Anlässlich der Sitzung des EU-Rats der Justiz- und Innenminister*innen am 8. Juni appelliert PRO ASYL gemeinsam mit 13 weiteren NGOs an die Bundesregierung und die Innenminister*innen Europas, weitere Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen. Zudem muss das Hotspot-Experiment auf griechischen Inseln beendet werden – also die de facto Festsetzung von schutzsuchenden Männern, Frauen und Kindern unter menschenunwürdigen Bedingungen.
In der gemeinsamen Erklärung, die unter anderem von Ärzte ohne Grenzen, amnesty international, Wohlfahrtsverbänden und Kinderrechtsorganisationen unterzeichnet ist, heißt es: „Die griechische Regierung setzt auf Abschreckung, Abschottung und Abschiebung, insbesondere in die Türkei. Dies zeigen auch die aktuellen Berichte zu illegalen Pushbacks. Faire und rechtsstaatliche Asylverfahren können auf den Inseln nicht gewährleistet werden.“ Deshalb ist es jetzt wichtig, Geflüchtete von dort nach Deutschland zu bringen. Hierfür gibt es breite Unterstützung durch die Zivilgesellschaft. Die Bundesregierung hat Ende April die Aufnahmeprogramme auslaufen lassen.
Auf der Tagesordnung der Justiz- und Innenminister*innen am Dienstag stehen auch die Pläne des New Pact on Migration. Dieses Gesetzespaket sieht weitere, drastische Verschärfungen des Asylrechts vor, zum Beispiel eine Auslagerung der Asylverfahren sowie Schnellverfahren an den EU-Grenzen.
Bereits jetzt werden haftähnliche Zentren an den EU-Außengrenzen errichtet, die von der EU-Kommission und Griechenland als „Pilot-Projekte” vereinbart wurden. Wenn der New Pact on Migration in seiner jetzigen Form in Kraft treten sollte, wird das zur dauerhaften Situation werden. Faire Asylverfahren sind unter diesen Bedingungen nicht möglich.
Die Organisationen fordern von der Bundesregierung, die Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland fortzusetzen sowie für faire Asylverfahren unter Einhaltung europäischer Standards und Rechte einzutreten – und Verfahren nicht an die Außengrenzen auszulagern.
Die gemeinsame Erklärung wurde unterzeichnet von: PRO ASYL, Caritas, Diakonie Deutschland, Amnesty International, Save the children, Ärzte ohne Grenzen, Der Paritätische Gesamtverband, Equal Rights beyond borders, Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland, terre des hommes, Ärzte der Welt, World Vision, AWO, und Deutscher Anwaltsverein/ Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht.
Den vollen Text der Erklärung finden Sie hier:
Die unterzeichnenden Organisationen appellieren an die Bundesregierung, die Aufnahmen Geflüchteter aus Griechenland fortzusetzen und das Hotspot-Experiment endgültig zu beenden!
Mit der Landung des letzten Flugs mit Geflüchteten aus Griechenland am 22. April 2021 wurden die offiziellen Aufnahmeprogramme der Bundesregierung beendet. Rund 2.700 Menschen wurden innerhalb eines Jahres aus Flüchtlingslagern in Griechenland nach Deutschland gebracht. Für Griechenland bedeuten die Aufnahmen eine Entlastung. Für alle aufgenommenen Menschen bedeutet die Ankunft in Deutschland die Aussicht auf Sicherheit und eine Zukunft – insbesondere für die Kinder. Nach wie vor gibt es viele weitere, besonders vulnerable Schutzsuchende in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln, denen Deutschland helfen kann – und muss.
Trotz erheblicher Geldzahlungen und Hilfslieferungen sind die Lebensumstände für Geflüchtete in den Hotspots auf den griechischen Inseln weiterhin katastrophal – sowohl was die Aufnahmebedingungen als auch den Zugang zum Asylsystem betrifft. Es fehlt insbesondere an adäquaten Unterkünften und an medizinischer Versorgung. Ärzt*innen berichten, wie die Menschen nicht nur körperlich, sondern auch psychisch an ihrer Lage leiden. Kinder hören auf zu sprechen, zu essen und zu spielen. Sie haben teilweise seit Jahren keinen Zugang zu Bildung. In den letzten Wochen wurden zahlreiche neue Corona-Fälle aus den Camps gemeldet. Die Menschen sitzen fest, während ihre Situation hierzulande zunehmend aus dem Blick gerät.
