Gesetzentwurf ebnet den Weg für überfallartige Abschiebungen und einen Lauschangriff auf Flüchtlinge
Zur heutigen Beratung des Gesetzesentwurfs eines »Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht« im Bundeskabinett kritisiert PRO ASYL den Entwurf scharf. Mit dem Gesetz soll ein weiterer Schritt unternommen werden, um Deutschland vom Aufnahmeland zum Abschiebeland umzubauen. »Mit dem Gesetz droht der „gläserne Flüchtling“ und eine Brutalisierung der Abschiebepraxis«, warnt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.
PRO ASYL appelliert insbesondere an Justizminister Maas, nicht erneut fadenscheinigen Beteuerungen des Bundesinnenministers Glauben zu schenken und sich der Beschlussfassung im Schweinsgalopp zu widersetzen. Der Gesetzentwurf soll bereits im März im Bundestag beschlossen werden.
PRO ASYL erinnert daran, dass zunächst auch die Wirkung des Asylpakets II (da vor allem Einschränkung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten) kleingeredet wurde – woraufhin die SPD dem Gesetzespaket zugestimmt hatte, mit der Folge, dass Zehntausende Flüchtlinge davon betroffen waren.
Zur ausführlichen Stellungnahme von PRO ASYL geht es hier.
Zur Kritik von PRO ASYL im Einzelnen:
Auslesen von persönlichen Handy-Daten. PRO ASYL befürchtet, dass das Auslesen persönlicher Daten aus Handys systematisch erfolgen wird und sich keineswegs allein auf die Feststellung von Identität und Staatsangehörigkeit von Schutzsuchenden beschränkt. Beispielsweise spricht der Referentenentwurf auch davon, dass »Reisewegangaben [von Asylsuchenden] oft nicht immer klar nachvollziehbar« seien (S. 22). Die Überprüfung des Reisewegs ist aber ein ganz anderer Zweck, als die Überprüfung der Identität. Das Innenministerium unterstellt, dass bei 50 bis 60 % der Asylsuchenden eine Auswertung der Datenträger angezeigt sei, was rund 150.000 betroffenen Personen entspricht. Mit der Reisewegs-Analyse verfolgt das BMI das Ziel, in großem Stil wieder Dublin-Abschiebungen in die Ersteinreisestaaten der EU vorzunehmen.
Der Gesetzentwurf kann sich zum »Großen Lauschangriff« gegen Flüchtlinge entwickeln. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem wegweisenden Urteil 2004 festgestellt, dass eine akustische Wohnraumüberwachung abgebrochen werden muss, wenn Daten aus dem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung erhoben werden (BVerfGE 109, 279). Dieser Grundsatz lässt sich auf das Grundrecht der Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme übertragen. Das Auslesen der Handys hält PRO ASYL für nicht vereinbar mit der Rechtsprechung des BVerfGE. Gerade Smartphones fungieren als Speicher absolut privater Daten, seien es private Fotos oder intime Konversationen. Mit der Speicherung und dem Auslesen der Smartphone-Daten würde das BAMF auch an Kontaktdaten von UnterstützerInnen oder an den Schriftverkehr zwischen Schutzsuchenden und ihren AnwältInnen kommen – ohne dass diese vorab eine persönliche Zustimmung zur Speicherung erteilt haben. Praktisch wird es für das Bundesamt kaum möglich sein eine Überprüfung von Smartphones vorzunehmen, ohne direkt auf höchstpersönliche Daten von Schutzsuchenden zu stoßen. Sogar der für die Maßnahme in jedem Fall notwendige richterliche Beschluss fällt weg – ein Verstoß gegen das Urteil des BVerfGE vom 4. Februar 2005.
