16.05.2018

Mit Empö­rung reagie­ren PRO ASYL und die Flücht­lings­rä­te der Bun­des­län­der auf die jüngst bekannt gewor­de­nen Plä­ne von Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Horst See­ho­fer, der ein Netz von Lagern zur Unter­brin­gung und Aus­gren­zung von Asyl­su­chen­den in ganz Deutsch­land eta­blie­ren will (sie­he NOZ von heu­te). Damit wird das baye­ri­sche Modell einer lan­des­wei­ten Iso­la­ti­on von Geflüch­te­ten zur staat­li­chen Norm erho­ben. In Schnell­ver­fah­ren soll mit Asyl­an­trä­gen im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes »kur­zer Pro­zess« gemacht wer­den. Nicht ein­mal die in der Koali­ti­ons­ver­ein­ba­rung von CDU, CSU und SPD ver­ab­re­de­te Ein­füh­rung einer unab­hän­gi­gen Ver­fah­rens­be­ra­tung ist nach den aktu­el­len Plä­nen der Bun­des­re­gie­rung noch vor­ge­se­hen. Dabei hat­te das BAMF noch im Sep­tem­ber 2017 in sei­nem Eva­lua­ti­ons­be­richt, der offen­bar vom BMI bewusst noch nicht ver­öf­fent­licht wur­de, eine posi­ti­ve Bilanz gezo­gen und eine flä­chen­de­cken­de Ein­füh­rung der unab­hän­gi­gen Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung emp­foh­len (sie­he Eva­lua­ti­ons­be­richt Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung).

PRO ASYL und die Flücht­lings­rä­te for­dern die Bun­des­län­der auf, dem Bei­spiel Schles­wig-Hol­steins und eini­ger ande­rer Bun­des­län­der zu fol­gen und dem Lager­kon­zept des Bun­des­in­nen­mi­nis­ters eine kate­go­ri­sche Absa­ge zu ertei­len. Die lang­fris­ti­ge Unter­brin­gung in sol­chen – mit Sta­chel­draht gesi­cher­ten – Mas­sen­un­ter­künf­ten führt zu einer Stig­ma­ti­sie­rung der Men­schen, die in ihnen leben. Sie wer­den vom Kon­takt zur hier leben­den Bevöl­ke­rung qua­si aus­ge­schlos­sen. Deutsch­land ent­wi­ckelt sich vom Inte­gra­ti­ons- zum Aus­gren­zungs­land. Wer es ernst meint mit der Inte­gra­ti­on von Geflüch­te­ten von Anfang an, darf die Men­schen nicht 18 Mona­te lang in Lagern iso­lie­ren und so von Inte­gra­ti­ons­an­ge­bo­ten – Sprach­kur­sen, Aner­ken­nung von Zeug­nis­sen, Qua­li­fi­ka­ti­on und Arbeits­markt­in­te­gra­ti­on etc. – fern­hal­ten, war­nen PRO ASYL und Flücht­lings­rä­te. Der­zeit sehen PRO ASYL und die Flücht­lings­rä­te die Gefahr, dass in Deutsch­land die Feh­ler der 80er und 90er Jah­re wie­der­holt wer­den, als man schon ein­mal dar­auf gesetzt hat, bestimm­te Grup­pen wie etwa die Bür­ger­kriegs­flücht­lin­ge aus dem Liba­non durch eine mög­lichst schä­bi­ge Behand­lung und Aus­gren­zung in Lagern zu zer­mür­ben und zur »frei­wil­li­gen Aus­rei­se« zu drän­gen. Die­ses Kon­zept ist geschei­tert, aber es hat vie­len Flücht­lin­gen psy­chi­sche Schä­den zuge­fügt und die Kos­ten einer nach­träg­li­chen Inte­gra­ti­on in die Höhe getrieben.

Für voll­kom­men indis­ku­ta­bel hal­ten PRO ASYL und die Flücht­lings­rä­te auch das vom BMI ange­streb­te 48-Stun­den-Schnell­ver­fah­ren. Eine ver­nünf­ti­ge Vor­be­rei­tung und Bera­tung von Asyl­su­chen­den ist in einer sol­chen kur­zen Frist nicht mach­bar. Um Asyl­su­chen­de auf das Asyl­ver­fah­ren und vor allem die Anhö­rung vor­zu­be­rei­ten, braucht es zunächst Zeit! Eine qua­li­fi­zier­te Bera­tung ver­län­gert die Ver­fah­ren zwar um weni­ge Tage, trägt aber zu einer erheb­li­chen Stei­ge­rung der Effi­zi­enz und Qua­li­tät der Anhö­run­gen bei. Die­se Zeit will das BMI den Betrof­fe­nen aber nicht ein­räu­men. Die vom BMI vor­ge­se­he­ne Infor­ma­ti­on durch Mit­ar­bei­ten­de des BAMF gewähr­leis­tet kein fai­res Asyl­ver­fah­ren und ist nur ein Feigenblatt.