Die griechische Regierung setzt auf Abschreckung, Abschottung und Abschiebung, insbesondere in die Türkei aufgrund des EU-Türkei-Deals. Dies zeigen auch die aktuellen Berichte zu illegalen Pushbacks. Faire und rechtsstaatliche Asylverfahren können auf den Inseln nicht gewährleistet werden. Die Möglichkeit für professionelle Rechtsberatung ist weit ab von urbanen Zentren äußerst eingeschränkt. Dass schutzsuchende Menschen psychisch zugrunde gehen, wird durch den Bau sogenannter „Multi-Funktionslager“ durch die EU-Kommission und die griechische Regierung an abgelegenen Orten auf den Inseln verstetigt. Es ist eine Illusion, durch die Finanzierung dieser Zentren die menschenunwürdige Situation grundlegend und strukturell verändern zu können. Hinzu kommt: Selbst wenn ihr Asylverfahren erfolgreich war, droht den Menschen Verelendung, wie unter anderem Oberverwaltungsgerichte in Deutschland festgestellt haben. Das zeigt: Eine menschenwürdige Aufnahme vor Ort ist nicht möglich.
Dem Leid dieser Menschen steht die enorme Aufnahmebereitschaft der deutschen Gesellschaft gegenüber. Seit Jahren setzen sich unzählige Bürgerinnen und Bürger, Kommunen und Kirchen, Vereine und Initiativen auf allen gesellschaftlichen Ebenen unermüdlich für die Aufnahme weiterer Schutzsuchender von den griechischen Inseln ein. Der Weihnachtsappell vom Dezember 2020, mit dem mehr als 240 Bundestagsabgeordnete weitere Aufnahmen forderten, das stetig wachsende „Bündnis Städte Sicherer Häfen“, sowie die konkreten Aufnahmezusagen mehrerer Bundesländer sind Beispiele dafür. Auch die von der Bundesregierung eingesetzte „Fachkommission Fluchtursachen“ macht in ihrem Abschlussbericht deutlich, dass für eine kurzfristige Beendigung der menschenunwürdigen Verhältnisse an den EU-Außengrenzen die Aufnahme der Betroffenen das adäquate Mittel ist.
Wir fordern daher von der deutschen Bundesregierung:
1. Die Aufnahmeprogramme nach Deutschland fortzusetzen: Deutschland hat verschiedene Verfahren geschaffen, um schutzbedürftigen Menschen aus den griechischen Flüchtlingslagern in geordneten Verfahren in Deutschland Schutz zu bieten. Diese Aufnahmeprogramme müssen fortgesetzt werden. Parallel dazu müssen den aufnahmebereiten Bundesländern endlich Landesaufnahmeprogramme für Geflüchtete aus Griechenland ermöglicht werden.
2. Für eine langfristige gemeinsame europäische Lösung einzutreten, ohne sie zur Vorbedingung zu machen: Auf europäischer Ebene beteiligen sich derzeit sechzehn europäische Staaten an den Aufnahmen aus Griechenland. Deutschland hat in diesem Prozess eine tragende Rolle inne. Angesichts der akuten Notsituation vor Ort verbietet es sich, neue Aufnahmen von europäischen Programmen abhängig zu machen. Eine Fortsetzung der Aufnahmen würde den europäischen Prozessen nicht entgegenstehen, sondern könnte diese – im Gegenteil – unterstützen. Angesichts des enormen und im europäischen Vergleich einzigartigen zivilen Engagements für weitere Aufnahmen in Deutschland sollte die Bundesregierung weiterhin vorangehen und Schutzsuchende in geordneten, menschenwürdigen Aufnahme- und Unterbringungsverfahren helfen und sich gegenüber anderen europäischen Staaten dafür einsetzen, dass auch deren Aufnahmeprogramme fortgeführt und ausgebaut werden.
3. Keine Grenzverfahren an den europäischen Außengrenzen: Mit großer Sorge sehen wir den Bau quasi-geschlossener Zentren an den EU-Außengrenzen, die von der EU-Kommission und Griechenland als „Pilot-Projekte” vereinbart wurden. Dies nimmt die im „New Pact on Migration and Asylum“ von der EU-Kommission vorgeschlagenen Pläne, die eine Ausweitung und eine verpflichtende Durchführung von Grenzverfahren vorsehen, vorweg. Faire Asylverfahren sind unter diesen Bedingungen nicht möglich und Freiheitsentzug an der Außengrenze verschlimmert die Situation der Perspektiv- und Rechtlosigkeit. Wir fordern von der Bundesregierung, für faire Asylverfahren unter Einhaltung europäischer Standards und Rechte einzutreten – und Verfahren nicht an den Außengrenzen durchzuführen.