Schaffung der Rechtsgrundlage für überfallartige Abschiebungen. Personen, die sich über einen längeren Zeitraum geduldet in Deutschland aufhalten, sollen überraschend abgeschoben werden können – ohne vorherige Ankündigung. Bislang musste bei Duldungen von länger als einem Jahr die Duldung zunächst widerrufen und die Abschiebung mindestens einen Monat vorher angekündigt werden (einmonatige Widerrufsfrist bei Abschiebungen nach § 60a Abs. 5 AufenthG). Das Bundesinnenministerium will diese Regelung im Aufenthaltsgesetz für bestimmte Personengruppen ersatzlos streichen. Schon bei den beiden vorangegangenen Sammelcharter-Abschiebungen nach Afghanistan im Dezember 2016 und Januar 2017 wurden auch langjährig Geduldete abgeschoben. Die Regelung soll für Personen gelten, die angeblich durch Identitätstäuschung oder durch Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen an die Mitwirkung ihre Aufenthaltsbeendigung verhindert oder – laut Gesetzesbegründung – »verzögert« haben (S.21). Es bleibt insbesondere offen, ob es sich um eine aktuelle Täuschungshandlung handeln muss oder nicht. Auch der Begriff der »zumutbaren« Anforderungen ist nicht weiter konkretisiert. In der Praxis wird Flüchtlingen immer wieder ohne belastbare Begründung vorgeworfen, ihre Abschiebung selbstverschuldet verhindert zu haben. Die Regelung ist so unscharf formuliert, dass sie ein Einfallstor für Willkür sein kann.
Wohnverpflichtung in (Erst-)Aufnahmeeinrichtungen: Bis zum Vollzug der Abschiebung sollen Schutzsuchende gezwungen werden, in der Erstaufnahme zu verbleiben. Die Länder werden ermächtigt, in Ländergesetzen eine entsprechende Gesetzesgrundlage zu schaffen. Entgegen der öffentlichen Darstellung ist dies nach Gesetzestext generell möglich. Nur in der Einleitung, nicht im Gesetzestext und in der Begründung ist die Rede von Asylsuchenden »ohne Bleibeperspektive«. Damit sind entgegen den öffentlichen Verlautbarungen potentiell alle betroffen. Ungeachtet dessen: Die Kategorisierung in Menschen »ohne Bleibeperspektive« ist ohnehin rechtlich nicht fassbar, da sie erst am Ende eines fairen Asylverfahrens feststeht.
Missachtung des Kindeswohls. Die Folge wäre, dass Bundesländer die Möglichkeit bekämen, auch Kinder und Jugendliche, die mit ihren Familien in Deutschland Asyl suchen, zeitlich unbegrenzt in Erstaufnahmeeinrichtungen unterzubringen. Damit wäre zum Beispiel einer großen Zahl von Kindern dauerhaft der Zugang zu Schulen verwehrt, befürchten PRO ASYL, UNICEF, BumF und weitere Organisationen. Zur gemeinsamen Stellungnahme geht es hier.
Ausweitung des Ausreisegewahrsams auf bis zu zehn Tage. Mit dem Ausreisegewahrsam wird ohne die übliche rechtsstaatliche Prüfung einzelner Haftgründe eine Abschiebungshaft angeordnet. Nach der EU-Rückführungsrichtlinie ist Fluchtgefahr der wesentliche Grund, aus dem ein Drittstaatsangehöriger zur Sicherung der Abschiebung inhaftiert werden darf (Art. 15 Abs. 1). Unter welchen Umständen von Fluchtgefahr ausgegangen werden kann, muss aber gesetzlich klar definiert sein. Wichtig ist dabei, dass Auffangtatbestände nach der Rückführungsrichtlinie nicht erlaubt sind (Art. 3 Nr. 7). Der Ausreisegewahrsam stellt einen solchen nicht definierten Haftgrund dar, der jetzt auch noch auf zehn Tage ausgeweitet wird. Eine derart lange Dauer ist überdies unverhältnismäßig und daher sowohl verfassungs- als auch europarechtlich unzulässig.
Abschiebehaft. Ein neuer Abschiebehaftgrund soll eingeführt werden, um Personen, von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, in Abschiebehaft zu nehmen. Doch was unter sog. Gefährdern zu verstehen ist, ist auch strafrechtlich höchst umstritten. Eine präventive Inhaftierung von Personen ohne hinreichenden Grund ist rechtsstaatlich unzulässig. Zudem werden Ausländerrecht und Strafrecht hier vermischt. Die Abschiebehaft darf nur zur Sicherstellung des Vollzugs der Abschiebung angeordnet werden. Die Abschiebehaft ist keine effektive und rechtlich zulässige Maßnahme zur Abwehr terroristische Gefahren. Diesen muss mit Mitteln der Strafverfolgung und des Strafrechts begegnet werden.
»Freiwillige Ausreise«. Systematischer Druck auf Asylsuchende zur Rücknahme des Asylantrags, des Verzichts auf Rechtsmittel mit dem Ziel der »freiwilligen Ausreise«. Diese Maßnahme soll die rechtlichen Änderungen begleiten.