30.01.2024

Am Frank­fur­ter Flug­ha­fen ist der­zeit ein Ira­ner nach einem Flug­ha­fen­asyl­ver­fah­ren akut von Abschie­bung bedroht. Nach dem Aus­lau­fen des Abschie­be­stopps Ende 2023 wird die Gefahr der Abschie­bun­gen in den Iran kon­kret – trotz der dor­ti­gen kata­stro­pha­len Menschenrechtslage. 

„Es ist ein Skan­dal, dass die Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz trotz der Hin­rich­tungs­wel­len im Iran und der anhal­ten­den mas­si­ven Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen den Abschie­be­stopp in das Land nicht ver­län­gert hat. Deutsch­land kann Abge­scho­be­nen nicht garan­tie­ren, im Iran nicht will­kür­lich inhaf­tiert oder in Haft gefol­tert zu wer­den – und darf des­we­gen auch kei­ne Abschie­bun­gen durch­füh­ren. Die­se dro­hen aber nun, am Frank­fur­ter Flug­ha­fen hat aktu­ell ein ira­ni­scher Mann gro­ße Angst vor sei­ner Rück­füh­rung“, sagt Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

Nach Schnell­ver­fah­ren droht Rück­füh­rung nach Teheran

Der ira­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge ist im Janu­ar 2024 per Flug­zeug aus Indi­en am Frank­fur­ter Flug­ha­fen ange­kom­men.* Im am Flug­ha­fen vor­ge­se­he­nen Asyl­schnell­ver­fah­ren wur­de sein Asyl­an­trag nach dem dort gän­gi­gen Vor­ge­hen inner­halb von zwei Tagen als angeb­lich „offen­sicht­lich unbe­grün­det“ abge­lehnt und ihm die Ein­rei­se ver­wei­gert. Aktu­ell wird von der Bun­des­po­li­zei eine Zurück­wei­sung in den Iran oder nach Indi­en (als Abflug­land) vorbereitet.

Das Flug­ha­fen­asyl­ver­fah­ren ist ein ver­kürz­tes Schnell­ver­fah­ren, wel­ches seit sei­ner Ein­füh­rung vor 30 Jah­ren immer wie­der von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen kri­ti­siert wird. „Wir haben uns schon seit jeher grund­sätz­lich gegen das Schnell­ver­fah­ren am Flug­ha­fen aus­ge­spro­chen und sehen immer wie­der Ableh­nun­gen als „offen­sicht­lich unbe­grün­det“, die so im nor­ma­len Asyl­ver­fah­ren nie erge­hen wür­den. Gera­de bei Schutz­su­chen­den aus Län­dern wie dem Iran ist es völ­lig unver­ant­wort­lich zu behaup­ten, dass ‚offen­sicht­lich‘ kei­ne Asyl­grün­de vor­lä­gen“, erklärt Tim­mo Sche­ren­berg, Geschäfts­füh­rer des Hes­si­schen Flüchtlingsrates.

Ver­sa­gen an allen Ecken: Vom Aus­wär­ti­gen Amt zum BAMF und zur Innenministerkonferenz

In der in dem Fall ergan­ge­nen Ent­schei­dung des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) wird in der Beur­tei­lung der Situa­ti­on im Iran allein auf Quel­len aus 2022 abge­stellt bzw. auf Quel­len, die sich auf Ereig­nis­se im Jahr 2022 bezie­hen. Auch der „aktu­ells­te“ Lage­be­richt des Aus­wär­ti­gen Amtes, der für die Ent­schei­dun­gen her­an­ge­zo­gen wird, ist vom Novem­ber 2022 und bil­det somit nicht die Ent­wick­lun­gen im Jahr 2023 seit dem Beginn der Pro­tes­te ab (sie­he hier­zu auch wei­ter unten).

„Es ist auch ein Ver­sa­gen des Aus­wär­ti­gen Amts, dass aktu­ell wie­der Abschie­bun­gen von Ira­nern vor­be­rei­tet wer­den. Es hilft den ira­ni­schen Men­schen in Deutsch­land, die Angst vor einer zwangs­wei­sen Rück­füh­rung haben, nicht, wenn Außen­mi­nis­te­rin Baer­bock zwar öffent­lich die ‚Bru­ta­li­tät des Regimes‘ anpran­gert, ihr Minis­te­ri­um es aber seit über einem Jahr nicht schafft, den für Asyl­ver­fah­ren und Abschie­bun­gen ent­schei­den­den Lage­be­richt zu aktua­li­sie­ren“, kri­ti­siert Judith.

PRO ASYL und der Hes­si­sche Flücht­lings­rat for­dern, dass die anhal­ten­den Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen im Iran in den Asyl­ver­fah­ren stär­ker berück­sich­tigt wer­den. Es kann nicht sein, dass unter ande­rem die star­ke Zunah­me von Hin­rich­tun­gen und die gene­rel­le Will­kür der staat­li­chen Repres­sio­nen nicht auf Basis aktu­el­ler Quel­len berück­sich­tigt wer­den. Der Lage­be­richt des Aus­wär­ti­gen Amtes muss drin­gend aktua­li­siert wer­den und die Bun­des­län­der müs­sen in Abspra­che mit dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um den Abschie­be­stopp erneu­ern. Die Orga­ni­sa­tio­nen appel­lie­ren zudem an Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser, kon­se­quent für die Ein­rei­se schutz­su­chen­der Iraner*innen einzutreten.

