Wenn gefährdete Afghan*innen, die bereits eine Aufnahmezusage von Deutschland erhalten haben, von Pakistan nach Afghanistan abgeschoben werden, machen sich Regierungsmitglieder und Beamt*innen strafbar. Dies zeigt ein von PRO ASYL und dem Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte e.V. in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten.
Fast vier Jahre nach der Machtübernahme der Taliban ist die aktuelle Bundesregierung kurz davor, Afghan*innen mit bereits erfolgter Aufnahmezusage im Stich zu lassen, obwohl ihnen in Pakistan akut die Abschiebung nach Afghanistan und dort Folter, Misshandlung oder der Tod drohen. Ein heute veröffentlichtes Rechtsgutachten zeigt: Das ist strafbar.
“Einigen in der Regierung mag Islamabad und das Schicksal der dort verzweifelnden Afghan*innen weit weg vorkommen. Doch was dort gerade passiert, geht die Vertreter*innen der Bundesregierung etwas an, denn sie machen sich strafbar, wenn sie ihre Aufnahmeversprechen nicht einhalten und als Konsequenz Afghan*innen von Pakistan nach Afghanistan abgeschoben werden. Die Bundesregierung muss jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, um gefährdete Afghan*innen aus Pakistan nach Deutschland zu retten”, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.
“Was wir in den letzten Wochen aus Pakistan hören, ist die pure Verzweiflung. Menschen haben im Vertrauen auf die Zusage aus Deutschland alles hinter sich gelassen, als sie gebeten wurden, für das Visumverfahren nach Pakistan zu gehen. Ihre Gefährdung und ihre Identität wurden durch deutsche Behörden bereits bestätigt, sie haben etliche Sicherheitschecks durchlaufen. Nun droht ihnen nach Monaten, teils Jahren, des Wartens der Abbruch ihrer Aufnahmeverfahren. Alle, mit denen wir in Kontakt sind, fürchten um ihr Leben”, sagt Lena Reiner, Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte e.V.
Rechtsgutachten: Strafrechtliche Verantwortungskette von Islamabad bis Berlin
Strafverteidiger Dr. Robert Brockhaus kommt zu einer eindeutigen Bewertung: „Nach derzeitiger Sachlage ist davon auszugehen, dass sich die Verantwortlichen in den Ministerien und Behörden wegen § 221 Strafgesetzbuch strafbar machen, wenn es zu den von Pakistan angekündigten Abschiebungen von Menschen mit Aufnahmezusagen nach Afghanistan kommt. Vorzuwerfen wäre ihnen insbesondere, dass sie die Abschiebungen, durch die die Menschen voraussichtlich in die Gefahr des Todes oder schwerer Gesundheitsschädigungen geraten, nicht verhindert haben, obwohl ihnen das möglich war.“
In dem Rechtsgutachten führt er unter Bezugnahme auf diverse Berichte aus, dass den besonders gefährdeten Afghan*innen nach Abschiebung in Afghanistan schwerste Menschenrechtsverletzungen drohen – von Folter und Misshandlungen bis zu sexualisierter Gewalt und Tötungen.
Weiter heißt es, dass „Vertreter*innen der deutschen Bundesregierung und deutsche Beamt*innen, die mit den Vorgängen der Aufnahme von afghanischen Staatsangehörigen, welche bereits eine Aufnahmezusage der Bundesrepublik Deutschland erhalten haben, befasst sind”, sich wegen Aussetzung strafbar machen, “wenn die betroffenen Menschen von Pakistan aus nach Afghanistan abgeschoben werden und die Menschen infolgedessen einer konkreten Gefahr im Sinne des § 221 Abs. 1 StGB ausgesetzt werden”. Drei Verhaltensweisen seien hierbei strafrechtlich relevant:
• Bevorstehende Abschiebungen werden trotz Kenntnis der involvierten Personen nicht verhindert. • Die Aufnahmen werden weiterhin ausgesetzt und infolgedessen sieht sich die pakistanische Regierung nicht mehr an die Vereinbarung gebunden, Menschen mit Aufnahmezusagen aus Deutschland nicht abzuschieben, und beginnt mit deren Abschiebungen. • Die Aufnahmen werden von deutscher Seite aus endgültig beendet und die pakistanischen Behörden schieben die Menschen nach Pakistan ab. |
Zudem komme eine versuchte schwere Aussetzung in Betracht, sobald das Leben einer Person unmittelbar gefährdet sei oder eine schwere Gesundheitsschädigung drohe, sowie eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB). Wenn es zu den befürchteten Abschiebungen und Misshandlungen, Folter oder Tötungen komme, würde eine Strafbarkeit wegen weiterer Unterlassungsdelikte in Frage kommen.
