07.09.2024
Nach der Preisverleihung (von links nach rechts): Preisträger*innen Katarzyna De Wilde, Neil Falzon und Kirsten Gatt sowie Doris Peschke und Beate Wagner vom Stiftungsrat. Foto: PRO ASYL/Jonas Bickmann

Die Stif­tung PRO ASYL hat am heu­ti­gen Sams­tag, 7. Sep­tem­ber,  in Frank­furt am Main ihren Men­schen­rechts­preis an den mal­te­si­schen Anwalt Neil Fal­zon und die von ihm gegrün­de­te adit­us foun­da­ti­on (Mal­ta) ver­lie­hen. In ihrer Lau­da­tio beklag­te die Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Awet Tes­fai­esus, Geflüch­te­te wür­den in den aktu­el­len Debat­ten als „Ursa­che allen Übels“ ange­se­hen. Sie rief dazu auf, in die­ser auf­ge­heiz­ten Stim­mung Mit­mensch­lich­keit und Empa­thie zu bewahren.

Die Preis­trä­ger bezeich­ne­te Awet Tes­fai­esus als „Hüter unse­rer Mensch­lich­keit in der Gesell­schaft“, „Leucht­turm der Hoff­nung und als uner­müd­li­che Kraft im Kampf für die Rech­te von Geflüch­te­ten und Migranten“.Sie beton­te wei­ter: „In einer Zeit, in der die Her­aus­for­de­run­gen im Bereich Asyl und Migra­ti­on in Euro­pa immer kom­ple­xer wer­den, setzt sich adit­us mit bemer­kens­wer­ter Ent­schlos­sen­heit und Exper­ti­se für die­je­ni­gen ein, die selbst oft kei­ne wahr­nehm­ba­re Stim­me haben.“

Mit Mut, juris­ti­scher Exper­ti­se und Hartnäckigkeit

Mit der Aus­wahl des dies­jäh­ri­gen Preis­trä­gers posi­tio­nie­re PRO ASYL sich ein­deu­tig, so die Lau­da­to­rin wei­ter: „Wenn man sich ent­schei­den muss zwi­schen dem Zeit­geist und dem Geist der Auf­klä­rung, des Huma­nis­mus, wird nie­mand zwei­feln, wo PRO ASYL stand und steht. Uner­schro­cken und stand­haft erin­nert uns PRO ASYL dar­an, wo man ste­hen sollte.“

Zusam­men mit Vertreter*innen der adit­us foun­da­ti­on nahm Neil Fal­zon die Aus­zeich­nung ent­ge­gen – samt Skulp­tur und Urkun­de, in der die Ehrung begrün­det wird: „Mit ihrem her­aus­ra­gen­den Ein­satz zei­gen Neil Fal­zon und sei­ne Mitstreiter*innen gro­ßen Mut, juris­ti­sche Exper­ti­se und Hart­nä­ckig­keit, basie­rend auf der uner­schüt­ter­li­chen Über­zeu­gung, dass in einer Gesell­schaft JEDER Mensch Zugang (lat. adit­us) zu sei­nen grund­le­gen­den Rech­ten haben muss“, heißt es in der Urkunde.

Ver­wei­ge­rung von Soli­da­ri­tät in der EU

Preis­trä­ger Neil Fal­zon bedank­te sich für den Preis, der ein Schlag­licht auf die Situa­ti­on der Flücht­lin­ge in Mal­ta wer­fe. Das EU-Mit­glied Mal­ta fah­re mit Haft­la­gern und rechts­wid­ri­gen Zurück­wei­sun­gen (Push­backs) einen äußerst restrik­ti­ven und bru­ta­len Kurs gegen Flücht­lin­ge. Obwohl meh­re­re Kla­gen gegen den mal­te­si­schen Staat vor dem Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te erfolg­reich gewe­sen sei­en, bleibt ein „Groß­teil der rmal­te­si­schen Haft­be­din­gun­gen ille­gal und men­schen­un­wür­dig“, sag­te er.

Fal­zon beklag­te, dass die Ver­wei­ge­rung von Soli­da­ri­tät inner­halb der EU deren Wer­te zer­stö­re: „Trau­ri­ger­wei­se sind wir damit ver­traut, wie die abneh­men­de Bereit­schaft, Soli­da­ri­tät zu zei­gen und danach zu han­deln, lang­sam die See­le und das Herz der EU tötet, wenn es um den Schutz von Flücht­lin­gen geht.“ Das füh­re nicht nur zu einer Kri­se im Flücht­lings­sc­gutz, son­dern auch zu „einer viel umfas­sen­de­ren Kri­se: einer Kri­se, die seit lan­gem eta­blier­te Nor­men und Stan­dards des Regie­rens bedroht“.