Abschie­bun­gen aus Hes­sen in den Iran – aktu­el­le Posi­ti­on ist unklar

Die letz­ten bekann­ten Rück­füh­run­gen in den Iran erfolg­ten im März 2023 (sie­he hier und hier), eben­falls nach Flug­ha­fen­ver­fah­ren in Frank­furt. Seit dem öffent­lich bekannt wer­den der Fäl­le durf­ten ira­ni­sche Schutz­su­chen­de nach Ankunft am Flug­ha­fen in das Bun­des­ge­biet ein­rei­sen, um ihr Schutz­ge­such im nor­ma­len Asyl­ver­fah­ren prü­fen zu las­sen. Dies scheint sich nun geän­dert zu haben. Da Per­so­nen im Flug­ha­fen­ver­fah­ren als „nicht ein­ge­reist“ gel­ten, han­delt es sich recht­lich um eine Zurück­wei­sung und nicht um eine Abschie­bung. Die Kon­se­quenz für die betrof­fe­ne Per­son ist die glei­che: Sie wird von Deutsch­land dem ira­ni­schen Aya­tol­lah-Regime ausgeliefert.

Hes­sen hat sich nach Antritt des neu­en Innen­mi­nis­ters noch nicht geäu­ßert, wie es wei­ter mit Abschie­bun­gen in den Iran ver­fah­ren wird. Der Land­tag hat­te sich in einer mit brei­ter Mehr­heit ver­ab­schie­de­ten Reso­lu­ti­on im Okto­ber 2022 gegen Abschie­bun­gen in den Iran aus­ge­spro­chen. „Wir appel­lie­ren an die Frak­tio­nen im Hes­si­schen Land­tag, die Reso­lu­ti­on zu erneu­ern und dafür zu sor­gen, dass aus Hes­sen auch wei­ter­hin kei­ne Men­schen in den Iran abge­scho­ben wer­den“, erklärt Scherenberg.

Hin­ter­grund zur Rele­vanz der Lage­be­rich­te und zur Lage im Iran

Die Berich­te des Aus­wär­ti­gen Amtes über die asyl- und abschie­bungs­re­le­van­te Lage in einem Land sind eine ent­schei­den­de Quel­le für das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge sowie für Gerich­te, wenn sie über Asyl­an­trä­ge ent­schei­den. Auch sind die­se Lage­be­rich­te in der Regel Grund­la­ge für die Innenminister*innen, wenn sie ent­schei­den, ob ein Abschie­be­stopp für Län­der ver­hängt oder ver­län­gert wird. Zum Bei­spiel ver­lang­te die Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz für das Land Syri­en halb­jähr­li­che Aktua­li­sie­run­gen des Lage­be­richts, um über den Abschie­bungs­stopp zu ent­schei­den. Für den Iran gibt es nur einen Bericht aus Novem­ber 2022, also kurz nach Beginn der Proteste.

Die Lage im Iran ist seit dem Tod von Jina Mah­sa Ami­ni und den dar­auf fol­gen­den Pro­tes­ten im Land bis heu­te von schwer­wie­gen­den Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen geprägt, dar­un­ter will­kür­li­che Ver­haf­tun­gen, grau­sa­me Fol­ter in den Gefäng­nis­sen und Hin­rich­tun­gen. Der ira­ni­sche Staat reagier­te auf die Pro­tes­te aus­schließ­lich mit Repres­sio­nen und Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen. So wur­den weit­rei­chen­de dras­ti­sche Geset­zes­ver­schär­fun­gen ein­ge­führt, um die Ver­schleie­rungs­pflicht durch­zu­set­zen. Erst ges­tern wur­den wei­te­re vier Män­ner hin­ge­rich­tet. Nach der Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Hen­gaw sind im Jahr 2023 min­des­tens 829 Per­so­nen hin­ge­rich­tet wor­den (im Jahr 2022 waren es 582 Per­so­nen), im Jahr 2024 laut Iran Human Rights bereits allein in dem Monat Janu­ar 67 Per­so­nen. Auch gehen die Behör­den ver­stärkt gegen die Fami­li­en der getö­te­ten Demons­trie­ren­den vor, um deren For­de­run­gen nach Gerech­tig­keit zu unterdrücken.

Bun­des­weit leben in Deutsch­land über 9.700 aus­rei­se­pflich­ti­ge Iraner*innen, davon über 8.600 mit einer Dul­dung (BT-Druck­sa­che 20/9931, S. 48). In Hes­sen leb­ten nach den letz­ten ver­öf­fent­lich­ten Zah­len über 1.100 aus­rei­se­pflich­ti­ge Iraner*innen (BT-Druck­sa­che 20/8046, S. 27).

*Zum Schutz des Betrof­fe­nen kön­nen PRO ASYL und der Hes­si­sche Flücht­lings­rat kei­ne wei­te­ren Aus­künf­te zu dem Ein­zel­fall geben. Die Akten lie­gen den Orga­ni­sa­tio­nen vor.

Alle Presse­mitteilungen