04.09.2017

PRO ASYL for­dert Blei­be­recht statt Abschie­bun­gen in Kriegs- und Krisengebiete

Im gest­ri­gen TV-Duell wur­den Mer­kel und Schulz mit der Aus­sa­ge kon­fron­tiert, es müs­se kon­se­quen­ter abge­scho­ben wer­den. Der pro­vo­ka­ti­ve Vor­wurf lau­te­te: Es gebe ins­ge­samt zu weni­ge Abschie­bun­gen – trotz gegen­tei­li­ger Ansa­gen. Die Mehr­heit der Aus­rei­se­pflich­ti­gen sei zu Unrecht in Deutschland.

Es han­delt sich hier­bei um eine wie­der­hol­te, fak­ten­freie Auf­la­ge der Pro­pa­gan­da vom Voll­zugs­de­fi­zit, wie sie oft von rechts­po­pu­lis­ti­scher Sei­te auf­ge­wor­fen wird. Durch die­se Ver­zer­rung wird eine sach­li­che Debat­te um Lösun­gen schwie­ri­ger. Schaut man sich die Zah­len und Fak­ten genau­er an, ist die Sach­la­ge kom­ple­xer als dargestellt.

PRO ASYL for­dert, sich rechts­po­pu­lis­ti­scher Auf­bau­sche­rei und Angst­ma­che­rei mit fal­schen Zah­len und Aus­sa­gen ent­schie­den und mit Klar­heit ent­ge­gen­zu­stel­len. Schon zu lan­ge wird in der Flücht­lings­fra­ge mit fal­schen Zah­len und Pro­gno­sen Stim­mung gegen Flücht­lin­ge gemacht. Durch die­se Ver­zer­rung wird eine sach­li­che Debat­te um Lösun­gen ver­hin­dert. PRO ASYL for­dert ein Blei­be­recht statt Abschie­bung in Kriegs- und Krisengebiete.

DIE MÄR VOM ANGEBLICHEN VOLLZUGSDEFIZIT LENKT VON UNGELÖSTEN PROBLEMEN AB

Die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen wird ver­mengt mit der Zahl der nach Ablauf des Asyl­ver­fah­rens Gedul­de­ten. Die Voll­zugs­de­fi­zit-Pro­pa­gan­da ver­stellt die im Inter­es­se der Gesamt­ge­sell­schaft und der Asyl­su­chen­den nöti­ge Blei­be­rechts­re­ge­lung. Es ist zu erwar­ten, dass die Zahl der Gedul­de­ten, also der­je­ni­gen, die aus guten Grün­den nicht abge­scho­ben wer­den dür­fen, in Zukunft zunimmt. Allein in die­sem Jahr wur­den rund 44.000 Afghan*innen und rund 18.000 Iraker*innen abge­lehnt. Es ist absurd anzu­neh­men, man kön­ne in gro­ßem Stil zehn­tau­sen­de abge­lehn­te Asyl­su­chen­de in Kriegs- und Kri­sen­re­gio­nen wie z.B. Afgha­ni­stan, Irak und ande­re zurück­ver­frach­ten. Eine Über­ar­bei­tung der Blei­be­rechts­re­ge­lung für län­ger Gedul­de­te muss nach der Bun­des­tags­wahl auf die Tagesordnung.

  • GNADENLOSE ÜBERZEICHNUNG DER ZAHLEN: DIE MEISTEN SIND ZURECHT HIER 

Zum Stich­tag 30. Juni 2017 waren 226.457 Per­so­nen aus­rei­se­pflich­tig (BT-Drs. 18/13218 vom 01.08.2017), von die­sen waren 159.678 Inha­ber einer Dul­dung. Ihre Abschie­bung wur­de also aus­ge­setzt. Als aus­rei­se­pflich­tig gel­ten näm­lich auch durch­aus Per­so­nen, die aus Rechts­grün­den nicht abge­scho­ben wer­den dür­fen – und nicht auf­grund laxen Behör­den­han­delns hier sind: Fami­liä­re oder medi­zi­ni­sche Grün­de kön­nen bei­spiels­wei­se zur Aus­set­zung der Abschie­bung füh­ren. Auch in Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­te wird oft­mals nicht abge­scho­ben, die Betrof­fe­nen wer­den behörd­lich geduldet.

