16.02.2016

Empört reagiert PRO ASYL auf die in der taz bekannt­ge­wor­de­nen Plä­ne von Win­fried Kret­sch­mann (Bündnis90/GRÜNE), der Ein­stu­fung von Alge­ri­en, Marok­ko und Tune­si­en als siche­re Her­kunfts­staa­ten zuzu­stim­men. Staa­ten, in denen gefol­tert wird, demo­kra­ti­sche Grund­rech­te miss­ach­tet und die Men­schen­rech­te von Min­der­hei­ten ver­letzt wer­den, sind kei­ne siche­ren Her­kunfts­staa­ten. „Wer die­ser Ein­stu­fung zustimmt, kann gleich einen Blan­ko­scheck aus­stel­len und die CSU  auf­for­dern, nach Belie­ben wei­te­re Staa­ten wie zum Bei­spiel die Tür­kei, Mali, Ukrai­ne oder ande­re auf die Lis­te zu set­zen“, sag­te Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL. Nach CDU, CSU und SPD machen nun auch füh­ren­de Grü­ne mit im „flücht­lings­feind­li­chen Über­bie­tungs­wett­be­werb“ wäh­rend des Wahl­kamp­fes, obwohl ein Par­tei­tag im Novem­ber 2015 beschlos­sen hat­te, von wei­te­ren Ein­stu­fun­gen siche­rer Her­kunfts­staa­ten abzusehen.

Der Kern des Asyl­ver­fah­rens ist die indi­vi­du­el­le Prü­fung des Antrags auf Schutz. Wer­den immer mehr Staa­ten zu siche­ren Her­kunfts­staa­ten ernannt, ist die Gefahr groß, dass immer mehr stan­dar­di­sier­te Ent­schei­dun­gen getrof­fen wer­den. Die will­kür­li­che Benen­nung immer wei­te­rer siche­rer Her­kunfts­staa­ten kann und darf nicht Teil von poli­ti­schen Deals sein. Die rote Linie des Rechts­staats wäre überschritten.

Die Men­schen­rechts­si­tua­ti­on in den betrof­fe­nen Staa­ten lässt eine Ein­stu­fung als siche­re Her­kunfts­staa­ten nicht zu, wenn man den Vor­ga­ben des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts folgt. PRO ASYL hat hier­zu eine umfang­rei­che Stel­lung­nah­me ver­fasst, in der die Men­schen­rechts­la­ge in den drei Maghreb-Staa­ten ana­ly­siert wird. In allen drei Staa­ten bestehen gra­vie­ren­de Men­schen­rechts­pro­ble­me, die eine Ein­stu­fung die­ser Staa­ten als sicher ver­bie­ten:  Die Todes­stra­fe besteht in allen drei Län­dern und wird von Gerich­ten ver­hängt; es kommt zu Fol­ter­fäl­len und extra­le­ga­len Tötun­gen, Demons­tra­ti­ons- und Mei­nungs­frei­heit sind nicht aus­rei­chend gewähr­leis­tet und die Rech­te von Frau­en oder Homo­se­xu­el­len wer­den miss­ach­tet. Die Bun­des­re­gie­rung beschö­nigt die Lage in den Län­dern und – ins­be­son­de­re im Fall von Tune­si­en – stellt z.B. das Bestehen von Fol­ter fest, ohne dar­aus eine Schluss­fol­ge­rung zu zie­hen. Mit den Anfor­de­run­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ist dies nicht vereinbar.

Geplant ist im Gegen­zug für die Ein­stu­fung, eine Alt­fall­re­ge­lung für anhän­gi­ge Asyl­ver­fah­ren zu schaf­fen und die Beschwer­de­mög­lich­kei­ten in asyl­recht­li­chen Eil­ver­fah­ren zu ver­bes­sern. Der Per­so­nen­kreis, der von der Alt­fall­re­ge­lung pro­fi­tie­ren könn­te, soll extrem eng gefasst sein. Der neue § 104 Abs. 8 Auf­enthG sichert Antrag­stel­le­rIn­nen ein Auf­ent­halts­recht zu, wenn sie vor dem 31.12.2013 in Deutsch­land ein­ge­reist sind, einen Asyl­an­trag gestellt haben, sich unun­ter­bro­chen in Deutsch­land auf­ge­hal­ten haben und nicht aus einem siche­ren Her­kunfts­staat kom­men (ein­schließ­lich der neu ein­ge­stuf­ten Maghreb-Staa­ten). PRO ASYL geht von weni­ger als 20.000 begüns­tig­ten Per­so­nen bei gegen­wär­tig 365.000 anhän­gi­gen Asyl­ver­fah­ren zum 31.12.2015 aus. Die Mini-Lösung löst nicht die struk­tu­rel­len Pro­ble­me beim BAMF.

Per­so­nen, die vor dem o.g. Stich­tag (31.12.2013) ein­ge­reist sind, haben schon jetzt einen Anspruch auf eine Ent­schei­dung über ihren Asyl­an­trag. In den ver­gan­ge­nen Mona­ten haben vie­le Asyl­be­wer­be­rIn­nen erfolg­reich Untä­tig­keits­kla­gen gegen das BAMF erho­ben, das ihre Asyl­an­trä­ge nicht bear­bei­tet hat­te. Im Klar­text: Kret­sch­manns Absich­ten betref­fen fast nur Fäl­le, in denen das Recht ohne­hin auf Sei­ten der Asyl­an­trag­stel­le­rIn­nen ist. Auf der ande­ren Sei­te steht mit der Ein­stu­fung siche­rer Her­kunfts­staa­ten eine gefähr­li­che Rege­lung mit Dauerwirkung.

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