22.09.2016

PRO ASYL for­dert Bun­des­län­der und Bun­des­tag auf, das Gesetz zu stoppen

Mit Bestür­zung nimmt PRO ASYL den  ges­tern im Kabi­nett beschlos­se­nen Gesetz­ent­wurf zur Ände­rung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes  der Bun­des­re­gie­rung zur Kennt­nis. PRO ASYL appel­liert an den Bun­des­tag und an die Bun­des­län­der, die­ses Gesetz nicht zu beschließen.

Deut­li­che Kür­zun­gen unter das Exis­tenz­mi­ni­mum, die Stär­kung des unse­li­gen Sach­leis­tungs­prin­zips ver­bun­den mit wei­te­ren indi­vi­du­el­len Kür­zun­gen wer­den eine dras­ti­sche Unter­ver­sor­gung der Men­schen zur Fol­ge haben. Die dau­er­haf­te Unter­brin­gung in gro­ßen Sam­mel­un­ter­künf­ten wird dadurch geför­dert, dass die Kom­mu­nen Flücht­lin­gen, die dort woh­nen, nun weni­ger Geld aus­zah­len müs­sen. PRO ASYL befürch­tet, dass einem klein­tei­li­gen Kür­zungs-Wild­wuchs in der loka­len Ver­wal­tungs­pra­xis bis hin zur Will­kür Vor­schub geleis­tet und so ins­ge­samt Inte­gra­ti­on und Teil­ha­be erheb­lich erschwert wird.

Äußerst frag­wür­dig ist, ob die neu­en Rege­lun­gen einer erneu­ten Ver­fas­sungs­prü­fung stand­hal­ten wür­den. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat 2012 fest­ge­stellt: „Die Men­schen­wür­de ist migra­ti­ons­po­li­tisch nicht zu rela­ti­vie­ren.“ Die Kon­se­quenz davon war ein Ende der jah­re­lan­gen Leis­tungs­kür­zun­gen bei Flücht­lin­gen durch das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz (Asyl­bLG) und die Anhe­bung der Asyl­bLG-Regel­leis­tun­gen auf (fast) das Hartz-IV-Niveau nach SGB II. Wäh­rend Hilfeempfänger*innen nach SGB-II/XII ab Janu­ar 2017 mit leich­ten Erhö­hun­gen rech­nen kön­nen, wird mit dem vor­lie­gen­den Ent­wurf erneut die Axt an die Exis­tenz­si­che­rung von Flücht­lin­gen gelegt.

Das Asyl­bLG wird  immer mehr zum Inte­gra­ti­ons­hin­der­nis:  Die Men­schen wer­den wie­der stär­ker durch Armut bewusst in ihren Hand­lungs­mög­lich­kei­ten beschränkt und durch Sach­leis­tun­gen ent­mün­digt. Die Pfle­ge zwi­schen­mensch­li­cher Bezie­hun­gen und eine lega­le Teil­ha­be am sozia­len und kul­tu­rel­len All­tag wer­den erschwert oder gar verhindert.

In einer ers­ten Ein­schät­zung kri­ti­siert PRO ASYL im Ein­zel­nen vor allem fol­gen­de Punkte:

