.“

Die neun Orga­ni­sa­tio­nen, die den Appell unter­zeich­net haben, kri­ti­sie­ren, dass in Hes­sen vor­handene Ermes­sens­spiel­räu­me bun­des­ge­setz­li­cher Rege­lun­gen nicht genutzt wer­den, um Ge­flüchteten dau­er­haf­te Blei­be­per­spek­ti­ven zu eröff­nen. Statt­des­sen wer­den auf­fäl­lig vie­le Perso­nen abge­scho­ben, die die Vor­aus­set­zun­gen etwa für eine Beschäf­ti­gungs- oder Ausbildungsdul­dung bereits erfül­len oder in Kür­ze erfüllt hätten.

„Unse­re Bera­tungs­stel­len beob­ach­ten mit gro­ßem Unver­ständ­nis, dass die Aus­län­der­be­hör­den nicht über aus­sichts­rei­che Anträ­ge der Betrof­fe­nen ent­schei­den, son­dern statt­des­sen die Ab­schiebung ein­lei­ten“, sagt Cars­ten Tag, Vor­stands­vor­sit­zen­der der Dia­ko­nie Hes­sen. „In ande­ren Bun­des­län­dern müs­sen die Aus­län­der­be­hör­den vor einer Abschie­bung prü­fen, ob die Vo­raussetzungen für ein Blei­be­recht erfüllt sind. In Hes­sen ist das nicht vor­ge­se­hen. Dabei sind Abschie­bun­gen von Beschäf­tig­ten nicht nur für die Betrof­fe­nen eine Kata­stro­phe, sie scha­den auch den Unter­neh­men und der hes­si­schen Wirtschaft.“

Pra­xis­fäl­le bele­gen: Abschie­bung vor Integration 

Die Herausgeber*innen des Appells haben 15 Fäl­le aus der Pra­xis zusam­men­ge­tra­gen, die exem­pla­risch zei­gen, dass hes­si­sche Behör­den oft nicht im Sin­ne der Geflüch­te­ten han­deln. Viel­mehr erschwe­ren sie gezielt die Inte­gra­ti­on oder machen sie unmöglich.

„Im Asyl­kon­vent und in der Inte­gra­ti­ons­kon­fe­renz bekennt sich die Lan­des­re­gie­rung zur Integra­tion von Anfang an, doch in der Rea­li­tät han­delt sie gegen­sätz­lich“, so Tim­mo Sche­ren­berg, Ge­schäftsführer des Hes­si­schen Flücht­lings­rats. „Auch bei der Unter­brin­gung schnei­det Hes­sen ver­gleichs­wei­se schlecht ab. Wäh­rend in ande­ren Bun­des­län­dern Flücht­lin­ge ver­mehrt dezen­tral unter­ge­bracht wer­den oder in Woh­nun­gen leben, setzt Hes­sen trotz der Coro­na-Pan­de­mie nach wie vor auf die Unter­brin­gung in Gemeinschaftsunterkünften.“

Dass Abschie­bung vor Inte­gra­ti­on geht, zeigt sich auch dar­an, dass die Abschie­bungs­haft­an­stalt in Darm­stadt mas­siv aus­ge­baut wur­de und Hes­sen jetzt bei der Zahl der Abschiebungshaft­plätze mit Bay­ern und Nord­rhein-West­fa­len an der bun­des­wei­ten Spit­ze steht.

Aktu­el­les Bei­spiel: Afghanistan

Sogar ange­sichts der desas­trö­sen Ent­wick­lung in Afgha­ni­stan zeigt sich die Lan­des­re­gie­rung hart. Selbst die Macht­über­nah­me der Tali­ban ist für sie kein Anlass, unbe­schol­te­nen Afghan*innen end­lich die län­ger­fris­ti­gen Dul­dun­gen zu ertei­len, die sie ihnen bereits im Koali­ti­ons­ver­trag in Aus­sicht gestellt hat­te. Statt­des­sen hat das Innen­mi­nis­te­ri­um die Aus­län­der­be­hör­den Ende August aus­drück­lich ange­wie­sen, beim Fami­li­en­nach­zug unver­än­dert restrik­tiv vorzugehen.

„Die schwarz-grü­ne Lan­des­re­gie­rung lässt der auf Här­te und Abschie­bung aus­ge­rich­te­ten Minis­terialbürokratie freie Hand, in kri­ti­schen Situa­tio­nen taucht sie ab. Es ist uner­träg­lich, dass es kei­nen Vor­stoß aus Hes­sen gibt für ein Lan­des­auf­nah­me­pro­gramm für gefähr­de­te Afghan*innen mit Ange­hö­ri­gen in Hes­sen. Der bun­des­weit hör­ba­re Impuls für eine huma­ne Flücht­lings­po­li­tik bleibt aus“, kri­ti­siert Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL.

Unter­zeich­nen­de Orga­ni­sa­tio­nen: Dia­ko­nie Hes­sen, Pari­tä­ti­scher Hes­sen, Hes­si­scher Flücht­lings­rat, PRO ASYL, Bun­des­ver­band unbe­glei­te­te min­der­jäh­ri­ge Flücht­lin­ge, Lan­des­aus­län­der­bei­rat Hes­sen, Ver­band bina­tio­na­ler Fami­li­en und Part­ner­schaf­ten, IG Metall (Bera­tungs­stel­le Der Laden), Gewerk­schaft Erzie­hung und Wis­sen­schaft Hessen


Ansprechpersonen

Dia­ko­nie Hes­sen – Hil­de­gund Niebch
Tele­fon: 069 / 7947 6300
E‑Mail: hildegund.niebch@diakonie-hessen.de

Hes­si­scher Flücht­lings­rat – Tim­mo Scherenberg
Tele­fon: 069 / 976 987 10
E‑Mail: hfr@fr-hessen.de

Pari­tä­ti­scher Hes­sen – Lea Rosenberg
Tele­fon: 069 / 955 262 52
E‑Mail: lea.rosenberg@paritaet-hessen.org

PRO ASYL – Gün­ter Burkhardt
Tele­fon: 069 / 242 314 30
E‑Mail: presse@proasyl.de

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