03.12.2024

PRO ASYL for­dert zur Innenminister*innenkonferenz (4. bis 6. Dezem­ber) ange­sichts der dra­ma­ti­schen Ent­wick­lun­gen in Syri­en einen sofor­ti­gen und bun­des­wei­ten Abschie­be­stopp in das Land. Wer­den Men­schen in die Kriegs­hand­lun­gen in Syri­en abge­scho­ben, dro­hen ihnen dort Ver­fol­gung, Fol­ter, unmensch­li­che Bestra­fung oder sogar Gefahr für Leib und Leben.

„Spä­tes­tens jetzt müs­sen die Innenminister*innen von Bund und Län­dern einen bun­des­wei­ten Abschie­be­stopp nach Syri­en beschlie­ßen. Die letz­ten Tage haben gezeigt, dass von Sta­bi­li­tät in Syri­en nicht gere­det wer­den kann und darf. Kriegs­hand­lun­gen, Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und Tötun­gen sind an der Tages­ord­nung, Syri­en ist nicht sicher“, sagt der flücht­lings­po­li­ti­sche Spre­cher von PRO ASYL Tareq Alaows.

In Deutsch­land lebt rund eine Mil­lio­nen Syrer*innen, die meis­ten mit einer befris­te­ten Auf­ent­halts­er­laub­nis (über 600.000), die sie zum Teil alle ein bis drei Jah­re ver­län­gern müssen.

Beson­ders Min­der­hei­ten sind in Gefahr

Meh­re­re bewaff­ne­te Grup­pen, dar­un­ter isla­mis­ti­sche Mili­zen, ange­führt von der dschi­ha­dis­ti­schen Ver­ei­ni­gung Hayat Tah­r­ir al-Sham (HTS), haben inner­halb von 72 Stun­den Alep­po ein­ge­nom­men. Die syri­sche Armee ist stark geschwächt, vie­le Sol­da­ten erge­ben sich, flie­hen oder lau­fen zu den Dschi­ha­dis­ten über. Gleich­zei­tig bom­bar­die­ren das Assad-Regime und Russ­land Orte und Städ­te ohne Rück­sicht auf Zivilist*innen. 440 Men­schen wur­den inner­halb von fünf Tagen nach Anga­ben der Syri­schen Beob­ach­tungs­stel­le für Men­schen­rech­te getötet.

Ein Groß­teil der syri­schen Bevöl­ke­rung hat Angst vor Unru­hen, Gewalt und Ver­sor­gungs­eng­päs­sen. Beson­ders gefähr­det sind reli­giö­se Min­der­hei­ten wie zum Bei­spiel Christ*innen und Drus*innen sowie eth­ni­sche Bevöl­ke­rungs­grup­pen wie die Kurd*innen. Sie fürch­ten Ver­fol­gung bei der Macht­über­nah­me durch isla­mis­ti­sche Kräf­te. Das Schick­sal der Kurd*innen in Alep­po ist völ­lig unge­wiss. Min­der­hei­ten ver­las­sen Alep­po aus Angst.

Die dschi­ha­dis­ti­sche Ver­ei­ni­gung Hayat Tah­r­ir al-Sham (HTS) mit engen Ver­bin­dun­gen zu Al-Qai­da gibt sich in den sozia­len Medi­en als mode­rat. Es muss aber auch damit gerech­net wer­den, dass sie nach der Eta­blie­rung ihrer Macht eine isla­mis­tisch-tota­li­tä­re Herr­schaft anstrebt. Das zeigt der Blick nach Idlib im Nord­wes­ten Syri­ens, der Stadt, die die Grup­pe seit 2017 besetzt hält: Dort wird die Zivil­be­völ­ke­rung stark unter­drückt, es gibt Angrif­fe gegen kri­ti­sche Journalist*innen, Zer­schla­gung von Demons­tra­tio­nen, und Frau­en­rech­te wer­den missachtet.

Abso­lu­tes Fol­ter­ver­bot ver­bie­tet Abschie­bun­gen nach Syrien

Die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on und die EU-Grund­rech­te­char­ta stel­len klar fest: Nie­mand darf abge­scho­ben wer­den, wenn nach der Abschie­bung Fol­ter oder unmensch­li­che oder ernied­ri­gen­de Behand­lung oder Bestra­fung dro­hen (Arti­kel 3 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on und Arti­kel 4 der EU-Grundrechtecharta).

Das gilt unein­ge­schränkt für alle Men­schen. Der wis­sen­schaft­li­che Dienst des Bun­des­ta­ges kommt im Bericht von März 2024 zu dem Fazit, dass „auf­grund der deso­la­ten Sicher­heits­la­ge und der vie­ler­orts pre­kä­ren huma­ni­tä­ren Lage in Syri­en und Afgha­ni­stan […] Art. 3 EMRK etwa­igen Abschie­bun­gen in die­se Staa­ten regel­mä­ßig ent­ge­gen­ste­hen [wird]“.

