23.11.2018

PRO ASYL zu Syri­en, Irak und Afgha­ni­stan: Flücht­lin­ge müs­sen ankom­men dürfen

PRO ASYL begrüßt die Fest­le­gung des Bun­des­inn­mi­nis­ters, dass gegen­wär­tig kei­ne Abschie­bun­gen nach Syri­en statt­fin­den kön­nen. Zugleich for­dert PRO ASYL, dass auch in die Her­kunfts­län­der Afgha­ni­stan und Irak kei­ne Abschie­bun­gen statt­fin­den dür­fen. Die Innen­mi­nis­ter müs­sen kom­men­de Woche auch für die­se Staa­ten einen Abschie­be­stopp beschließen.

Auf har­te Kri­tik stößt die bekannt­ge­wor­de­ne Absicht, die Frist zur Durch­füh­rung von Wider­rufs­ver­fah­ren für zwi­schen 2015 und 2016 ein­ge­reis­te Flücht­lin­ge von drei auf fünf Jah­re zu ver­län­gern. Nach Medi­en­be­rich­ten soll SPD Innen­po­li­ti­ker Lisch­ka bereits zuge­stimmt haben. Damit wür­den vor allem Flücht­lin­ge aus Syri­en, Irak und Afgha­ni­stan getrof­fen, die die Haupt­her­kunfts­län­der in den Jah­ren 2015 und 2016 ausmachten.

»Men­schen müs­sen ankom­men dür­fen. So wird Unsi­cher­heit geschaf­fen, die Inte­gra­ti­on und das Hin­ein­wach­sen in unse­re Gesell­schaft ver­hin­dert«, sag­te Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL. Befris­te­te Abschie­be­stopps nach Syri­en, die Debat­te um for­cier­te Abschie­bun­gen in Kri­sen­ge­bie­te wie Afgha­ni­stan oder auch in den Irak sowie die Ver­län­ge­rung der Wider­rufs­frist auf fünf Jah­re füh­ren, so Burk­hardt, zu einem »Leben im Schwe­be­zu­stand. Die Gro­Ko fährt einen unver­ant­wort­li­chen Kurs. Die Men­schen wer­den zer­mürbt, Inte­gra­ti­on unnö­tig erschwert und Arbeit­ge­ber abge­schreckt, Flücht­lin­ge dau­er­haft aus­zu­bil­den und ein­zu­stel­len. Man muss den Ein­druck gewin­nen, dass dahin­ter Sys­tem steckt. Wenn  auf­grund der unsi­che­ren Zustän­de nicht kurz­fris­tig abge­scho­ben wer­den kann, dann hält man sich alle Hin­ter­tür­chen offen, um für Flücht­lin­ge das Ankom­men in Deutsch­land, eine Ver­fes­ti­gung des Auf­ent­halts­sta­tus  und ein Leben in Sicher­heit zu ver­hin­dern. Die Bun­des­län­der müs­sen sich dem wider­set­zen«, for­dert Burkhardt.

PRO ASYL appel­liert an die Innen­mi­nis­ter, eine auf Inte­gra­ti­on aus­ge­rich­te­te Wei­chen­stel­lung vor­zu­neh­men und den per­ma­nen­ten Aus­rei­se­druck zu been­den. In kei­nes der oben genann­ten Kri­sen­ge­bie­te sei mit­tel­fris­tig eine Rück­kehr einer hohen Zahl von Flücht­lin­gen aus Deutsch­land in Sicher­heit und Wür­de möglich.

Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen zu Afgha­ni­stan und Irak

Afgha­ni­stan: Abschie­bun­gen sind nicht vertretbar

Nach dem nun­mehr bereits vor Mona­ten vor­ge­leg­ten neu­en Lage­be­richt des Aus­wär­ti­gen Amtes, der Anlass gebo­ten hät­te, die aktu­el­le Abschie­bungs­pra­xis zu über­den­ken, müs­sen wir nun auf eine wei­te­re Ver­schlech­te­rung der Sicher­heits­si­tua­ti­on in Afgha­ni­stan hinweisen.

