08.07.2025

Wenn gefähr­de­te Afghan*innen, die bereits eine Auf­nah­me­zu­sa­ge von Deutsch­land erhal­ten haben, von Paki­stan nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben wer­den, machen sich Regie­rungs­mit­glie­der und Beamt*innen straf­bar. Dies zeigt ein von PRO ASYL und dem Paten­schafts­netz­werk Orts­kräf­te e.V. in Auf­trag gege­be­nes Rechtsgutachten. 

Fast vier Jah­re nach der Macht­über­nah­me der Tali­ban ist die aktu­el­le Bun­des­re­gie­rung kurz davor, Afghan*innen mit bereits erfolg­ter Auf­nah­me­zu­sa­ge im Stich zu las­sen, obwohl ihnen in Paki­stan akut die Abschie­bung nach Afgha­ni­stan und dort Fol­ter, Miss­hand­lung oder der Tod dro­hen. Ein heu­te ver­öf­fent­lich­tes Rechts­gut­ach­ten zeigt: Das ist strafbar.

“Eini­gen in der Regie­rung mag Islam­abad und das Schick­sal der dort ver­zwei­feln­den Afghan*innen weit weg vor­kom­men. Doch was dort gera­de pas­siert, geht die Vertreter*innen der Bun­des­re­gie­rung etwas an, denn sie machen sich straf­bar, wenn sie ihre Auf­nah­me­ver­spre­chen nicht ein­hal­ten und als Kon­se­quenz Afghan*innen von Paki­stan nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben wer­den. Die Bun­des­re­gie­rung muss jetzt alle Hebel in Bewe­gung set­zen, um gefähr­de­te Afghan*innen aus Paki­stan nach Deutsch­land zu ret­ten”, sagt Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

“Was wir in den letz­ten Wochen aus Paki­stan hören, ist die pure Ver­zweif­lung. Men­schen haben im Ver­trau­en auf die Zusa­ge aus Deutsch­land alles hin­ter sich gelas­sen, als sie gebe­ten wur­den, für das Visum­ver­fah­ren nach Paki­stan zu gehen. Ihre Gefähr­dung und ihre Iden­ti­tät wur­den durch deut­sche Behör­den bereits bestä­tigt, sie haben etli­che Sicher­heits­checks durch­lau­fen. Nun droht ihnen nach Mona­ten, teils Jah­ren, des War­tens der Abbruch ihrer Auf­nah­me­ver­fah­ren. Alle, mit denen wir in Kon­takt sind, fürch­ten um ihr Leben”, sagt Lena Rei­ner, Paten­schafts­netz­werk Orts­kräf­te e.V.

Rechts­gut­ach­ten: Straf­recht­li­che Ver­ant­wor­tungs­ket­te von Islam­abad bis Berlin

Straf­ver­tei­di­ger Dr. Robert Brock­haus kommt zu einer ein­deu­ti­gen Bewer­tung: „Nach der­zei­ti­ger Sach­la­ge ist davon aus­zu­ge­hen, dass sich die Ver­ant­wort­li­chen in den Minis­te­ri­en und Behör­den wegen § 221 Straf­ge­setz­buch straf­bar machen, wenn es zu den von Paki­stan ange­kün­dig­ten Abschie­bun­gen von Men­schen mit Auf­nah­me­zu­sa­gen nach Afgha­ni­stan kommt. Vor­zu­wer­fen wäre ihnen ins­be­son­de­re, dass sie die Abschie­bun­gen, durch die die Men­schen vor­aus­sicht­lich in die Gefahr des Todes oder schwe­rer Gesund­heits­schä­di­gun­gen gera­ten, nicht ver­hin­dert haben, obwohl ihnen das mög­lich war.“

In dem Rechts­gut­ach­ten führt er unter Bezug­nah­me auf diver­se Berich­te aus, dass den beson­ders gefähr­de­ten Afghan*innen nach Abschie­bung in Afgha­ni­stan schwers­te Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen dro­hen – von Fol­ter und Miss­hand­lun­gen bis zu sexua­li­sier­ter Gewalt und Tötungen.

Wei­ter heißt es, dass „Vertreter*innen der deut­schen Bun­des­re­gie­rung und deut­sche Beamt*innen, die mit den Vor­gän­gen der Auf­nah­me von afgha­ni­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen, wel­che bereits eine Auf­nah­me­zu­sa­ge der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land erhal­ten haben, befasst sind”, sich wegen Aus­set­zung straf­bar machen, “wenn die betrof­fe­nen Men­schen von Paki­stan aus nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben wer­den und die Men­schen infol­ge­des­sen einer kon­kre­ten Gefahr im Sin­ne des § 221 Abs. 1 StGB aus­ge­setzt wer­den”. Drei Ver­hal­tens­wei­sen sei­en hier­bei straf­recht­lich relevant:

 

• Bevor­ste­hen­de Abschie­bun­gen wer­den trotz Kennt­nis der invol­vier­ten Per­so­nen nicht verhindert.

• Die Auf­nah­men wer­den wei­ter­hin aus­ge­setzt und infol­ge­des­sen sieht sich die paki­sta­ni­sche Regie­rung nicht mehr an die Ver­ein­ba­rung gebun­den, Men­schen mit Auf­nah­me­zu­sa­gen aus Deutsch­land nicht abzu­schie­ben, und beginnt mit deren Abschiebungen.

• Die Auf­nah­men wer­den von deut­scher Sei­te aus end­gül­tig been­det und die paki­sta­ni­schen Behör­den schie­ben die Men­schen nach Paki­stan ab.