  • WENIGER ALS DIE HÄLFTE DER AUSREISEPFLICHTIGEN KAMEN ALS ASYLSUCHENDE

Die Annah­me, dass alle Aus­reis­pflich­ti­gen auch Asyl­su­chen­de waren, ist falsch, denn ein »Flücht­lings­the­ma« ist das The­ma der Aus­rei­se­pflich­ti­gen nur in weni­ger als der Hälf­te aller Fäl­le. Dem­nach waren nur 103.397 der (damals 220.052) aus­rei­se­pflich­ti­gen Per­so­nen abge­lehn­te Asylbewerber*innen. Die Fak­ten stam­men aus der Beant­wor­tung einer Klei­nen Anfra­ge der Links-Frak­ti­on im Bun­des­tag zu unkla­ren Daten des Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ters (AZR) zu Aus­rei­se­pflich­ti­gen (BT-Drs. 18/12725 vom 14.06.2017) und bezieht sich auf die damals greif­ba­ren Zah­len zum Ende des ers­ten Quar­tals 2017. Nur 47% der Aus­rei­se­pflich­ti­gen hat­ten einen Asyl­an­trag gestellt – und davon sind die meis­ten (mehr als 75.000 von 103.397) geduldet.

  • NICHT VERZEICHNETE AUSREISEN

Von den rund 226.000 Aus­rei­se­pflich­ti­gen waren laut AZR-Sta­tis­tik 66.779 Per­so­nen ohne Dul­dung in Deutsch­land regis­triert. Doch sind sie über­haupt noch hier? Ein Groß­teil der Aus­rei­sen erfolgt ohne Mel­dung bei den Behör­den. Die Betrof­fe­nen keh­ren mög­li­cher­wei­se »frei­wil­lig«, aber ohne staat­li­che För­de­rung (dann wären sie ja erfasst) in ihr Her­kunfts­land zurück oder zie­hen in ande­re Staa­ten wei­ter. Die­se Infor­ma­tio­nen feh­len im AZR.

  • AZR: FUNDGRUBE VON UNKLARHEITEN

Im Übri­gen ist schon die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen an sich anzu­zwei­feln: Für die aktu­el­le Pro­pa­gan­da des Voll­zugs­de­fi­zits wer­den ganz über­wie­gend die Zah­len des Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ters her­an­ge­zo­gen. Die­ses aber ist eine Fund­gru­be von Unklar­hei­ten, Erfas­sungs­pro­ble­men und inter­pre­ta­ti­ons­be­dürf­ti­gen Begrif­fen, wie aus der Bun­des­tags­druck­sa­che 18/12725 her­vor­geht: Das Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter ist immer noch ein denk­bar schlech­ter Kron­zeu­ge für angeb­lich ver­säum­te Abschiebungen.

  • REGIERUNG KANN ZAHLEN NICHT ERKLÄREN

Eine Viel­zahl von Spei­cher­sach­ver­hal­ten konn­te die Bun­des­re­gie­rung gar nicht erklä­ren. Von mehr als 50.000 Aus­rei­se­pflich­ti­gen, die über kei­ne Dul­dung ver­füg­ten, hat­ten über 17.000 bereits seit drei Mona­ten kei­ne Dul­dung mehr, was recht­lich schwer vor­stell­bar ist und eben­falls dar­auf deu­tet, dass ein Teil von ihnen ohne Regis­trie­rung im AZR bereits aus­ge­reist ist.

Die Bun­des­re­gie­rung hat eine vier­stel­li­ge Zahl von unplau­si­blen AZR-Ein­trä­gen ein­ge­räumt. Zu Per­so­nen, die bereits wäh­rend lau­fen­der Asyl­ver­fah­ren Deutsch­land mög­li­cher­wei­se wie­der ver­las­sen haben, hat­te die Bun­des­re­gie­rung kei­ne vali­den Anga­ben anzu­bie­ten. Die Bun­des­re­gie­rung hat­te zuge­ge­ben, dass nicht offi­zi­ell regis­trier­te Aus­rei­sen zu sta­tis­tisch über­höh­ten Zah­len zu den angeb­lich noch in Deutsch­land leben­den Aus­rei­se­pflich­ti­gen füh­ren müssen.

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