Nach einem aktu­el­len Bericht des Spe­cial Inspec­tor Gene­ral for Afgha­ni­stan Recon­s­truc­tion (SIGAR) hat sich die Zahl der von der afgha­ni­schen Regie­rung noch kon­trol­lier­ten Regio­nen wei­ter redu­ziert. Vor allem in umkämpf­ten Gebie­ten, aber auch in Groß­städ­ten wie Kabul fin­den bestän­dig »vio­lent events« statt. Mit Atta­cken auf Distrikt- und Pro­vinz­haupt­städ­te zei­gen die Tali­ban, dass auch in dicht bevöl­ker­ten städ­ti­schen Regio­nen der Über­gang von Gue­ril­lastra­te­gien zu flä­chen­de­cken­der ter­ri­to­ria­ler Kon­trol­le mög­lich ist. Allein infol­ge der aktu­el­len Par­la­ments­wah­len star­ben 56 Men­schen bei Anschlä­gen der Tali­ban, 379 wur­den ver­letzt. Die hohen Ver­lust- und Deser­ti­ons­ra­ten bei den afgha­ni­schen Sicher­heits­kräf­ten wer­fen die Fra­ge auf, wo und wie lan­ge der afgha­ni­sche Staat sei­ner Schutz­funk­ti­on noch gerecht wer­den kann.

Die­se und ande­re Sach­ver­hal­te hat das Flücht­lings­kom­mis­sa­ri­at der Ver­ein­ten Natio­nen (UNHCR) in sei­nen jüngs­ten Richt­li­ni­en (Eli­gi­bi­li­ty Gui­de­lines) vom 30. August 2018 berück­sich­tigt und für Kabul – in der deut­schen Recht­spre­chung immer noch eine theo­re­ti­sche Flucht­al­ter­na­ti­ve – eine Situa­ti­on gene­ra­li­sier­ter Gewalt fest­ge­stellt. Nach Ansicht des UNHCR kann die Regi­on Kabul gene­rell nicht mehr als inlän­di­sche Flucht­al­ter­na­ti­ve ange­se­hen wer­den. Dies ist auch bedingt durch die infra­struk­tu­rel­le Über­for­de­rung von Stadt und Regi­on, die ange­spann­te sozia­le Lage, Obdach­lo­sig­keit und offen­sicht­li­che Versorgungsprobleme.

PRO ASYL hält es für bedenk­lich, dass die Bun­des­re­gie­rung in der Beant­wor­tung einer Schrift­li­chen Fra­ge für Sep­tem­ber 2018 die recht­li­che Qua­li­tät von UNHCR-Richt­li­ni­en mit der Bemer­kung abtut, es hand­le sich bei der Ein­schät­zung des UNHCR, Kabul sei nicht sicher, um »eine blo­ße Emp­feh­lung«, statt sich mit den Inhal­ten der Richt­li­ni­en seri­ös aus­ein­an­der­zu­set­zen. Das wider­spricht gel­ten­den Regeln, wonach »genaue und aktu­el­le Infor­ma­tio­nen aus rele­van­ten Quel­len, wie etwa Infor­ma­tio­nen des Hohen Kom­mis­sars der Ver­ein­ten Natio­nen für Flücht­lin­ge (…) ein­ge­holt wer­den« müs­sen (Art. 8 Abs. 2 der EU-Qualifikationsrichtlinie).

Die der­zei­ti­ge Asy­l­ent­schei­dungs­pra­xis zeigt, dass ins­be­son­de­re bezüg­lich der inter­nen Flucht­al­ter­na­ti­ve beim Bun­des­amt und bei einem Teil der Ver­wal­tungs­ge­rich­te nicht sorg­sam geprüft wird, wo und für wen eine sol­che gege­ben ist und unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen sie über­haupt erreich­bar ist. Das The­ma wird in BAMF-Ent­schei­dun­gen aus jüngs­ter Zeit mit Text­bau­stei­nen und gerin­gem Dif­fe­ren­zie­rungs­grad behan­delt. Über fami­liä­re Unter­stüt­zungs­netz­wer­ke der Zurück­ge­führ­ten wird häu­fig ledig­lich spe­ku­liert. Indi­vi­du­el­le Gefähr­dungs­mo­men­te wer­den weit­ge­hend aus­ge­blen­det. Ins­be­son­de­re allein­ste­hen­de, jun­ge (gesun­de) Afgha­nen hält man ohne nähe­re Prü­fung der Umstän­de für fähig, sich in Kabul oder einer ande­ren Groß­stadt eine Exis­tenz auf­zu­bau­en, selbst wenn sie im Iran gebo­ren oder auf­ge­wach­sen sind und Afgha­ni­stan gar nicht kennen.

