17.02.2017

PRO ASYL: Klaf­fen­de Sche­re zwi­schen poten­zi­ell Anspruchs­be­rech­tig­ten und tat­säch­lich erteil­ten Aufenthaltstiteln

Der grü­ne Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Vol­ker Beck hat die Bun­des­re­gie­rung gefragt, wie vie­le Gedul­de­te bis­lang von der neu­en Blei­be­rechts­re­ge­lung nach § 25a und 25b Auf­ent­halts­ge­setz (Auf­enthG) pro­fi­tie­ren konn­ten. Die nun ver­öf­fent­lich­ten Zah­len (BT-Druck­sa­che 18/10931) zei­gen die klaf­fen­de Sche­re zwi­schen den poten­ti­ell Anspruchs­be­rech­tig­ten auf der einen und den tat­säch­lich zuge­spro­che­nen Auf­ent­halts­rech­ten auf der ande­ren Seite.

Obwohl in Deutsch­land der­zeit 25.318 Men­schen seit mehr als acht Jah­ren sowie 33.121 Men­schen seit mehr als sechs Jah­ren gedul­det leben, haben nur 898 Gedul­de­te bun­des­weit ein Blei­be­recht nach § 25b Auf­ent­halts­ge­setz bekom­men – ins­ge­samt ein dün­nes Ergeb­nis. Auch bei der Blei­be­rechts­re­ge­lung für Jugend­li­che und jun­ge Her­an­wach­sen­de sind die Zah­len nicht zufrie­den­stel­lend. Ins­ge­samt leben 12.849 gedul­de­te Jugend­li­che seit mehr als vier Jah­ren in Deutsch­land, aber nur 3.225 haben eine Auf­ent­halts­er­laub­nis nach § 25a Auf­enthG erhal­ten. Damit ist die ursprüng­li­che Absicht, einen Groß­teil der Lang­zeit­ge­dul­de­ten einen Auf­ent­halts­sta­tus und eine kla­re Lebens­per­spek­ti­ve ein­zu­räu­men, geschei­tert. Geschei­tert ist damit ins­be­son­de­re die SPD, die sich die­ses The­mas in den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen zu Anfang der Legis­la­tur­pe­ri­ode ange­nom­men hat­te – als ein­zi­gem Reform­pro­jekt von Rele­vanz im Asylbereich.

Das The­ma muss den­noch auf der Tages­ord­nung blei­ben. Auch in Zukunft wird es Gedul­de­te geben, die aus einer Viel­zahl von Grün­den über vie­le Jah­re hin­weg nicht abge­scho­ben wer­den kön­nen – Grund genug, sich abseits aller Rhe­to­rik in Rich­tung ver­schärf­ter Abschie­bung Gedan­ken über eine wirk­sa­me­re Blei­be­rechts­re­ge­lung zu machen.

Eine dif­fe­ren­zier­te Aus­wer­tung der Wir­kung des Geset­zes von Sei­ten der Bun­des­re­gie­rung gibt es nicht. Mehr noch, die Bun­des­re­gie­rung will sich offen­bar mit den Män­geln der Blei­be­rechts­re­ge­lung gar nicht befas­sen: »Hier­zu lie­gen der Bun­des­re­gie­rung kei­ne Erkennt­nis­se vor«. Zwar ist die Umset­zung der Blei­be­rechts­re­ge­lung die Sache der Bun­des­län­der, aber die Bun­des­re­gie­rung könn­te sich die Fak­ten dort besorgen.

Für das Schei­tern der Blei­be­rechts­re­ge­lung gibt es aus Sicht von PRO ASYL eine Viel­zahl von Grün­den. Die erfor­der­li­chen Auf­ent­halts­zei­ten von acht Jah­ren bei Ein­zel­per­so­nen und sechs Jah­ren bei Eltern mit min­der­jäh­ri­gen Kin­dern sind sehr lang bemessen.