Verzweifelte Stimmen aus Pakistan
PRO ASYL und Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte e.V. geben hier Originalzitate von Afghan*innen wieder, die mit Aufnahmezusage in Pakistan festsitzen:
“Wir leben hier ohne Unterkunft, ohne Arbeit, ohne Schule für unsere Kinder – und ohne Perspektive. Täglich droht uns die Abschiebung. Wenn einige Geflüchtete in Europa Fehler begangen haben, darf das nicht unsere Bestrafung rechtfertigen – wir flohen gerade vor diesen Terroristen.” (Herr Fraaz Rahaee*, mit Aufnahmezusage nach Deutschland, am 1.5.2025 in Pakistan).
“Wegen der politischen Lage in Deutschland steuern wir auf den Abgrund zu. Alle, die hier in Pakistan gestrandet sind, sind verlorene Seelen im Nirgendwo ohne Schicksal. Unser einziger Wunsch ist es, einen sicheren Ort zu erreichen – einen Ort, den wir ´Zuhause´ nennen dürfen. Vergesst uns nicht – dies ist der Ruf einer Frau, die leben will, die Zuflucht sucht, gemeinsam mit ihren Kindern.” (Frau Nora Azimi*, mit Aufnahmezusage nach Deutschland, am 30.4.2025 in Pakistan).
“Ich bitte das deutsche Volk inständig: Lasst die Menschlichkeit nicht sterben. Vergesst uns nicht – diejenigen, die bereits eine Aufnahmezusage erhalten haben. Haltet eure Versprechen. Wenn ihr uns jetzt aufgebt, bedeutet das unseren Tod.” (Frau Shabnam Walizade*, mit Aufnahmezusage nach Deutschland, am 29.4.2025 in Pakistan)
Vom Versprechen zum Vergessen
Nach dem Abzug der internationalen Truppen im Jahr 2021 erteilte die Bundesregierung das offizielle Versprechen, verbündete Afghan*innen und schutzbedürftige Personen zu retten. Verschiedene Aufnahmeprogramme wie das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan, das Ortskräfteprogramm und die Menschenrechtsliste wurden aufgesetzt.
Allein im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms wurden 31.000 Aufnahmezusagen angekündigt. In Deutschland angekommen sind bisher lediglich 1.511 Menschen.
Während das Bundesaufnahmeprogramm scheiterte, konnten über andere rechtliche Wege bis Ende 2024 insgesamt etwa 35.000 Afghan*innen nach Deutschland kommen. Das ist eine beachtliche Zahl, doch diese überlebenswichtigen Maßnahmen waren einzelfallbezogen und oft individuelle Rettungsaktionen oder Sondergenehmigungen.
Am 17. April 2025 landete der letzte Flieger in Deutschland mit aufgenommenen Afghan*innen.
Die neue Bundesregierung verkehrte das Versprechen ins Gegenteil und kündigte im Koalitionsvertrag an, die Aufnahmeprogramme “soweit wie möglich beenden” und keine neuen Programme auflegen zu wollen. Seitdem befinde sich die Bundesregierung “in einer fortgesetzten Prüfung” und hat alle Einreisen von Afghan*innen mit Aufnahmezusage ausgesetzt.
Aktuell sitzen 2.351 Betroffene in Pakistan fest (BMI-Auskunft, Stand 23.6.2025). Unter ihnen sind Ortskräfte, Menschenrechtsaktivist*innen und in Afghanistan Verfolgte – darunter viele Frauen und Kinder. Mittlerweile droht den Menschen akut die Abschiebung zurück nach Afghanistan. Denn die pakistanische Regierung hat ihre Zusicherung, Menschen im Aufnahmeverfahren nach Deutschland nicht abzuschieben, aufgehoben.
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