PRO ASYL fordert Bundesländer und Bundestag auf, das Gesetz zu stoppen
Mit Bestürzung nimmt PRO ASYL den gestern im Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes der Bundesregierung zur Kenntnis. PRO ASYL appelliert an den Bundestag und an die Bundesländer, dieses Gesetz nicht zu beschließen.
Deutliche Kürzungen unter das Existenzminimum, die Stärkung des unseligen Sachleistungsprinzips verbunden mit weiteren individuellen Kürzungen werden eine drastische Unterversorgung der Menschen zur Folge haben. Die dauerhafte Unterbringung in großen Sammelunterkünften wird dadurch gefördert, dass die Kommunen Flüchtlingen, die dort wohnen, nun weniger Geld auszahlen müssen. PRO ASYL befürchtet, dass einem kleinteiligen Kürzungs-Wildwuchs in der lokalen Verwaltungspraxis bis hin zur Willkür Vorschub geleistet und so insgesamt Integration und Teilhabe erheblich erschwert wird.
Äußerst fragwürdig ist, ob die neuen Regelungen einer erneuten Verfassungsprüfung standhalten würden. Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 festgestellt: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Die Konsequenz davon war ein Ende der jahrelangen Leistungskürzungen bei Flüchtlingen durch das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und die Anhebung der AsylbLG-Regelleistungen auf (fast) das Hartz-IV-Niveau nach SGB II. Während Hilfeempfänger*innen nach SGB-II/XII ab Januar 2017 mit leichten Erhöhungen rechnen können, wird mit dem vorliegenden Entwurf erneut die Axt an die Existenzsicherung von Flüchtlingen gelegt.
Das AsylbLG wird immer mehr zum Integrationshindernis: Die Menschen werden wieder stärker durch Armut bewusst in ihren Handlungsmöglichkeiten beschränkt und durch Sachleistungen entmündigt. Die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und eine legale Teilhabe am sozialen und kulturellen Alltag werden erschwert oder gar verhindert.
In einer ersten Einschätzung kritisiert PRO ASYL im Einzelnen vor allem folgende Punkte:
- Die Kürzungen der AsylbLG-Leistungen bei alleinstehenden Flüchtlingen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben müssen, sind sachlich nicht zu rechtfertigen. Begründet wird die Kürzung mit Einspareffekten durch eine gemeinschaftliche Haushaltsführung, die angeblich mit der eines Paarhaushalts vergleichbar sei. Dabei wird das Offensichtliche ignoriert: Dass es sich bei den Menschen in staatlichen Unterkünften gerade nicht um freiwillige, enge Lebenspartnerschaften, sondern um Zwangsgemeinschaften handelt, die in der Regel auch nicht gemeinsam haushalten. Einspareffekte durch die Kürzungen ergeben sich dort nicht, aber sicher bei den Behörden: Zu befürchten ist, dass auch wegen dieser neuen Regelung viele Kommunen weiterhin auf die krank machende und integrationsfeindliche Zwangsunterbringung in Sammelunterkünften setzen.
- Dass die Pauschalen für Wohnungsinstandhaltung (Schönheitsreparaturen) und Strom werden künftig vom auszuzahlenden Regelsatz abgezogen werden, war schon bislang zum Teil gängige Praxis. Es führt vor allem zu einem massiv erhöhten Aufwand für die Verwaltung wie auch die Betroffenen. Denn diese Leistungen müssen dann jeweils gesondert beantragt und als Geld- oder Sachleistung zusätzlich erbracht werden – ggf. müssen dann von der Verwaltung sogar höhere tatsächliche Kosten übernommen werden, als die Pauschale beträgt. Für die Flüchtlinge bedeutet die vorgesehene Regelung zusätzliche, kleinteilige Antragsarbeit, sie nimmt ihnen die für Sozialhilfeempfänger ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit, mit ihrem Budget zu haushalten, also z.B. durch einen sehr sparsamen Umgang mit Strom mehr Geld für Kleidung zu haben.
- Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf die Möglichkeit weiterer, individueller Kürzungen im Einzelfall Pauschalen für Leistungen, die nicht nur einmalig oder kurzfristig „anderweitig gedeckt“ würden, sollen vom Geldbetrag abgezogen werden. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf eine angeblich analoge Regelung im SGB. Fakt ist aber, dass dort auch ein individueller Mehrbedarf berücksichtigt wird, der AsylbLG-Entwurf enthält dagegen nur die Kürzungsmöglichkeit.
Diese Regelung stellt einen weiteren Schritt dar, die Ausgabe von Sach- statt Geldleistungen zu befördern. Dabei war erst 2015 die Abkehr vom Sachleistungsprinzip vereinbart worden, als Teil eines politischen Kompromisses, in dessen Gegenzug drei Balkanstaaten als „sicher“ definiert worden waren („Kretschmann-Deal“). In der Praxis dürfte die Regelung die kleinliche Kürzungsphantasie von Wohnheimbetreibern und Kommunen befördern und einen Flickenteppich ungerechtfertigter Kürzungspraxen nach sich ziehen. Schon in der Vergangenheit wurde Flüchtlingen, weil es WLAN in der Unterkunft gab, die Pauschale für Telekommunikation komplett gestrichen – rechtswidrig, wie das Sozialgericht Landshut eindeutig feststellte. Mit solchen kleinteiligen Fragen dürften sich, sollte der AsylbLG-Entwurf wie vorliegend umgesetzt werden, künftig viele Gerichte in zahllosen Fällen beschäftigen.
Der aktuelle Gesetzentwurf belegt nun einmal mehr, dass das AsylbLG – einst ausdrücklich ersonnen als Abschreckungsinstrument – nicht reformfähig ist, sondern immer wieder, unter Zuhilfenahme immer neuer Begründungen, mit diskriminierendem Inhalt gefüllt wird.
Deshalb gilt, was PRO ASYL und andere Verbände und Organisationen seit vielen Jahren fordern: Das AsylbLG gehört abgeschafft, Flüchtlinge sollten sozialrechtlich mit Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern gleichgestellt werden.