Am Donnerstag, 8. Juni 2023, treffen sich die EU-Innenminister*innen in Luxemburg, um über massive Einschnitte beim europäischen Flüchtlingsrecht zu diskutieren. Weder steht eine Entlastung der Außengrenzstaaten über einen wirksamen Solidaritätsmechanismus zur Debatte, bei dem sich alle Mitgliedstaaten an einer Aufnahme von Geflüchteten beteiligen würden, noch scheint es menschenrechtliche rote Linien der Bundesregierung bei den Verhandlungen zu geben.
Kommt die Reform, so droht eine Aushebelung des Asylrechts in der EU, warnt PRO ASYL. Die Reform wird in Deutschland unter dem Eindruck einer zunehmend eskalierenden Debatte geführt. Aus der Zivilgesellschaft gibt es deutlichen Protest.
„Diese Woche zeigt sich, ob die Bundesregierung Flüchtlingsschutz und Menschenrechten auf Druck von rechts den Rücken kehrt. In einer Zeit, wo in der EU, aber auch in Deutschland das Asylrecht immer stärker unter Beschuss gerät, muss die Bundesregierung bei ihren menschenrechtlichen Vorgaben des Koalitionsvertrags bleiben. Wenn Innenministerin Faeser mit Zustimmung der anderen Ministerien einen solchen Kompromiss mitträgt, dann macht die Bundesregierung sich an der massivsten Asylrechtsverschärfung seit 30 Jahren mitschuldig“, kommentiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin bei PRO ASYL.
Was zur Debatte steht: Grenzverfahren auch für Kinder unter Haftbedingungen, Abschiebungen in unsichere Drittstaaten und keine echte Solidarität
Die aktuell zwischen den Mitgliedstaaten diskutierten Vorschläge sehen verpflichtende Grenzverfahren unter Haftbedingungen vor, von denen auch Kinder mit ihren Familien betroffen wären. Wünsche nach entsprechenden Ausnahmen für Kinder, wie zuletzt von deutschen Politiker*innen in Interviews gefordert, scheinen dort nicht mehrheitsfähig zu sein. Die erste Frage in solchen Grenzverfahren wäre nicht die nach den Fluchtgründen, sondern die nach der Fluchtroute und ob ein außereuropäischer Staat für die fliehende „sicher“ Person sei. Indem die Anforderungen an solche „sicheren Drittstaaten“ massiv herabgesenkt werden sollen und selbst Teilgebiete als „sicher“ deklariert werden können, könnte beinahe jeder autoritäre Staat gegen Geld den Flüchtlingsschutz für die EU übernehmen. Selbst Szenarien wie ein „EU-Ruanda-Deal“, ähnlich der Kooperation von Großbritannien mit dem afrikanischen Land, sind nicht gebannt, wenn es keine Verbindung der in der EU schutzsuchenden Person zu dem Drittland geben muss.
Die Reformvorschläge lösen auch nicht die unfaire Verantwortungsteilung auf EU-Ebene, die schon lange ein Hauptstreitpunkt ist. Die Verantwortung für die Asylverfahren und insbesondere für die Grenzverfahren unter Haftbedingungen liegt weiter bei den Außengrenzstaaten, das gescheiterte Dublin-System soll scharf gestellt werden und auch anerkannte Flüchtlinge umfassen. Einen wirksamen Solidaritätsmechanismus gibt es nicht, denn statt Flüchtlinge aufzunehmen, kann auch Geld zur Flüchtlingsabwehr an Drittstaaten gezahlt werden. „Das Grundproblem der europäischen Flüchtlingspolitik wird durch die Vorschläge gerade nicht gelöst, stattdessen verschärft es das Ungleichgewicht zwischen den Mitgliedstaaten. Die Außengrenzstaaten werden dann mit Pushbacks und ihrer Abschreckungspolitik durch unwürdige Lebensstandards weitermachen“, befürchtet Wiebke Judith.
Breiter Protest der Zivilgesellschaft gegen einen Kompromiss auf Kosten der Menschenrechte
„Die Bundesregierung darf keinem Ausverkauf des Flüchtlingsschutzes in der vagen Hoffnung zustimmen, andere Mitgliedstaaten würden sich dann wieder an – massiv verschlechtertes – EU-Recht halten. So gibt sie rechten und post-faschistischen Regierungen die Instrumente in die Hand, um den Flüchtlingsschutz de facto abzuschaffen. Die aktuellen Vorschläge sind Teil einer Abwärtsspirale der EU, was Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz angeht. Diesem Trend tritt man nur mit klarer Haltung entgegen – was in diesem Fall ein Nein in der Abstimmung bedeuten muss“, fordert Wiebke Judith.
Gegen die Pläne formiert sich in der deutschen Zivilgesellschaft ein starker Protest: Mehr als 60 Organisationen fordern, dass die Bundesregierung keine Kompromisse auf Kosten des Flüchtlingsschutzes eingeht, über 40 Organisationen mahnen, den Schutz von Kindern nicht zu vergessen, über 700 Anwält*innen und Jurist*innen appellieren in einem offenen Brief an die Bundesregierung, gegen die Reform zu stimmen. Auch viele Prominente aus Kultur und Kunst melden sich nun zu Wort.
Mehr Informationen finden sich im PRO ASYL FAQ zur Reform des europäischen Asylsystems.