Deutsch­land darf nicht mit dem Fol­ter­staat kooperieren

Seit Jah­ren lässt Macht­ha­ber Assad Men­schen sys­te­ma­tisch fol­tern, rechts­wid­rig inhaf­tie­ren, töten oder ver­schwin­den – mehr als 100.000 Men­schen gel­ten als ver­misst. Rück­keh­ren­de wer­den oft als Ver­rä­ter behan­delt und erfah­ren bru­ta­le Sank­tio­nen durch das Regime. Auch jetzt reagiert das Assad-Regime mit Unter­drü­ckung: Grup­pen in Syri­en berich­ten, dass in den ver­gan­ge­nen Tagen mehr als 200 Men­schen ver­haf­tet und zwangs­wei­se in die Armee ein­ge­zo­gen wurden.

Zudem spie­len Abschie­bun­gen nach Syri­en dem dor­ti­gen Regime bei dem Ver­such in die Hän­de, sich inter­na­tio­nal Aner­ken­nung zu ver­schaf­fen. Auch der EU-Außen­be­auf­trag­te Josep Bor­rell bestä­tig­te Ende Mai 2024, dass die Bedin­gun­gen für eine siche­re und wür­di­ge Rück­kehr nach Syri­en nicht gege­ben sind: Denn Abschie­bun­gen nach Syri­en bedeu­ten eine Koope­ra­ti­on mit dem Assad-Regime, was die Sank­ti­ons­po­li­tik unter­gräbt und das Regime reha­bi­li­tiert, das eigent­lich für sei­ne Ver­bre­chen zur Rechen­schaft gezo­gen wer­den muss.

Wei­te­re For­de­run­gen von PRO ASYL an die Innenminister*innen

PRO ASYL appel­liert an die Innenminister*innen, zu einer men­schen­rechts­ach­ten­den Flücht­lings­po­li­tik zurück­zu­keh­ren und auf wei­te­re Restrik­tio­nen und ver­schärf­te Abschie­be­re­geln zu verzichten.

Ins­be­son­de­re ver­bie­ten sich Abschie­bun­gen beson­ders gefähr­de­ter Grup­pen und Abschie­bun­gen in Län­der, in denen Gefahr droht. Längst über­fäl­lig ist der Abschie­be­stopp in den Irak für Jesid*innen als Über­le­ben­de eines Völ­ker­mords sowie der Abschie­be­stopp in den Iran, in dem nach wie vor regime­kri­ti­sche Men­schen inhaf­tiert, gefol­tert und ermor­det werden.

Die vul­ner­ablen Grup­pen unter den Geflüch­te­ten müs­sen iden­ti­fi­ziert und geschützt wer­den – beson­ders geflüch­te­te Kin­der brau­chen mehr Schutz und Unterstützung.

Nötig sind end­lich men­schen­wür­di­ge Auf­nah­me­be­din­gun­gen und ein Aus­bau der Teil­ha­be­mög­lich­kei­ten für Flücht­lin­ge vom ers­ten Tag an (zum Bei­spiel Abschaf­fung aller Arbeitsverbote).

Eine men­schen­wür­di­ge Ver­sor­gung von Geflüch­te­ten ist uner­läss­lich, denn ein men­schen­wür­di­ges Exis­tenz­mi­ni­mum muss für alle in Deutsch­land gleich gel­ten – grup­pen­dis­kri­mi­nie­ren­de Maß­nah­men wie die Bezahl­kar­te und Sozi­al­leis­tungs­kür­zun­gen müs­sen zurück­ge­nom­men werden.

Bei der Umset­zung der ohne­hin flücht­lings­feind­li­chen GEAS-Reform muss mög­lichst auf mas­si­ve Ein­schnit­te in Grund- und Frei­heits­rech­te ver­zich­tet wer­den, die nach der­zei­ti­gen Plä­nen sogar die Inhaf­tie­rung von Kin­dern vor­se­hen. Die sta­tio­nä­ren Grenz­kon­trol­len und oft gewalt­vol­le Zurück­wei­sungs­pra­xis an den deut­schen Gren­zen muss been­det wer­den.

Wei­ter­füh­ren­de Infos
Flücht­lings­po­li­ti­sche Anlie­gen von PRO ASYL zur Innenminister*innenkonferenz Dezem­ber 2024
Gemein­sa­mes State­ment gegen Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan und Syri­en von PRO ASYL, dem Repu­bli­ka­ni­schen Anwäl­tin­nen- und Anwäl­te­ver­ein (RAV), der Neu­en Richter*innenvereinigung (NRV), der Arbeits­ge­mein­schaft Migra­ti­ons­recht im Deut­schen Anwalt­ver­ein (DAV) und den Flücht­lings­rä­ten der Bun­des­län­der, Juni 2024.

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