Vor dem EU-Gipfel appelliert die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL eindringlich an die Staats- und Regierungschefs der EU, vom Türkei-Deal in der geplanten Form Abstand zu nehmen. „Schutzsuchende dürfen nicht sehenden Auges einem Staat ausgeliefert werden, der sie nicht schützen will“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.
Nach einer AFP-Meldung vom 9. März 2016 hat der türkische Ministerpräsident auf dem Rückflug vom EU-Türkei-Gipfel vor mitreisenden Journalisten erklärt, dass die Türkei syrische Flüchtlinge nach deren Rückkehr aus Griechenland in Lagern unterbringen, Nicht-Syrer hingegen in ihre jeweiligen Herkunftsländer abschieben werde. Der türkische Regierungschef erklärte wörtlich, „Nicht-Syrer, die wir in der Ägäis aufgreifen, schicken wir in ihre Heimatländer zurück.“ Burkhardt kritisiert: „Die Türkei ist kein ‚sicherer Drittstaat‘ im Sinne des EU- und des internationalen Flüchtlingsrechts.“
PRO ASYL stellt fest: Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und das EU-Recht gelten absolut – auch für die Bundeswehr im NATO-Einsatz. Wenn die NATO auf überfüllte Flüchtlingsboote trifft, besteht angesichts von mehr als 400 Toten in 2016 die Notwendigkeit, Menschen aus Seenot zu retten und auf griechisches Festland transportieren. Für die Bundeswehr gelten die EMRK und die EU-Grundrechtecharta genauso wie für die Bundespolizei. „Es gibt kein Handeln deutscher Beamter im rechtsfreien Raum“, so Günter Burkhardt. „Auch das Aufbringen und Zurückschleppen von Flüchtlingsbooten durch die NATO in die Türkei wäre rechtswidrig“.
Das „Rechtsgutachten zur unionsrechtlichen Zulässigkeit des Plans der Staats- und Regierungschefs der EU, die Türkei als „sicherer Drittstaat“ zu behandeln“ des renommierten Asylrechtsexperten Dr. Reinhard Marx legt dar, dass die Staaten bei Ausübung von Herrschaftsgewalt an Recht und Gesetz gebunden sind, auch außerhalb ihres Hoheitsgebietes. Der EGMR hat die extraterritoriale Wirkung der EMRK an Bord von Schiffen des Flaggenstaates anerkannt, so Gutachter Dr. Marx. Das Refoulementverbot gilt auch jenseits der Staatsgrenze (S.12). Das europäische Recht muss eingehalten werden. Vor Zurückschieben ist eine Einzelfallprüfung zwingend. Der Flüchtling muss darlegen können, dass die Türkei kein sicherer Drittstaat ist. Marx weist außerdem darauf hin, dass Artikel 19 Absatz 1 der EU-Grundrechtecharta ein Verbot von Kollektivausweisungen enthält.
Nach Art. 13 EMRK ist sicherzustellen, dass ein Flüchtling gegen die ihn belastende Entscheidung einen wirksamen Rechtsbehelf einlegen kann: „Es liegt auf der Hand, dass weder die verwaltungsrechtliche Prüfung noch die gerichtliche Kontrolle auf dem Rettungsboot des Mitgliedstaates, sondern nur auf seinem Hoheitsgebiet durchgeführt werden kann und einerseits Griechenland hierdurch verpflichtet wird, aufgegriffene Flüchtlinge in sein Staatsgebiet zu verbringen, andererseits der Union damit untersagt wird, mit der Türkei durch Abkommen oder auf sonstige Weise zu regeln, dass diese von den Mitgliedstaaten auf hoher See aufgegriffene Flüchtlinge ohne vorgängige Prüfung ihrer Sicherheit in der Türkei durch den betreffenden Mitgliedstaat, also Griechenland, zurückübernimmt“, so Dr. Marx (Seite 12).
„Die Türkei beachtet nicht das sogenannte Refoulementverbot: Nach diesem sind sowohl Abschiebungen sowie Zurückschiebungen an der Grenze verboten. Das türkische Recht verbietet es aber gerade nicht, schutzsuchende Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen (S.15).
Die Türkei hält das Refoulementverbot auch in der Praxis nicht ein. Berichte von Human Rights Watch und Amnesty International belegen die Menschenrechtsverletzungen an Schutzsuchenden durch türkische Behörden. Es kommt sowohl zu Abschiebungen von in der Türkei befindlichen Flüchtlingen als auch zu Zurückschiebungen an der Grenze. AI berichtet, dass türkische Behörden in der zweiten Jahreshälfte von 2015 mehr als hundert Menschen nach Syrien und in den Irak abgeschoben hätten. Des Weiteren wurden syrische Flüchtlinge an der Grenze nach Syrien zurückgewiesen.
Auch nach EU-Recht ist es verboten, die Türkei als „sicheren Drittstaat“ zu behandeln. Die Asylverfahrensrichtlinie der Europäischen Union sieht in Art. 38 und 39 vor, dass ein sicherer Drittstaat die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vollständig umgesetzt haben muss. Doch die Türkei hat die GFK mit einem sogenannten geographischen Vorbehalt versehen, der nur Flüchtlingen aus Europa einen Schutz nach der GFK gewährt.
Die Türkei muss für Flüchtlinge als „besonders unsicher“ eingestuft werden, so Marx.