08.06.2021

Anläss­lich der Sit­zung des EU-Rats der Jus­tiz- und Innenminister*innen am 8. Juni appel­liert PRO ASYL gemein­sam mit 13 wei­te­ren NGOs an die Bun­des­re­gie­rung und die Innenminister*innen Euro­pas, wei­te­re Geflüch­te­te aus Grie­chen­land auf­zu­neh­men. Zudem muss das Hot­spot-Expe­ri­ment auf grie­chi­schen Inseln been­det wer­den – also die de fac­to Fest­set­zung von schutz­su­chen­den Män­nern, Frau­en und Kin­dern unter men­schen­un­wür­di­gen Bedingungen.

In der gemein­sa­men Erklä­rung, die unter ande­rem von Ärz­te ohne Gren­zen, amnes­ty inter­na­tio­nal, Wohl­fahrts­ver­bän­den und Kin­der­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen unter­zeich­net ist, heißt es: „Die grie­chi­sche Regie­rung setzt auf Abschre­ckung, Abschot­tung und Abschie­bung, ins­be­son­de­re in die Tür­kei. Dies zei­gen auch die aktu­el­len Berich­te zu ille­ga­len Push­backs. Fai­re und rechts­staat­li­che Asyl­ver­fah­ren kön­nen auf den Inseln nicht gewähr­leis­tet wer­den.“ Des­halb ist es jetzt wich­tig, Geflüch­te­te von dort nach Deutsch­land zu brin­gen. Hier­für gibt es brei­te Unter­stüt­zung durch die Zivil­ge­sell­schaft. Die Bun­des­re­gie­rung hat Ende April die Auf­nah­me­pro­gram­me aus­lau­fen lassen.

Auf der Tages­ord­nung der Jus­tiz- und Innenminister*innen am Diens­tag ste­hen auch die Plä­ne des New Pact on Migra­ti­on. Die­ses Geset­zes­pa­ket sieht wei­te­re, dras­ti­sche Ver­schär­fun­gen des Asyl­rechts vor, zum Bei­spiel eine Aus­la­ge­rung der Asyl­ver­fah­ren sowie Schnell­ver­fah­ren an den EU-Grenzen.

Bereits jetzt wer­den haft­ähn­li­che Zen­tren an den EU-Außen­gren­zen errich­tet, die von der EU-Kom­mis­si­on und Grie­chen­land als  „Pilot-Pro­jek­te” ver­ein­bart wur­den. Wenn der New Pact on Migra­ti­on in sei­ner jet­zi­gen Form in Kraft tre­ten soll­te, wird das zur dau­er­haf­ten Situa­ti­on wer­den. Fai­re Asyl­ver­fah­ren sind unter die­sen Bedin­gun­gen nicht möglich.

Die Orga­ni­sa­tio­nen for­dern von der Bun­des­re­gie­rung, die Auf­nah­me von Geflüch­te­ten aus Grie­chen­land fort­zu­set­zen sowie für fai­re Asyl­ver­fah­ren unter Ein­hal­tung euro­päi­scher Stan­dards und Rech­te ein­zu­tre­ten – und Ver­fah­ren nicht an die Außen­gren­zen auszulagern.

Die gemein­sa­me Erklä­rung wur­de unter­zeich­net von: PRO ASYL, Cari­tas, Dia­ko­nie Deutsch­land, Amnes­ty Inter­na­tio­nal, Save the child­ren, Ärz­te ohne Gren­zen, Der Pari­tä­ti­sche Gesamt­ver­band, Equal Rights bey­ond bor­ders, Jesui­ten-Flücht­lings­dienst Deutsch­land, terre des hom­mes, Ärz­te der Welt, World Visi­on, AWO, und Deut­scher Anwaltsverein/ Arbeits­ge­mein­schaft Migrationsrecht.

Den vol­len Text der Erklä­rung fin­den Sie hier:

Die unter­zeich­nen­den Orga­ni­sa­tio­nen appel­lie­ren an die Bun­des­re­gie­rung, die Auf­nah­men Geflüch­te­ter aus Grie­chen­land fort­zu­set­zen und das Hot­spot-Expe­ri­ment end­gül­tig zu beenden!

