14.03.2016

Vor dem EU-Gip­fel appel­liert die Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on PRO ASYL ein­dring­lich an die Staats- und Regie­rungs­chefs der EU, vom Tür­kei-Deal in der geplan­ten Form Abstand zu neh­men. „Schutz­su­chen­de dür­fen nicht sehen­den Auges einem Staat aus­ge­lie­fert wer­den, der sie nicht schüt­zen will“, sagt Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL.

Nach einer AFP-Mel­dung vom 9. März 2016 hat der tür­ki­sche Minis­ter­prä­si­dent auf dem Rück­flug vom EU-Tür­kei-Gip­fel vor mit­rei­sen­den Jour­na­lis­ten erklärt, dass die Tür­kei syri­sche Flücht­lin­ge nach deren Rück­kehr aus Grie­chen­land in Lagern unter­brin­gen, Nicht-Syrer hin­ge­gen in ihre jewei­li­gen Her­kunfts­län­der abschie­ben wer­de. Der tür­ki­sche Regie­rungs­chef erklär­te wört­lich, „Nicht-Syrer, die wir in der Ägä­is auf­grei­fen, schi­cken wir in ihre Hei­mat­län­der zurück.“ Burk­hardt kri­ti­siert: „Die Tür­kei ist kein ‚siche­rer Dritt­staat‘ im Sin­ne des EU- und des inter­na­tio­na­len Flüchtlingsrechts.“

PRO ASYL stellt fest: Die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EMRK) und das EU-Recht gel­ten abso­lut – auch für die Bun­des­wehr im NATO-Ein­satz. Wenn die NATO auf über­füll­te Flücht­lings­boo­te trifft, besteht ange­sichts von mehr als 400 Toten in 2016 die Not­wen­dig­keit, Men­schen aus See­not zu ret­ten und auf  grie­chi­sches Fest­land  trans­por­tie­ren. Für die Bun­des­wehr gel­ten die EMRK und die EU-Grund­rech­te­char­ta genau­so wie für die Bun­des­po­li­zei. „Es gibt kein Han­deln deut­scher Beam­ter im rechts­frei­en Raum“, so Gün­ter Burk­hardt. „Auch das Auf­brin­gen und Zurück­schlep­pen von Flücht­lings­boo­ten durch die NATO in die Tür­kei wäre rechtswidrig“.

Das „Rechts­gut­ach­ten zur uni­ons­recht­li­chen Zuläs­sig­keit des Plans der Staats- und Regie­rungs­chefs der EU, die Tür­kei als „siche­rer Dritt­staat“ zu behan­deln“  des renom­mier­ten Asyl­rechts­exper­ten Dr. Rein­hard Marx legt dar, dass die Staa­ten bei Aus­übung von Herr­schafts­ge­walt an Recht und Gesetz gebun­den sind, auch außer­halb ihres Hoheits­ge­bie­tes. Der EGMR hat die extra­ter­ri­to­ria­le Wir­kung der EMRK an Bord von Schif­fen des Flag­gen­staa­tes aner­kannt, so Gut­ach­ter Dr. Marx. Das Refou­le­ment­ver­bot gilt auch jen­seits der Staats­gren­ze (S.12). Das euro­päi­sche Recht muss ein­ge­hal­ten wer­den. Vor Zurück­schie­ben ist eine Ein­zel­fall­prü­fung zwin­gend.  Der Flücht­ling muss dar­le­gen kön­nen, dass die Tür­kei kein siche­rer Dritt­staat ist. Marx weist außer­dem dar­auf hin, dass Arti­kel 19 Absatz 1 der EU-Grund­rech­te­char­ta ein Ver­bot von Kol­lek­tiv­aus­wei­sun­gen enthält.

Nach Art. 13 EMRK ist sicher­zu­stel­len, dass ein Flücht­ling gegen die ihn belas­ten­de Ent­schei­dung einen wirk­sa­men Rechts­be­helf ein­le­gen kann: „Es liegt auf der Hand, dass weder die ver­wal­tungs­recht­li­che Prü­fung noch die gericht­li­che Kon­trol­le auf dem Ret­tungs­boot des Mit­glied­staa­tes, son­dern nur auf sei­nem Hoheits­ge­biet durch­ge­führt wer­den kann und einer­seits Grie­chen­land hier­durch ver­pflich­tet wird, auf­ge­grif­fe­ne Flücht­lin­ge in sein Staats­ge­biet zu ver­brin­gen, ande­rer­seits der Uni­on damit unter­sagt wird, mit der Tür­kei durch Abkom­men oder auf sons­ti­ge Wei­se zu regeln, dass die­se von den Mit­glied­staa­ten auf hoher See auf­ge­grif­fe­ne Flücht­lin­ge ohne vor­gän­gi­ge Prü­fung ihrer Sicher­heit in der Tür­kei durch den betref­fen­den Mit­glied­staat, also Grie­chen­land, zurück­über­nimmt“, so Dr. Marx (Sei­te 12).

„Die Tür­kei beach­tet nicht das soge­nann­te Refou­le­ment­ver­bot: Nach die­sem sind sowohl Abschie­bun­gen sowie Zurück­schie­bun­gen an der Gren­ze ver­bo­ten. Das tür­ki­sche Recht ver­bie­tet es aber gera­de nicht, schutz­su­chen­de Flücht­lin­ge an der Gren­ze zurück­zu­wei­sen (S.15).

Die Tür­kei  hält das Refou­le­ment­ver­bot auch in der Pra­xis nicht ein. Berich­te von Human Rights Watch und Amnes­ty Inter­na­tio­nal bele­gen die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an Schutz­su­chen­den durch tür­ki­sche Behör­den. Es kommt sowohl zu Abschie­bun­gen von in der Tür­kei befind­li­chen Flücht­lin­gen als auch zu Zurück­schie­bun­gen an der Gren­ze. AI berich­tet, dass tür­ki­sche Behör­den in der zwei­ten Jah­res­hälf­te von 2015 mehr als hun­dert Men­schen nach Syri­en und in den Irak abge­scho­ben hät­ten. Des Wei­te­ren wur­den syri­sche Flücht­lin­ge an der Gren­ze nach Syri­en zurückgewiesen.

Auch nach EU-Recht ist es ver­bo­ten, die Tür­kei als „siche­ren Dritt­staat“ zu behan­deln. Die Asyl­ver­fah­rens­richt­li­nie der Euro­päi­schen Uni­on sieht in Art. 38 und 39 vor, dass ein siche­rer Dritt­staat die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK) voll­stän­dig umge­setzt haben muss. Doch die Tür­kei hat die GFK mit einem soge­nann­ten geo­gra­phi­schen Vor­be­halt ver­se­hen, der nur Flücht­lin­gen aus Euro­pa einen Schutz nach der GFK gewährt.

Die Tür­kei muss für Flücht­lin­ge als „beson­ders unsi­cher“ ein­ge­stuft wer­den, so Marx.

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