Zudem kom­me eine ver­such­te schwe­re Aus­set­zung in Betracht, sobald das Leben einer Per­son unmit­tel­bar gefähr­det sei oder eine schwe­re Gesund­heits­schä­di­gung dro­he, sowie eine Straf­bar­keit wegen unter­las­se­ner Hil­fe­leis­tung (§ 323c Abs. 1 StGB). Wenn es zu den befürch­te­ten Abschie­bun­gen und Miss­hand­lun­gen, Fol­ter oder Tötun­gen kom­me, wür­de eine Straf­bar­keit wegen wei­te­rer Unter­las­sungs­de­lik­te in Fra­ge kommen.

Ver­zwei­fel­te Stim­men aus Pakistan

PRO ASYL und Paten­schafts­netz­werk Orts­kräf­te e.V. geben hier Ori­gi­nal­zi­ta­te von Afghan*innen wie­der, die mit Auf­nah­me­zu­sa­ge in Paki­stan festsitzen:

“Wir leben hier ohne Unter­kunft, ohne Arbeit, ohne Schu­le für unse­re Kin­der – und ohne Per­spek­ti­ve. Täg­lich droht uns die Abschie­bung. Wenn eini­ge Geflüch­te­te in Euro­pa Feh­ler began­gen haben, darf das nicht unse­re Bestra­fung recht­fer­ti­gen – wir flo­hen gera­de vor die­sen Ter­ro­ris­ten.” (Herr Fraaz Rahaee*, mit Auf­nah­me­zu­sa­ge nach Deutsch­land, am 1.5.2025 in Pakistan).

“Wegen der poli­ti­schen Lage in Deutsch­land steu­ern wir auf den Abgrund zu. Alle, die hier in Paki­stan gestran­det sind, sind ver­lo­re­ne See­len im Nir­gend­wo ohne Schick­sal. Unser ein­zi­ger Wunsch ist es, einen siche­ren Ort zu errei­chen – einen Ort, den wir ´Zuhau­se´ nen­nen dür­fen. Ver­gesst uns nicht – dies ist der Ruf einer Frau, die leben will, die Zuflucht sucht, gemein­sam mit ihren Kin­dern.” (Frau Nora Azi­mi*, mit Auf­nah­me­zu­sa­ge nach Deutsch­land, am 30.4.2025 in Pakistan).

“Ich bit­te das deut­sche Volk instän­dig: Lasst die Mensch­lich­keit nicht ster­ben. Ver­gesst uns nicht – die­je­ni­gen, die bereits eine Auf­nah­me­zu­sa­ge erhal­ten haben. Hal­tet eure Ver­spre­chen. Wenn ihr uns jetzt auf­gebt, bedeu­tet das unse­ren Tod.” (Frau Shab­nam Waliza­de*, mit Auf­nah­me­zu­sa­ge nach Deutsch­land, am 29.4.2025 in Pakistan)

Vom Ver­spre­chen zum Vergessen

Nach dem Abzug der inter­na­tio­na­len Trup­pen im Jahr 2021 erteil­te die Bun­des­re­gie­rung das offi­zi­el­le Ver­spre­chen, ver­bün­de­te Afghan*innen und schutz­be­dürf­ti­ge Per­so­nen zu ret­ten. Ver­schie­de­ne Auf­nah­me­pro­gram­me wie das Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm Afgha­ni­stan, das Orts­kräf­te­pro­gramm und  die Men­schen­rechts­lis­te wur­den aufgesetzt.

Allein im Rah­men des Bun­des­auf­nah­me­pro­gramms wur­den 31.000 Auf­nah­me­zu­sa­gen ange­kün­digt. In Deutsch­land ange­kom­men sind bis­her ledig­lich 1.511 Men­schen.

Wäh­rend das Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm schei­ter­te, konn­ten über ande­re recht­li­che Wege bis Ende 2024 ins­ge­samt etwa 35.000 Afghan*innen nach Deutsch­land kom­men. Das ist eine beacht­li­che Zahl, doch die­se über­le­bens­wich­ti­gen Maß­nah­men waren ein­zel­fall­be­zo­gen und oft indi­vi­du­el­le Ret­tungs­ak­tio­nen oder Sondergenehmigungen.

Am 17. April 2025 lan­de­te der letz­te Flie­ger in Deutsch­land mit auf­ge­nom­me­nen Afghan*innen.

Die neue Bun­des­re­gie­rung ver­kehr­te das Ver­spre­chen ins Gegen­teil und kün­dig­te im Koali­ti­ons­ver­trag an, die Auf­nah­me­pro­gram­me “soweit wie mög­lich been­den” und kei­ne neu­en Pro­gram­me auf­le­gen zu wol­len. Seit­dem befin­de sich die Bun­des­re­gie­rung “in einer fort­ge­setz­ten Prü­fung” und hat alle Ein­rei­sen von Afghan*innen mit Auf­nah­me­zu­sa­ge ausgesetzt.

Aktu­ell sit­zen 2.351 Betrof­fe­ne in Paki­stan fest (BMI-Aus­kunft, Stand 23.6.2025). Unter ihnen sind Orts­kräf­te, Menschenrechtsaktivist*innen und in Afgha­ni­stan Ver­folg­te – dar­un­ter vie­le Frau­en und Kin­der. Mitt­ler­wei­le droht den Men­schen akut die Abschie­bung zurück nach Afgha­ni­stan. Denn die paki­sta­ni­sche Regie­rung hat ihre Zusi­che­rung, Men­schen im Auf­nah­me­ver­fah­ren nach Deutsch­land nicht abzu­schie­ben, aufgehoben.

*Ali­as­na­me

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