04.06.2025

Update: Der am 4. Juni 2025 im Kabi­nett beschlos­se­ne Gesetz­ent­wurf sieht ent­ge­gen vor­he­ri­ger Annah­me nur die Ein­stu­fung „siche­rer Her­kunfts­staa­ten“ per Rechts­ver­ord­nung vor. Neu hin­zu­ge­kom­men ist, dass der 2024 ein­ge­führ­te Pflicht­an­walt in der Abschie­bungs­haft abge­schafft wer­den soll.

Heu­te will das Kabi­nett über einen wei­te­ren, besorg­nis­er­re­gen­den asyl­po­li­ti­schen Gesetz­ent­wurf ent­schei­den: Bei der Ent­schei­dung, wel­che Län­der soge­nann­te siche­re Her­kunfts­staa­ten bezie­hungs­wei­se siche­re Dritt­staa­ten wer­den sol­len, sol­len künf­tig Bun­des­tag und Bun­des­rat umgan­gen wer­den. Das ist ver­fas­sungs­recht­lich höchst pro­ble­ma­tisch. Erst in der ver­gan­ge­nen Woche hat­te das Kabi­nett die zwei­jäh­ri­ge Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs für eine bestimm­te Flücht­lings­grup­pe beschlos­sen. Bei­de Gesetz­ent­wür­fe müs­sen noch vom Par­la­ment ver­ab­schie­det werden.

„Schlag auf Schlag will die neue Bun­des­re­gie­rung die Rech­te von Geflüch­te­ten wei­ter abbau­en. Mit ihrem neu­en Vor­stoß greift sie nicht nur das Recht auf ein fai­res Asyl­ver­fah­ren an, son­dern auch die ver­fas­sungs­recht­lich vor­ge­schrie­be­nen demo­kra­ti­schen Pro­zes­se für bestimm­te Geset­ze. Die Bestim­mung von angeb­lich siche­ren Her­kunfts- und Dritt­staa­ten erschwert es gefähr­de­ten Men­schen, den ihnen eigent­lich zuste­hen­den Schutz zu bekom­men. Zurecht sieht das Grund­ge­setz des­we­gen vor, dass sowohl Bun­des­tag als auch Bun­des­rat mit­be­stim­men. Das ist kei­ne unbe­que­me Hür­de, derer man sich mit vor­ge­scho­be­nen Argu­men­ten ent­le­di­gen soll­te, son­dern ein wich­ti­ges demo­kra­ti­sches Prin­zip“, so Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

PRO ASYL lehnt Kon­zep­te von soge­nann­ten siche­ren Staa­ten grund­le­gend ab, da sie dem Recht auf ein fai­res und unvor­ein­ge­nom­me­nes Asyl­ver­fah­ren dia­me­tral ent­ge­gen­ste­hen: „Siche­re Dritt­staa­ten“ ver­sper­ren den Zugang zu einer inhalt­li­chen Prü­fung der Flucht­grün­de; „siche­re Her­kunfts­staa­ten“ erhö­hen die Beweis­last für die Betrof­fe­nen so sehr, dass es kaum noch mög­lich ist, Schutz zu bekommen.

„Siche­re Staa­ten­kon­zep­te im Grund­ge­setz und Europarecht

Arti­kel 16a Grund­ge­setz sieht in bei­den Fäl­len vor, dass eine Ein­stu­fung als „sicher“ per Gesetz mit Zustim­mung des Bun­des­ra­tes erfol­gen muss. Gleich­zei­tig gibt es die Kon­zep­te auch im euro­päi­schen Recht, nament­lich in der Asyl­ver­fah­rens­richt­li­nie (zukünf­tig Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung, wenn ab Mit­te 2026 die Reform des Euro­päi­schen Asyl­sys­tems in Kraft tritt). Im EU-Recht wird vor­ge­ge­ben, wel­che Stan­dards ein­ge­hal­ten wer­den müs­sen, damit ein Land als „sicher“ gel­ten kann.
Das EU-Recht legt jedoch nicht fest, wie in den Mit­glied­staa­ten jewei­li­ge natio­na­le Lis­ten siche­rer Staa­ten fest­ge­legt wer­den. Es ist des­we­gen ein durch­sich­ti­ges Manö­ver der Bun­des­re­gie­rung, nun eine sepa­ra­te Lis­te siche­rer Her­kunfts- und Dritt­staa­ten nach dem EU-Recht anzu­le­gen und dabei auf die Umset­zung der euro­päi­schen Asyl­rechts­re­form zu ver­wei­sen. Ziel und Zweck ist ein­zig und allein, sich eines unlieb­sa­men deut­schen poli­ti­schen Pro­zes­ses zu entledigen.