Mit der Lan­dung des letz­ten Flugs mit Geflüch­te­ten aus Grie­chen­land am 22. April 2021 wur­den die offi­zi­el­len Auf­nah­me­pro­gram­me der Bun­des­re­gie­rung been­det. Rund 2.700 Men­schen wur­den inner­halb eines Jah­res aus Flücht­lings­la­gern in Grie­chen­land nach Deutsch­land gebracht. Für Grie­chen­land bedeu­ten die Auf­nah­men eine Ent­las­tung. Für alle auf­ge­nom­me­nen Men­schen bedeu­tet die Ankunft in Deutsch­land die Aus­sicht auf Sicher­heit und eine Zukunft – ins­be­son­de­re für die Kin­der. Nach wie vor gibt es vie­le wei­te­re, beson­ders vul­nerable Schutz­su­chen­de in den Flücht­lings­la­gern auf den grie­chi­schen Inseln, denen Deutsch­land hel­fen kann – und muss.

Trotz erheb­li­cher Geld­zah­lun­gen und Hilfs­lie­fe­run­gen sind die Lebens­um­stän­de für Geflüch­te­te in den Hot­spots auf den grie­chi­schen Inseln wei­ter­hin kata­stro­phal – sowohl was die Auf­nah­me­be­din­gun­gen als auch den Zugang zum Asyl­sys­tem betrifft. Es fehlt ins­be­son­de­re an adäqua­ten Unter­künf­ten und an medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung. Ärzt*innen berich­ten, wie die Men­schen nicht nur kör­per­lich, son­dern auch psy­chisch an ihrer Lage lei­den. Kin­der hören auf zu spre­chen, zu essen und zu spie­len. Sie haben teil­wei­se seit Jah­ren kei­nen Zugang zu Bil­dung. In den letz­ten Wochen wur­den zahl­rei­che neue Coro­na-Fäl­le aus den Camps gemel­det. Die Men­schen sit­zen fest, wäh­rend ihre Situa­ti­on hier­zu­lan­de zuneh­mend aus dem Blick gerät.

Die grie­chi­sche Regie­rung setzt auf Abschre­ckung, Abschot­tung und Abschie­bung, ins­be­son­de­re in die Tür­kei auf­grund des EU-Tür­kei-Deals. Dies zei­gen auch die aktu­el­len Berich­te zu ille­ga­len Push­backs. Fai­re und rechts­staat­li­che Asyl­ver­fah­ren kön­nen auf den Inseln nicht gewähr­leis­tet wer­den. Die Mög­lich­keit für pro­fes­sio­nel­le Rechts­be­ra­tung ist weit ab von urba­nen Zen­tren äußerst ein­ge­schränkt. Dass schutz­su­chen­de Men­schen psy­chisch zugrun­de gehen, wird durch den Bau soge­nann­ter „Mul­ti-Funk­ti­ons­la­ger“ durch die EU-Kom­mis­si­on und die grie­chi­sche Regie­rung an abge­le­ge­nen Orten auf den Inseln ver­ste­tigt. Es ist eine Illu­si­on, durch die Finan­zie­rung die­ser Zen­tren die men­schen­un­wür­di­ge Situa­ti­on grund­le­gend und struk­tu­rell ver­än­dern zu kön­nen. Hin­zu kommt: Selbst wenn ihr Asyl­ver­fah­ren erfolg­reich war, droht den Men­schen Ver­elen­dung, wie unter ande­rem Ober­ver­wal­tungs­ge­rich­te in Deutsch­land fest­ge­stellt haben. Das zeigt: Eine men­schen­wür­di­ge Auf­nah­me vor Ort ist nicht möglich.

Dem Leid die­ser Men­schen steht die enor­me Auf­nah­me­be­reit­schaft der deut­schen Gesell­schaft gegen­über. Seit Jah­ren set­zen sich unzäh­li­ge Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, Kom­mu­nen und Kir­chen, Ver­ei­ne und Initia­ti­ven auf allen gesell­schaft­li­chen Ebe­nen uner­müd­lich für die Auf­nah­me wei­te­rer Schutz­su­chen­der von den grie­chi­schen Inseln ein. Der Weih­nachts­ap­pell vom Dezem­ber 2020, mit dem mehr als 240 Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te wei­te­re Auf­nah­men for­der­ten, das ste­tig wach­sen­de „Bünd­nis Städ­te Siche­rer Häfen“, sowie die kon­kre­ten Auf­nah­me­zu­sa­gen meh­re­rer Bun­des­län­der sind Bei­spie­le dafür. Auch die von der Bun­des­re­gie­rung ein­ge­setz­te „Fach­kom­mis­si­on Flucht­ur­sa­chen“ macht in ihrem Abschluss­be­richt deut­lich, dass für eine kurz­fris­ti­ge Been­di­gung der men­schen­un­wür­di­gen Ver­hält­nis­se an den EU-Außen­gren­zen die Auf­nah­me der Betrof­fe­nen das adäqua­te Mit­tel ist.