  • Die Kür­zun­gen der Asyl­bLG-Leis­tun­gen bei allein­ste­hen­den Flücht­lin­gen, die in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten leben müs­sen, sind sach­lich nicht zu recht­fer­ti­gen. Begrün­det wird die Kür­zung mit Ein­spar­ef­fek­ten durch eine gemein­schaft­li­che Haus­halts­füh­rung, die angeb­lich mit der eines Paar­haus­halts ver­gleich­bar sei. Dabei wird das Offen­sicht­li­che igno­riert: Dass es sich bei den Men­schen in staat­li­chen Unter­künf­ten gera­de nicht um frei­wil­li­ge, enge Lebens­part­ner­schaf­ten, son­dern um Zwangs­ge­mein­schaf­ten han­delt, die in der Regel auch nicht gemein­sam haus­hal­ten. Ein­spar­ef­fek­te durch die Kür­zun­gen erge­ben sich dort nicht, aber sicher bei den Behör­den: Zu befürch­ten ist, dass auch wegen die­ser neu­en Rege­lung vie­le Kom­mu­nen wei­ter­hin auf die krank machen­de und inte­gra­ti­ons­feind­li­che Zwangs­un­ter­brin­gung in Sam­mel­un­ter­künf­ten setzen.
  • Dass die Pau­scha­len für Woh­nungs­in­stand­hal­tung (Schön­heits­re­pa­ra­tu­ren) und Strom wer­den künf­tig vom aus­zu­zah­len­den Regel­satz abge­zo­gen wer­den, war schon bis­lang zum Teil gän­gi­ge Pra­xis. Es führt vor allem zu einem mas­siv erhöh­ten Auf­wand für die Ver­wal­tung wie auch die Betrof­fe­nen. Denn die­se Leis­tun­gen müs­sen dann jeweils geson­dert bean­tragt und als Geld- oder Sach­leis­tung zusätz­lich erbracht wer­den – ggf. müs­sen dann von der Ver­wal­tung sogar höhe­re tat­säch­li­che Kos­ten über­nom­men wer­den, als die Pau­scha­le beträgt. Für die Flücht­lin­ge bedeu­tet die vor­ge­se­he­ne Rege­lung zusätz­li­che, klein­tei­li­ge Antrags­ar­beit, sie nimmt ihnen die für Sozi­al­hil­fe­emp­fän­ger aus­drück­lich vor­ge­se­he­ne Mög­lich­keit, mit ihrem Bud­get zu haus­hal­ten, also z.B. durch einen sehr spar­sa­men Umgang mit Strom mehr Geld für Klei­dung zu haben.
  • Dar­über hin­aus sieht der Gesetz­ent­wurf die Mög­lich­keit wei­te­rer, indi­vi­du­el­ler Kür­zun­gen im Ein­zel­fall Pau­scha­len für Leis­tun­gen, die nicht nur ein­ma­lig oder kurz­fris­tig „ander­wei­tig gedeckt“ wür­den, sol­len vom Geld­be­trag abge­zo­gen wer­den. Hin­ge­wie­sen wird in die­sem Zusam­men­hang auf eine angeb­lich ana­lo­ge Rege­lung im SGB. Fakt ist aber, dass dort auch ein indi­vi­du­el­ler Mehr­be­darf berück­sich­tigt wird, der Asyl­bLG-Ent­wurf ent­hält dage­gen nur die Kürzungsmöglichkeit.

Die­se Rege­lung stellt einen wei­te­ren Schritt dar, die Aus­ga­be von Sach- statt Geld­leis­tun­gen zu beför­dern. Dabei war erst 2015 die Abkehr vom Sach­leis­tungs­prin­zip ver­ein­bart wor­den, als Teil eines poli­ti­schen Kom­pro­mis­ses, in des­sen Gegen­zug drei Bal­kan­staa­ten als „sicher“ defi­niert wor­den waren („Kret­sch­mann-Deal“). In der Pra­xis dürf­te die Rege­lung die klein­li­che Kür­zungs­phan­ta­sie von Wohn­heim­be­trei­bern und Kom­mu­nen beför­dern und einen Fli­cken­tep­pich unge­recht­fer­tig­ter Kür­zungs­pra­xen nach sich zie­hen. Schon in der Ver­gan­gen­heit wur­de Flücht­lin­gen, weil es WLAN in der Unter­kunft gab, die Pau­scha­le für Tele­kom­mu­ni­ka­ti­on kom­plett gestri­chen – rechts­wid­rig, wie das Sozi­al­ge­richt Lands­hut ein­deu­tig fest­stell­te. Mit sol­chen klein­tei­li­gen Fra­gen dürf­ten sich, soll­te der Asyl­bLG-Ent­wurf wie vor­lie­gend umge­setzt wer­den, künf­tig vie­le Gerich­te in zahl­lo­sen Fäl­len beschäftigen.

Der aktu­el­le Gesetz­ent­wurf belegt nun ein­mal mehr, dass das Asyl­bLG – einst aus­drück­lich erson­nen als Abschre­ckungs­in­stru­ment – nicht reform­fä­hig ist, son­dern immer wie­der, unter Zuhil­fe­nah­me immer neu­er Begrün­dun­gen, mit dis­kri­mi­nie­ren­dem Inhalt gefüllt wird.

Des­halb gilt, was PRO ASYL und ande­re Ver­bän­de und Orga­ni­sa­tio­nen seit vie­len Jah­ren for­dern: Das Asyl­bLG gehört abge­schafft, Flücht­lin­ge soll­ten sozi­al­recht­lich mit Arbeits­lo­sen und Sozi­al­hil­fe­emp­fän­gern gleich­ge­stellt werden.

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