06.02.2025

Mehr als 600 Frau­en, Kin­der und Män­ner star­ben am 14. Juni 2023 vor der grie­chi­schen Hafen­stadt Pylos. Dass fal­sche Ent­schei­dun­gen der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che zur Kata­stro­phe geführt haben, bestä­tigt nun ein Bericht des grie­chi­schen Ombudsmannes.

Die unab­hän­gi­ge grie­chi­sche Behör­de hat laut Pres­se­mit­tei­lung „schwer­wie­gen­de und ver­werf­li­che Ver­säum­nis­se bei den Such- und Ret­tungs­pflich­ten“ durch hoch­ran­gi­ge Offi­zie­re der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che fest­ge­stellt, die „den Straf­tat­be­stand der töd­li­chen Gefähr­dung sowie der Gefähr­dung des Lebens, der Gesund­heit und der kör­per­li­chen Unver­sehrt­heit der Per­so­nen an Bord des Fische­rei­fahr­zeugs Adria­na erfül­len“, und for­dert dazu auf, gegen die­se zu ermitteln.

„Der Bericht des Ombuds­manns bestä­tigt, was die von uns unter­stütz­ten Über­le­ben­den immer wie­der gesagt haben: Pylos war kein Unglück, son­dern eine orches­trier­te Ster­be­be­glei­tung. Die Bewei­se sind erdrü­ckend, über 15 Stun­den hin­weg wur­den lebens­ret­ten­de Maß­nah­men ver­wei­gert. Die Ver­ant­wort­li­chen müs­sen zur Rechen­schaft gezo­gen wer­den. Die Jus­tiz muss end­lich für Gerech­tig­keit sor­gen“, sagt Tareq Alaows, flücht­lings­po­li­ti­scher Spre­cher von PRO ASYL.

Der Ombuds­mann for­dert Ermitt­lun­gen gegen acht lei­ten­de Offi­zie­re der Küstenwache.

Ers­te gründ­li­che Unter­su­chung einer unab­hän­gi­gen Behörde

Für den nicht-öffent­li­chen Bericht, der dem zustän­di­gen Minis­te­ri­um zur Durch­füh­rung von Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men sowie dem Mari­n­ege­richt zur Ein­lei­tung von Straf­ver­fah­ren vor­ge­legt wur­de, sich­te­te der Ombuds­mann nach eige­nen Anga­ben 5.000 Sei­ten Beweis­ma­te­ri­al und hör­te zehn Füh­rungs­kräf­te der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che an. Es ist die ers­te gründ­li­che Unter­su­chung des Schiff­bruchs durch eine unab­hän­gi­ge grie­chi­sche Behörde.

Dass ein ver­such­tes Abschlepp­ma­nö­ver der Küs­ten­wa­che zum Unter­gang der Adria­na geführt hat, konn­te der Ombuds­mann nicht abschlie­ßend prü­fen, weil ihm „trotz wie­der­hol­ter ein­schlä­gi­ger Ersu­chen wich­ti­ge Beweis­mit­tel nicht offen­ge­legt“ wur­den. Zu den rele­van­ten Daten gehö­ren ins­be­son­de­re die Mobil­te­le­fon-Daten des Kapi­täns des unter­stüt­zen­den Küs­ten­wach­schif­fes sowie alle Gesprä­che mit der Ein­satz­zen­tra­le bis zum Ken­tern des Fische­rei­fahr­zeugs. Die Küs­ten­wa­che gab zu, dass die­se Daten ent­ge­gen den Vor­schrif­ten nicht digi­tal auf­ge­zeich­net wur­den, und dass die Kame­ra des ein­ge­setz­ten Schif­fes außer Betrieb war.

„Die feh­len­de Trans­pa­renz und Koope­ra­ti­on der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che schreit zum Him­mel. Es wur­de alles getan, um die Auf­klä­rung des hun­dert­fa­chen Todes zu ver­hin­dern“, sagt Alaows.