Vor dem Hin­ter­grund der ver­schärf­ten Sicher­heits­la­ge und der indi­vi­du­el­len Ver­fol­gungs­ge­fahr in Afgha­ni­stan for­dert PRO ASYL einen Abschiebungsstopp.

Irak – kei­ne Abschie­bung in eine nach wie vor unüber­sicht­li­che Situation

PRO ASYL begrüßt, dass der Wie­der­auf­bau im Irak von Sei­ten der Bun­des­re­gie­rung finan­zi­ell groß­zü­gig unter­stützt wer­den soll. Gleich­zei­tig scheint die Erwar­tung unrea­lis­tisch, dass nun­mehr eine kurz­fris­ti­ge Rück­kehr einer gro­ßen Zahl von Irak­flücht­lin­gen aus Deutsch­land und ande­ren EU-Staa­ten erwar­tet wer­den kann. Zwar gibt es eine nicht gerin­ge Anzahl von Rückkehrer*innen und Rück­kehr­ver­su­chen, ins­be­son­de­re in die vom IS befrei­ten Tei­le des Irak. Kaum jemand wagt jedoch zu pro­gnos­ti­zie­ren, wie die künf­ti­ge poli­ti­sche Ord­nung aus­se­hen könn­te, in der Men­schen nicht damit rech­nen müs­sen, erneut ver­folgt und ver­trie­ben zu wer­den. Das Ergeb­nis des Krie­ges ist ein Fli­cken­tep­pich von loka­len und regio­na­len Macht­ge­bie­ten, in denen es unklar ist, ob die reli­giö­se, eth­ni­sche oder tri­ba­le Zuge­hö­rig­keit die größ­te Rol­le spielt. Der Irak ist nach wie vor ein poli­tisch, kon­fes­sio­nell und ter­ri­to­ri­al tief gespal­te­nes Land, das als Gesamt­staat in sei­nen künf­ti­gen Kon­tu­ren noch kaum erkenn­bar ist. Neben den inner­i­ra­ki­schen Kon­flik­ten bleibt das Hin­ein­wir­ken ein­fluss­rei­cher exter­ner Akteu­re in den Irak ein Pro­blem. Der Anti-IS-Koali­ti­on gehö­ren Akteu­re mit unter­schied­li­cher Agen­da, wie die Tür­kei oder Sau­di-Ara­bi­en, an. Die geo­po­li­ti­schen Inter­es­sen Russ­lands und der USA sowie der grö­ße­ren regio­na­len Mäch­te Tür­kei und Iran tref­fen wei­ter­hin auf­ein­an­der – mit den Risi­ken erneu­ter Eskalationen.

Für den Irak und Syri­en gilt, dass es kaum irgend­wo wirk­sa­men staat­li­chen Schutz für die reli­giö­sen und eth­ni­schen Min­der­hei­ten gibt. Von der poli­ti­schen Desta­bi­li­sie­rung sind die­je­ni­gen stark betrof­fen, die sich kei­nem der gro­ßen Inter­es­sens­blö­cke zuord­nen kön­nen. Ob es über­haupt eine Zukunft in der Regi­on für Jesid*innen, Christ*innen, Alewit*innen und Kurd*innen – jeden­falls außer­halb des kur­di­schen Nord­irak – geben wird, ist unklar. Umso unver­ständ­li­cher ist es, dass es beim Bun­des­amt zu Ableh­nun­gen von Asyl­an­trä­gen jesi­di­scher Asyl­su­chen­der gekom­men ist, selbst sol­cher, die vom Völ­ker­mord des Jah­res 2014 betrof­fen waren und ihm gera­de noch ent­kom­men konnten.

PRO ASYL for­dert, kei­nen Aus­rei­se- und Abschie­bungs­druck gegen­über ira­ki­schen Flücht­lin­gen auszuüben.

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