Ver­fas­sungs­recht­lich pro­ble­ma­ti­sche Umge­hung von Bun­des­tag und Bundesrat.

Die­se Umge­hung des demo­kra­ti­schen Pro­zes­ses ist aus Sicht von PRO ASYL ver­fas­sungs­recht­lich höchst pro­ble­ma­tisch. Denn in den letz­ten Jah­ren hat sich immer wie­der gezeigt, wie wich­tig eine öffent­li­che Dis­kus­si­on über die Ein­stu­fung von Län­dern als „siche­re Her­kunfts­staa­ten“ ist. Der Bun­des­rat hat sich als wich­ti­ges Kor­rek­tiv für vor­ei­li­ge oder fal­sche Ent­schei­dun­gen erwie­sen. So schei­ter­te die Ein­stu­fung von Alge­ri­en, Marok­ko und Tune­si­en als „siche­re Her­kunfts­län­der“, weil der Bun­des­rat die­se wegen der dor­ti­gen Ver­stö­ße gegen die Men­schen­rech­te von quee­ren Men­schen ablehn­te. Auch garan­tiert das klas­si­sche Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren zumin­dest, dass bei der Sach­ver­stän­di­gen­an­hö­rung im Bun­des­tag Expert*innen zu den jewei­li­gen Län­dern ange­hört wer­den. Die­ser not­wen­di­ge demo­kra­ti­sche Dis­kurs wird bei einer Ein­stu­fung per Rechts­ver­ord­nung durch die Bun­des­re­gie­rung umgangen.

Hin­ter­grund: Was bedeu­ten „siche­re Staa­ten“ für die Schutzsuchenden?

Wenn eine asyl­su­chen­de Per­son aus einem „siche­ren Her­kunfts­staat“ kommt, dann besteht die gesetz­li­che Ver­mu­tung, dass es in dem Her­kunfts­land kei­ne asyl­re­le­van­te Ver­fol­gung gibt. Der pau­scha­le Ver­dacht: Wer aus einem siche­ren Her­kunfts­staat flieht, tut das aus „wirt­schaft­li­chen Grün­den“– also unbe­grün­det. Dabei wer­den immer wie­der Län­der als „sicher“ ein­ge­stuft, in denen Min­der­hei­ten dis­kri­mi­niert oder poli­ti­sche Oppo­si­tio­nel­le oder unter Druck gesetzt wer­den. Für sie ist es im Asyl­ver­fah­ren dann aber so gut wie unmög­lich, nach­zu­wei­sen, dass sie gefähr­det und somit nicht sicher sind.

Bei dem Kon­zept der „siche­ren Dritt­staa­ten“ geht es um die Fra­ge, ob die asyl­su­chen­de Per­son in einem ande­ren Land – wie einem EU-Mit­glied­staat oder einem außer­eu­ro­päi­schen Land – Schutz bekom­men könn­te. Wenn dies ange­nom­men wird, zum Bei­spiel weil die Per­son sich bereits in dem Land auf­ge­hal­ten hat, dann ver­liert sie hier­zu­lan­de das Recht auf ein inhalt­li­ches Asyl­ver­fah­ren. Ihr Asyl­an­trag wird also gar nicht erst inhalt­lich geprüft, son­dern for­mell als „unzu­läs­sig“ abge­lehnt. Dabei wird oft aus­ge­blen­det, dass es in der Rea­li­tät in sol­chen Dritt­staa­ten oft kei­nen effek­ti­ven Schutz für Geflüch­te­te gibt oder die Bedin­gun­gen so schlecht sind, dass die Schutz­su­chen­den dort im Elend leben würden.

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