10.06.2022

Die Innenminister*innen der EU haben sich heu­te auf eine grund­le­gen­de Posi­ti­on zur vor­ge­schla­ge­nen Scree­ning-Ver­ord­nung geei­nigt. Das  könn­te die Situa­ti­on von Schutz­su­chen­den an den Außen­gren­zen zukünf­tig wei­ter ver­schär­fen. Denn über die im Vor­schlag ent­hal­te­ne Fik­ti­on der Nicht-Ein­rei­se könn­te Haft zur Stan­dard­maß­nah­me für Schutz­su­chen­de wer­den, warnt PRO ASYL.

Die EU-Innenminister*innen haben sich heu­te in Brüs­sel laut Medi­en­be­rich­ten sowohl auf einen frei­wil­li­gen Soli­da­ri­täts­me­cha­nis­mus für aus See­not geret­te­te Men­schen, als auch auf grund­le­gen­de Posi­tio­nen zur Scree­ning­ver­ord­nung und der Euro­dac-Ver­ord­nung, der Daten­bank zur Iden­ti­fi­ka­ti­on von Schutz­su­chen­den, geei­nigt. Bei­de Rechts­ak­te sind Teil des umstrit­te­nen Migra­ti­ons- und Asyl­pa­kets, den die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on im Sep­tem­ber 2020 vor­ge­stellt hat. Wie der fran­zö­si­sche Innen­mi­nis­ter Gérald Darm­a­nin bei Twit­ter ver­kün­det, wur­de zudem eine Eini­gung über die Schen­gen-Reform gefun­den. Die­se sieht ver­schärf­te Grenz­maß­nah­men vor, wenn es zu einer „Instru­men­ta­li­sie­rung“ von Migra­ti­on kommt.

PRO ASYL begrüßt zwar jeden Schritt, der es Schutz­su­chen­den ermög­licht, aus den schlech­ten Lebens­be­din­gun­gen in Erst­ein­rei­se­län­dern wie Grie­chen­land in ande­re Mit­glied­staa­ten zu kom­men. Doch gleich­zei­tig macht die­ser müh­sam errun­ge­ne Soli­da­ri­täts­me­cha­nis­mus, der auf frei­wil­li­ger Basis ent­we­der Auf­nah­me oder finan­zi­el­le Unter­stüt­zung der Mit­glied­staa­ten vor­sieht, die dop­pel­ten Stan­dards bei der Auf­nah­me unter­schied­li­cher Schutz­be­dürf­ti­ger beson­ders deutlich.

„Wäh­rend die EU bei der Auf­nah­me ukrai­ni­scher Kriegs­flücht­lin­ge gezeigt hat, was mög­lich ist, wenn der poli­ti­sche Wil­le da ist, macht die Eini­gung beim heu­ti­gen Rat der Innenminister*innen ein­mal mehr deut­lich: von einer Gleich­be­hand­lung aller Schutz­su­chen­den ist die EU weit ent­fernt. Anstatt allen die Mög­lich­keit ein­zu­räu­men, in dem Land ihrer Wahl Schutz zu suchen, muss für Geflüch­te­te, die nicht aus der Ukrai­ne kom­men, bereits eine mög­li­che Ver­tei­lung auf ande­re Mit­glied­staa­ten als die Erst­ein­rei­se­län­der hart erkämpft wer­den. Eine Abschaf­fung des Dub­lin-Sys­tems, um schutz­su­chen­de Men­schen zu ihren Com­mu­ni­ties rei­sen zu las­sen und Mit­glied­staa­ten mit Außen­gren­zen zu ent­las­ten? Fehl­an­zei­ge“, kom­men­tiert Wieb­ke Judith, Lei­te­rin des Teams Recht & Advo­ca­cy bei PRO ASYL.

Dass sich die Innenminister*innen gleich­zei­tig auf eine grund­le­gen­de Posi­ti­on zur vor­ge­schla­ge­nen Scree­ning-Ver­ord­nung geei­nigt haben, könn­te die Situa­ti­on von Schutz­su­chen­den an den Außen­gren­zen zukünf­tig wei­ter ver­schär­fen. Denn über die im Vor­schlag ent­hal­te­ne Fik­ti­on der Nicht-Ein­rei­se könn­te Haft zur Stan­dard­maß­nah­me für Schutz­su­chen­de wer­den. Rechts­staat­li­che Asyl­ver­fah­ren sind unter sol­chen Bedin­gun­gen an den Außen­gren­zen nicht mög­lich, wie PRO ASYL mehr­fach ange­mahnt hat, seit die Reform­vor­schlä­ge der Kom­mis­si­on für das Gemein­sa­me Euro­päi­sche Asyl­sys­tem auf dem Tisch liegen.

Doch damit nicht genug. Die Innenminister*innen haben sich auch auf eine Reform des Schen­ge­ner Grenz­ko­dex geei­nigt, durch die bei ver­meint­li­cher Instru­men­ta­li­sie­rung von flie­hen­den Men­schen die Grenz­si­che­rung ver­schärft wer­den soll und der Zugang zu Asyl an den Gren­zen erschwert wird. „Der heu­ti­ge Beschluss für eine Reform des Schen­ge­ner Grenz­ko­dex ist eine Steil­vor­la­ge für Mit­glied­staa­ten, die ihre ille­ga­len Push­backs euro­pä­isch legi­ti­mie­ren wol­len. Anstatt die­se men­schen­rechts­wid­ri­gen und oft bru­ta­len Zurück­wei­sun­gen auf den Tisch zu brin­gen, wer­den Mit­glied­staa­ten wie Polen, die wei­ter­hin an der Gren­ze zu Bela­rus hart gegen Schutz­su­chen­de vor­ge­hen, in ihrer flücht­lings­feind­li­chen Poli­tik durch den heu­ti­gen Beschluss sogar unter­stützt“, sagt Judith.

Auch wenn das Euro­päi­sche Par­la­ment bei den Ver­ord­nun­gen noch mit­spre­chen wird, so sind die­se Vor­stö­ße der EU-Innenminister*innen ein fata­les Zei­chen für den Schutz von Men­schen­rech­ten an Euro­pas Außen­gren­zen. PRO ASYL for­dert das Euro­päi­sche Par­la­ment dazu auf, sich sol­chen Ver­schär­fun­gen zu wider­set­zen und die Ent­wür­fe in die­ser Form abzulehnen.

Wei­te­re Hintergrundinformationen:

PRO ASYL zum New Pact on Migra­ti­on and Asyl­um: https://www.proasyl.de/news/ein-jahr-new-pact-eu-setzt-weiter-auf-abschottung/

Stu­die von PRO ASYL zum Flug­ha­fen­ver­fah­ren und der dor­ti­gen Anwen­dung der Fik­ti­on der Nicht-Ein­rei­se: https://www.proasyl.de/news/abgelehnt-im-nirgendwo-pro-asyl-studie-zeigt-probleme-von-grenzverfahren/?vgo_ee=sRopZ2ld%2BMs%2FTW%2BXgOAaJw%3D%3D

Eine Ein­ord­nung der Vor­schlä­ge der fran­zö­si­schen Rats­prä­si­dent­schaft hat der Euro­päi­sche Flücht­lings­rat ECRE erstellt: https://ecre.org/ecre-editorial-better-bad-worse-worst-approaches-the-asylum-reforms-after-ukraine/

Für eine detail­lier­te Kom­men­tie­rung der vor­ge­schla­ge­nen Reform des Schen­ge­ner Grenz­ko­dex sie­he: https://ecre.org/ecre-comments-on-the-commission-proposal-to-amend-the-schengen-borders-code/

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