11.06.2010

25 Jah­re Schen­gen: kein Grund zum Feiern

Euro­pa fei­ert am Mon­tag, den 14. Juni 2010, das Vier­tel­jahr­hun­dert­ju­bi­lä­um der soge­nann­ten Schen­ge­ner Abkom­mens. Das am 14. Juni 1985 in der luxem­bur­gi­schen Stadt Schen­gen geschlos­se­ne Abkom­men mar­kiert nach offi­zi­el­ler Les­art den Beginn einer euro­päi­schen Erfolgs­ge­schich­te, den Ein­stieg in ein Euro­pa ohne Binnengrenzen.

Die häss­li­che Kehr­sei­te: Die Frei­zü­gig­keit im Schen­gen­land, das mitt­ler­wei­le 25 euro­päi­sche Staa­ten umfasst, wur­de teu­er erkauft. Über 15.000 Flücht­lin­ge und Migran­ten – mehr als 10.000 allein im Mit­tel­meer und Atlan­tik – star­ben in den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten an den hoch­ge­rüs­te­ten euro­päi­schen Außen­gren­zen, in den Haft­an­stal­ten der Mit­glied­staa­ten und bei Abschiebungen.

1989, nur 4 Jah­re nach Schen­gen, fie­len in Euro­pa die Mau­ern zwi­schen Ost und West. Das damit ver­bun­de­ne Frei­heits­ver­spre­chen ist jedoch nicht ein­ge­löst wor­den. Schen­gen war nicht die Geburts­stun­de eines demo­kra­ti­sche­ren und offe­nen Euro­pas, son­dern der Start­schuss zum Bau neu­er Mau­ern. Motor die­ser dra­ma­ti­schen Ent­wick­lung war und ist Deutschland.

Euro­pa hat in die­sem Vier­tel­jahr­hun­dert immer noch kein gemein­sa­mes Asyl­recht geschaf­fen, das die­sen Namen ver­dient. Bei der Flücht­lings­auf­nah­me agie­ren die EU-Mit­glied­staa­ten wei­ter­hin als Kon­kur­ren­ten in einem Wett­lauf der natio­nal­staat­li­chen Schä­big­kei­ten. Die Poli­tik der Nicht­zu­stän­dig­keit für die Asyl­prü­fung und die damit ver­bun­de­ne Ver­ant­wor­tungs­ver­la­ge­rung auf die EU-Außen­staa­ten war bereits inte­gra­ler Bestand­teil von Schen­gen. Damals wie heu­te zei­gen sich die euro­päi­schen Staa­ten nur bei der Abwehr von Flücht­lin­gen geeint.

Schen­gen steht für die Ein­füh­rung des Visum­zwangs für inzwi­schen 135 Län­der, dar­un­ter alle, aus denen Men­schen flie­hen. Das tau­send­fa­che Ster­ben vor den Toren Euro­pas ist untrenn­bar mit der Visums­pflicht, dem „schärfs­ten Schwert des Aus­län­der­rech­tes“ (O‑Ton des frü­he­ren Bun­des­in­nen­mi­nis­ters Man­fred Kan­ther), ver­bun­den. Schutz­su­chen­den wird der ret­ten­de Flucht­weg auf euro­päi­sches Ter­ri­to­ri­um und damit der Zugang zu einem Asyl­ver­fah­ren versperrt.

Schen­gen bedeu­tet die nahe­zu lücken­lo­se High Tech-Über­wa­chung an den euro­päi­schen Außen­gren­zen und den Export von Abschot­tungs­tech­no­lo­gien in die Nach­bar­re­gio­nen, um Flücht­lin­ge bereits weit vor Euro­pas Gren­zen zu stop­pen. Die neu­en Wall­an­la­gen wer­den in der Ukrai­ne, in Liby­en, Mau­re­ta­ni­en, der Tür­kei und anders­wo errichtet.

Die euro­päi­schen Abwehr­maß­nah­men fin­den heu­te bereits in inter­na­tio­na­len Gewäs­sern im Mit­tel­meer und im Atlan­tik statt. Tau­sen­de Boots­flücht­lin­ge wur­den seit 2006 von EU-Mit­glied­staa­ten gemein­sam mit der euro­päi­schen Grenz­agen­tur FRONTEX völ­ker­rechts­wid­rig abge­fan­gen und zurück­ver­frach­tet in west- und nord­afri­ka­ni­sche Transitstaaten.

Die euro­päi­schen Mau­er­bau­er im Geis­te von Schen­gen und die boo­men­de Schlep­per­in­dus­trie, die ihre Pro­fi­te im Zuge der effi­zi­en­ten Abwehr­maß­nah­men ins Uner­mess­li­che stei­gern konn­ten, mögen am kom­men­den Mon­tag die Sekt­kor­ken flie­gen las­sen. Für Flücht­lin­ge und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen gibt es kei­nen Grund zu feiern.

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