Hin­ter­grund

Beim Unter­gang des Fisch­kut­ters „Adria­na“ sind in der Nacht vom 14. Juni 2023 mehr als 600 Men­schen ertrun­ken, nur 104 Per­so­nen haben über­lebt. Unter den Über­le­ben­den sind kei­ne Frau­en und Kin­der. Die grie­chi­schen Behör­den wuss­ten bereits 15 Stun­den vor dem Unter­gang von dem Schiff. Ihnen war bekannt, dass zu die­sem Zeit­punkt schon zwei Kin­der an Bord des Schif­fes gestor­ben waren und die Men­schen drin­gend geret­tet wer­den muss­ten. Trotz­dem lei­te­ten die Behör­den bis zum Unter­gang des Schif­fes kei­ne geeig­ne­ten Ret­tungs­maß­nah­men ein. Über­le­ben­de berich­ten zudem über­ein­stim­mend, dass ein Manö­ver der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che, bei dem ein Seil an der „Adria­na“ befes­tigt wur­de, zum Unter­gang des Schif­fes geführt habe.

Der Bericht des Ombuds­manns reiht sich ein in eine Rei­he wei­te­rer Berich­te aus dem Vor­jahr, die Grie­chen­land eben­falls schwe­re Ver­säum­nis­se vor­wer­fen: Der Grund­rechts­be­auf­trag­te von Fron­tex hat nach einer ein­ge­hen­den Unter­su­chung den grie­chi­schen Behör­den ein ver­nich­ten­des Zeug­nis aus­ge­stellt und bestä­tigt, dass sie kei­ne geeig­ne­ten Maß­nah­men ergrif­fen haben, um die mehr als 750 Men­schen an Bord der „Adria­na“ zu ret­ten. Und auch die Euro­päi­sche Bür­ger­be­auf­trag­te hat ihre Besorg­nis über anhal­ten­de, sys­te­ma­ti­sche Grund­rechts­ver­let­zun­gen durch die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che zum Aus­druck gebracht.

Die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che selbst hat sich aus­drück­lich gewei­gert, eine inter­ne Unter­su­chung in Bezug auf eige­ne Ver­ant­wort­lich­kei­ten ein­zu­lei­ten. Die zustän­di­ge Staats­an­walt­schaft am Mari­n­ege­richt von Pirä­us hat zwar vor­läu­fi­ge Ermitt­lun­gen auf­ge­nom­men, dabei aber die Ver­ant­wor­tung hoch­ran­gi­ger Offi­zie­re der Küs­ten­wa­che nicht berück­sich­tigt. Die Ent­schei­dung des Chef­an­klä­gers am Mari­n­ege­richt von Pirä­us, ob Ankla­ge erho­ben wird, steht noch aus. Zudem wur­de im Zuge des Ver­fah­rens bekannt, dass ein­schlä­gi­ge Beweis­mit­tel nicht vor­han­den sind und hoch­ran­gi­ge Zeu­gen nicht gehört wurden.

Nach dem Schiff­bruch unter­stütz­te PRO ASYL 25 Über­le­ben­de, die Ange­hö­ri­ge in Deutsch­land haben, dabei, dass sie zu ihren Fami­li­en nach Deutsch­land kom­men konn­ten und hier einen Schutz­ti­tel erhalten.

40 Über­le­ben­de haben bereits drei Mona­te nach dem Tod von 600 Men­schen Straf­an­zei­ge gegen die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che ein­ge­reicht. Inzwi­schen haben sich wei­te­re Über­le­ben­de der Straf­an­zei­ge ange­schlos­sen. Unter­stützt wer­den sie dabei von der grie­chi­schen Schwes­ter­or­ga­ni­sa­ti­on von PRO ASYL, Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA), die im Ver­bund mit Anwält*innen ande­rer Orga­ni­sa­tio­nen die Kla­ge führt. Zu befürch­ten ist ein jah­re­lan­ges Ver­fah­ren bis hin zu höchs­ten Gerich­ten, wie das Ver­fah­ren beim ähn­lich gela­ger­ten Schiffs­un­ter­gang vor Farm­a­ko­ni­si 2014 zeigt, das mehr als acht Jah­re dauerte.

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