Die Inte­gra­ti­on muss zudem durch Sprach­kennt­nis­se und eine über­wie­gen­de Sicher­stel­lung des Lebens­un­ter­halts aus eige­ner Kraft nach­ge­wie­sen wer­den – bei­des ist für vie­le Betrof­fe­ne schwer zu schaf­fen. Außer­dem gibt es einen gesetz­li­chen Wider­spruch: Auf der einen Sei­te wird für den Anspruch auf das Blei­be­recht nur ein Sprach­ni­veau von A2 ver­langt, auf der ande­ren Sei­te müs­sen Gedul­de­te Kennt­nis­se über die Rechts­ord­nung und die Lebens­ver­hält­nis­se in Deutsch­land nach­wei­sen. Die­se sind oft mit einen schrift­li­chem Test ver­bun­den, den die Betrof­fe­nen mit einem A2-Niveau oft nicht bestehen kön­nen. Hin­zu kommt die nega­ti­ve Aus­wir­kung dis­kri­mi­nie­ren­der Prak­ti­ken, die der Gesetz­ge­ber für die Grup­pe der Gedul­de­ten beschlos­sen hat.

Die Auf­ent­halts­er­laub­nis kann wei­ter­hin ver­sagt wer­den, wenn der Aus­län­der die Abschie­bung durch vor­sätz­lich fal­sche Anga­ben oder durch die Täu­schung über die Iden­ti­tät ver­hin­dert oder ver­zö­gert hat. Dar­um wird häu­fig vor Gericht gestrit­ten; vie­le Aus­län­der­be­hör­den unter­stel­len schnell, dass die Gedul­de­ten es selbst zu ver­ant­wor­ten haben, dass die Abschie­bung nicht mög­lich ist. Recht­spre­chung- und Behör­den­pra­xis wir­ken so zusam­men, sodass die poli­ti­sche Absicht, die Ket­ten­dul­dung zu mini­mie­ren, ins Lee­re läuft.

Zu den all­ge­mei­nen Ertei­lungs­vor­aus­set­zun­gen für eine Auf­ent­halts­er­laub­nis gehört es, dass Päs­se vor­ge­legt wer­den. Hier schei­tern vie­le Geduldete.

Mit §25a Auf­enthG wur­de eine Blei­be­rechts­re­ge­lung für gut inte­grier­te Jugend­li­che und Her­an­wach­sen­de geschaf­fen, die nach vier­jäh­ri­gem Schul­be­such ein Blei­be­recht erhal­ten kön­nen. Da vie­le jun­ge Flücht­lin­ge erst mit 16 oder 17 Jah­ren in Deutsch­land ankom­men, kön­nen vie­le die­sen vier­jäh­ri­gen Schul­be­such nicht nach­wei­sen. Man­che wer­den ver­spä­tet ein­ge­schult oder für sie ent­fällt die Schul­pflicht. Da sie ihren Antrag vor Errei­chen des 21. Lebens­jahrs stel­len müs­sen, erklärt sich ver­mut­lich damit, war­um trotz fast 13.000 Gedul­de­ter unter 21 Jah­re rela­tiv weni­ge von der Rege­lung profitieren.

Ohne­hin ist der Sta­tus der Gedul­de­ten der­art pre­kär, dass vie­le Arbeit­ge­ber davon abse­hen, sie als Beschäf­tig­te ein­zu­stel­len – kann man sich doch nicht sicher sein, ob die Abschie­bung nicht doch irgend­wann voll­zo­gen wird. Der Dul­dungs­sta­tus: ein Teu­fels­kreis. Weil Gedul­de­te kei­nen siche­ren Auf­ent­halts­ti­tel haben, ist ihnen die wirt­schaft­li­che Exis­tenz­si­che­rung deut­lich erschwert, was wie­der­um ihre nach­hal­ti­ge Inte­gra­ti­ons­fä­hig­keit vor den Behör­den in Fra­ge stellt und dann zum Aus­schluss von einem Auf­ent­halts­ti­tel führt.

Zahl­rei­che wei­te­re in den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren geschaf­fe­ne Ver­schär­fun­gen im Asyl- und Auf­ent­halts­recht unter­gra­ben zusätz­lich das Pro­jekt einer stich­tags­un­ab­hän­gi­gen Blei­be­rechts­re­ge­lung. Asyl­su­chen­de aus angeb­lich »siche­ren Her­kunfts­län­dern« sind z.B. einem unbe­fris­te­ten Arbeits­ver­bot unter­wor­fen und von Inte­gra­ti­ons­kur­sen ausgeschlossen.

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