16.08.2021

Anläss­lich der heu­ti­gen Eröff­nung einer 3‑Län­der-Abschie­be­haft­an­stalt in Nord­deutsch­land for­dert PRO ASYL ein Ende der „Abschie­be­ri­tis“. Die Bun­des­re­gie­rung muss Euro­pa­recht respek­tie­ren, rechts­staat­li­che Prin­zi­pi­en müs­sen auch für Geflüch­te­te gel­ten. Rechts­an­walt Peter Fahl­busch kri­ti­siert: „Rund die Hälf­te aller Men­schen sitzt zu Unrecht in Abschiebehaft“.

Heu­te geht die gemein­sa­me Abschie­be­haft­an­stalt von Schles­wig-Hol­stein, Ham­burg und Meck­len­burg-Vor­pom­mern in Glück­stadt in Betrieb. PRO ASYL kri­ti­siert, die ehe­ma­li­ge Mari­ne­ka­ser­ne ver­mitt­le durch Sport­plät­ze, Gebets­räu­me und Kicker­ti­sche den Ein­druck einer „schö­nen“ Abschie­be­haft, dies ver­schleie­re aber, dass dort Men­schen ein­ge­sperrt wer­den, die sich nichts haben zuschul­den kom­men las­sen. „Geflüch­te­te wer­den wie Straf­tä­ter behan­delt und in ihren Frei­heits­rech­ten beraubt. Abschie­be­haft wird immer mehr zum Regel­fall“, kom­men­tiert Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL.

Aktu­el­le Zah­len aus einer Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Anfra­ge der Lin­ken im Bun­des­tag bele­gen, dass vor allem Bay­ern, Bre­men, Ham­burg und Nie­der­sach­sen stark auf Abschie­be­haft set­zen. Mehr Haft führt aber nicht zu mehr Abschie­bun­gen, wie ein Blick in die Pra­xis zeigt: Ber­lin ließ im Jahr 2019 nur 18 Aus­rei­se­pflich­ti­ge in Haft set­zen – und schob doch 995 Men­schen ab.

Struk­tu­rel­le Miss­stän­de in der Abschiebehaft

Rechts­an­walt Peter Fahl­busch kri­ti­siert im Inter­view mit PRO ASYL die sys­te­ma­ti­sche Ent­rech­tung in Abschie­be­haft­an­stal­ten. „Wir spre­chen hier nicht von ein­zel­nen, bedau­er­li­chen Feh­lern, die gemacht wer­den – son­dern von struk­tu­rel­len Miss­stän­den“, so der Anwalt. Pro­ble­ma­tisch ist vor allem die Zahl der zu Unrecht Inhaf­tier­ten. Die­se wird von den Bun­des­län­dern nicht erfasst, wes­halb Fahl­busch eine eige­ne Sta­tis­tik erstellt hat. Seit 2001 hat der Anwalt bun­des­weit 2.141 Men­schen in Abschie­bungs­haft­ver­fah­ren ver­tre­ten. 1.089 die­ser Men­schen wur­den nach den vor­lie­gen­den rechts­kräf­ti­gen Ent­schei­dun­gen rechts­wid­rig inhaf­tiert (Stand: 6.8.2021). „Das sind 50,9 Pro­zent – eine absurd hohe Zahl“, kom­men­tiert Fahl­busch. Man­che von ihnen waren nur einen Tag, ande­re wochen- oder gar mona­te­lang inhaf­tiert. Im Durch­schnitt befand sich jede*r Mandant*in knapp vier Wochen zu Unrecht in Haft. Zusam­men­ge­zählt kom­men auf die 1.089 Gefan­ge­nen mehr als 78 Jah­re rechts­wid­ri­ge Haft.

Skan­da­lös ist auch, dass selbst die­je­ni­gen, die in Abschie­be­haft kom­men, kei­nen Pflicht­an­walt erhal­ten. „Anstatt immer neue Abschie­be­knäs­te zu bau­en und das The­ma popu­lis­tisch auf­zu­bau­schen, soll­ten Bund und Län­der dafür sor­gen, dass zumin­dest jedem Men­schen, der in Abschie­be­haft gesteckt wird, ein Anwalt zur Sei­te gestellt wird“, for­dert Gün­ter Burkhardt.

Euro­pa­rechts­wid­ri­ge Unterbringung

Laut der Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf die Anfra­ge der Lin­ken lag die Abschie­bungs­haft­ka­pa­zi­tät in Deutsch­land mit Stand Ende Mai 2021 bei 619 Plät­zen. Ende April 2017 waren es noch unter 400 Plät­zen gewe­sen. Den­noch spricht die Bun­des­re­gie­rung von einer unvor­her­seh­ba­ren „Not­la­ge“ bei Abschie­bungs­haft­plät­zen, wes­halb es den Län­dern gesetz­ge­be­risch bis Mit­te 2022 ermög­licht wur­de, Geflüch­te­te in regu­lä­ren Gefäng­nis­sen zu inhaf­tie­ren – eine Pra­xis, die euro­pa­rechts­wid­rig ist. Die Bun­des­re­gie­rung muss sich des­halb aktu­ell vor dem EuGH recht­fer­ti­gen, am 16. Sep­tem­ber wird hier­zu in Luxem­burg die münd­li­che Ver­hand­lung stattfinden.

Zum aus­führ­li­chen Inter­view mit dem Anwalt Peter Fahl­busch geh­t’s hier.

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