Leid­tra­gen­de des Lager­kon­zepts des Bun­des­in­nen­mi­nis­ters sind ins­be­son­de­re geflüch­te­te Kin­der und Jugend­li­che. 45 Pro­zent der Geflüch­te­ten in Deutsch­land sind min­der­jäh­rig. Zugang zu ele­men­ta­ren Kin­der­rech­ten wie Bil­dung, Teil­ha­be und Schutz blei­ben ver­wehrt. Schon jetzt wer­den Flücht­lings­kin­der aus so genann­ten »siche­ren Her­kunfts­län­dern« oft­mals nicht mehr auf die Kom­mu­nen ver­teilt und blei­ben in Ein­zel­fäl­len ein Jahr und län­ger ohne Schul­un­ter­richt in Deutsch­land. Auch die Erst­un­ter­brin­gung und Alters­ein­schät­zung von unbe­glei­te­ten min­der­jäh­ri­gen Geflüch­te­ten soll in die­sen Lagern für Erwach­se­ne – statt wie bis­her im Rah­men und in den Stan­dards der Kin­der- und Jugend­hil­fe – statt­fin­den. Dies stellt eine staat­lich ver­ant­wor­te­te Gefähr­dung des Kin­des­wohls dar. Der Vor­rang der Kin­der- und Jugend­hil­fe für jun­ge Flücht­lin­ge wür­de damit fak­tisch abgeschafft.

Hin­ter­grund:

Nach Infor­ma­tio­nen von PRO ASYL und Flücht­lings­rä­ten will der Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Ende Mai sein Kon­zept vor­stel­len. Infor­ma­tio­nen hier­zu wur­den aber infor­mell schon mit­ge­teilt. Zunächst sol­len fünf Pilot­pro­jek­te imple­men­tiert wer­den, im Gespräch sind Stand­or­te in Bay­ern (Bam­berg), Nord­rhein-West­fa­len (Müns­ter), Hes­sen (Gie­ßen) und Nie­der­sach­sen (Fal­ling­bos­tel und Bram­sche). Sach­sen und Sach­sen-Anhalt haben sich um Auf­nah­me in die Lis­te der fünf Modell­pro­jek­te bewor­ben. Dem Kon­zept zufol­ge sol­len die Zen­tren jeweils 1000 bis 1500 Per­so­nen auf­neh­men kön­nen. Vor­aus­set­zung sei ein »inte­grier­tes Rück­füh­rungs­ma­nage­ment« vor Ort. Durch Chip­kar­ten, über die jedes Ver­las­sen des Lagers regis­triert wer­de, soll eine Kon­trol­le der Geflüch­te­ten erfol­gen. Da die Anhö­rung inner­halb von 48 Stun­den erfol­gen soll, ist eine unab­hän­gi­ge Ver­fah­rens­be­ra­tung im Kon­zept bis­lang nicht vor­ge­se­hen. Das BMI denkt der­zeit allen­falls über eine Bera­tung »über BAMF-Mit­ar­bei­te­rIn­nen« nach. Flücht­lin­ge, die unter die Dub­lin-Ver­ord­nung fal­len könn­ten, sol­len sepa­riert und in spe­zi­el­len Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen unter­ge­bracht wer­den. Mit­tel­fris­ti­ges Ziel des BMI ist es, 40 AnkER-Zen­tren bun­des­weit zu errichten.

Das Kon­zept funk­tio­niert nach Auf­fas­sung von Fach­leu­ten nicht, weil es den Behör­den nicht gelingt, die Asyl­ver­fah­ren inner­halb von drei Mona­ten rechts­staat­lich abzu­schlie­ßen. Dies erklärt wohl die halt­lo­sen Angrif­fe von Alex­an­der Dob­rindt gegen die Rechts­schutz­ga­ran­tie des Grundgesetzes.Nur dank der Jus­tiz und der Arbeit von Rechtsanwält*innen und Unterstützer*innen gelingt es, in rund der Hälf­te aller Fäl­le erfolg­reich gegen feh­ler­haf­te Asyl­be­schei­de zu kla­gen. Offen­kun­dig ver­folgt die Bun­des­re­gie­rung des­halb die Ziel­set­zung, ein fai­res Asyl­ver­fah­ren und eine unab­hän­gi­ge Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung in den geplan­ten Auf­nah­me­la­gern gar nicht zuzulassen.

 

 

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