Wir for­dern daher von der deut­schen Bundesregierung: 

1. Die Auf­nah­me­pro­gram­me nach Deutsch­land fort­zu­set­zen: Deutsch­land hat ver­schie­de­ne Ver­fah­ren geschaf­fen, um schutz­be­dürf­ti­gen Men­schen aus den grie­chi­schen Flücht­lings­la­gern in geord­ne­ten Ver­fah­ren in Deutsch­land Schutz zu bie­ten. Die­se Auf­nah­me­pro­gram­me müs­sen fort­ge­setzt wer­den. Par­al­lel dazu müs­sen den auf­nah­me­be­rei­ten Bun­des­län­dern end­lich Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me für Geflüch­te­te aus Grie­chen­land ermög­licht werden.

2. Für eine lang­fris­ti­ge gemein­sa­me euro­päi­sche Lösung ein­zu­tre­ten, ohne sie zur Vor­be­din­gung zu machen: Auf euro­päi­scher Ebe­ne betei­li­gen sich der­zeit sech­zehn euro­päi­sche Staa­ten an den Auf­nah­men aus Grie­chen­land. Deutsch­land hat in die­sem Pro­zess eine tra­gen­de Rol­le inne. Ange­sichts der aku­ten Not­si­tua­ti­on vor Ort ver­bie­tet es sich, neue Auf­nah­men von euro­päi­schen Pro­gram­men abhän­gig zu machen. Eine Fort­set­zung der Auf­nah­men wür­de den euro­päi­schen Pro­zes­sen nicht ent­ge­gen­ste­hen, son­dern könn­te die­se – im Gegen­teil – unter­stüt­zen. Ange­sichts des enor­men und im euro­päi­schen Ver­gleich ein­zig­ar­ti­gen zivi­len Enga­ge­ments für wei­te­re Auf­nah­men in Deutsch­land soll­te die Bun­des­re­gie­rung wei­ter­hin vor­an­ge­hen und Schutz­su­chen­de in geord­ne­ten, men­schen­wür­di­gen Auf­nah­me- und Unter­brin­gungs­ver­fah­ren hel­fen und sich gegen­über ande­ren euro­päi­schen Staa­ten dafür ein­set­zen, dass auch deren Auf­nah­me­pro­gram­me fort­ge­führt und aus­ge­baut werden.

3. Kei­ne Grenz­ver­fah­ren an den euro­päi­schen Außen­gren­zen: Mit gro­ßer Sor­ge sehen wir den Bau qua­si-geschlos­se­ner Zen­tren an den EU-Außen­gren­zen, die von der EU-Kom­mis­si­on und Grie­chen­land als „Pilot-Pro­jek­te” ver­ein­bart wur­den. Dies nimmt die im „New Pact on Migra­ti­on and Asyl­um“ von der EU-Kom­mis­si­on vor­ge­schla­ge­nen Plä­ne, die eine Aus­wei­tung und eine ver­pflich­ten­de Durch­füh­rung von Grenz­ver­fah­ren vor­se­hen, vor­weg. Fai­re Asyl­ver­fah­ren sind unter die­sen Bedin­gun­gen nicht mög­lich und Frei­heits­ent­zug an der Außen­gren­ze ver­schlim­mert die Situa­ti­on der Per­spek­tiv- und Recht­lo­sig­keit. Wir for­dern von der Bun­des­re­gie­rung, für fai­re Asyl­ver­fah­ren unter Ein­hal­tung euro­päi­scher Stan­dards und Rech­te ein­zu­tre­ten – und Ver­fah­ren nicht an den Außen­gren­zen durchzuführen.

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