Soli­da­ri­tät zwi­schen denen, die sich für die Rech­te von Geflüch­te­ten einsetzten 

So wür­den zum Bei­spiel die Unab­hän­gig­keit der Jus­tiz gefähr­det und Orga­ni­sa­tio­nen der Zivil­ge­sell­schaft „mit recht­li­chen, finan­zi­el­len und ande­ren admi­nis­tra­ti­ven Waf­fen“ ange­grif­fen. „Wir müs­sen uns auf sehr har­te Zei­ten ein­stel­len, die nicht nur den Flücht­lin­gen scha­den wer­den, son­dern auch unse­ren Orga­ni­sa­tio­nen, unse­ren Mit­ar­bei­tern und denen, die an unse­re Arbeit glau­ben“, sag­te Fal­zon. Umso wich­ti­ger sei die Soli­da­ri­tät zwi­schen denen, die sich für die Rech­te von Geflüch­te­ten ein­setz­ten:  „Wir müs­sen bereit sein, uns gegen­sei­tig zu unter­stüt­zen und für­ein­an­der ein­zu­ste­hen“, sag­te Neil Falzon.

Die Mitarbeiter*innen der 2011 gegrün­de­ten adit­us foun­da­ti­on, über­wie­gend Anwält*innen, ver­tre­ten Schutz­su­chen­de in Mal­ta recht­lich, auch vor natio­na­len und inter­na­tio­na­len Gerich­ten. Sie recher­chie­ren zur Situa­ti­on der Flücht­lin­ge auf der Insel und im Mit­tel­meer, machen Men­schen­rechts­ver­stö­ße öffent­lich und set­zen sich für ein men­schen­wür­di­ges Auf­nah­me­sys­tem in Mal­ta ein. Trotz erheb­li­cher staat­li­cher Ein­schrän­kun­gen besu­chen sie inhaf­tier­te Schutz­su­chen­de und kämp­fen gegen deren will­kür­li­che Inhaftierung.

Pio­nier­ar­beit gegen Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen

Lau­da­to­rin Awet Tes­fai­esus hob die bemer­kens­wer­te Ent­schlos­sen­heit, den Sach­ver­stand und den Mut von Neil Fal­zon und des­sen Team her­vor und beton­te: „Sie stel­len sich den Ver­let­zun­gen der Men­schen­rech­te in Euro­pa mit aller Kraft ent­ge­gen. Durch ihre juris­ti­sche Exper­ti­se und den per­sön­li­chen Bei­stand für Über­le­ben­de von Boots­ka­ta­stro­phen und Opfer von Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen in Haft­la­gern leis­ten sie Pio­nier­ar­beit.“ Die­ses Enga­ge­ment wir­ke auch weit über die Gren­zen Mal­tas hin­aus und sei „zu einem Vor­bild für ähn­li­che Orga­ni­sa­tio­nen in ganz Euro­pa gewor­den“, sag­te Awet Tes­fai­esus, die selbst Rechts­an­wäl­tin ist.

Sie kennt Neil Fal­zon und das adit­us-Team per­sön­lich, weil sie als par­la­men­ta­ri­sche Beob­ach­te­rin beim Pro­zess gegen die als „El Hib­lu 3“ bekannt gewor­de­nen jun­gen Flücht­lin­ge war. Neil Fal­zon ist Mit­glied im Ans­walts­team, das zwei der drei Ange­klag­ten ver­tei­digt. Die drei hat­ten sich 2019 fried­lich gegen einen Zurück­schie­bungs­ver­such von mehr als 100 Men­schen auf dem Mit­tel­meer nach Liby­en zur Wehr gesetzt und wur­den dafür vom mal­te­si­schen Staat angeklagt.

 

Hin­ter­grund:

Mal­ta: Zur Situa­ti­on der Schutzsuchenden 
„Wer nicht ertrinkt, wird ein­ge­sperrt.“ Das beschreibt die zyni­sche Poli­tik der mal­te­si­schen Regie­rung. Mal­ta igno­riert sys­te­ma­tisch Not­ru­fe von Boots­flücht­lin­gen und wei­gert sich, Ret­tungs­ein­sät­ze zu koor­di­nie­ren. Die mal­te­si­sche Regie­rung hält Han­dels­schif­fe aktiv davon ab, Flücht­lin­ge zu ret­ten, und lehnt es ab, mit Seenotretter*innen zu koope­rie­ren und geret­te­te Men­schen anlan­den zu las­sen. Zudem drängt sie Men­schen in See­not vor der mal­te­si­schen Küs­te dazu, wei­ter Rich­tung Ita­li­en zu fah­ren. In der Fol­ge sin­ken die Flücht­lings­zah­len: 2023 kamen nur noch 380 Men­schen auf der klei­nen Insel an. Aber nicht, weil weni­ger Men­schen über das Mit­tel­meer flo­hen, son­dern weil Mal­ta seit Jah­ren den Zugang zu Asyl­ver­fah­ren für schutz­su­chen­de Men­schen de fac­to blo­ckiert und dabei sys­te­ma­tisch inter­na­tio­na­les Recht verletzt.

Dane­ben ver­folgt Mal­ta eine Stra­te­gie der Aus­la­ge­rung der Ver­ant­wor­tung und arbei­tet eng mit der soge­nann­ten Küs­ten­wa­che Liby­ens zusam­men. Die­je­ni­gen, die es den­noch in mal­te­si­sche Gewäs­ser schaf­fen, wer­den von liby­schen Mili­zen in rechts­wid­ri­gen „Pull­backs“ zurück in das Bür­ger­kriegs­land gebracht. Im Jahr 2022 sind laut adit­us foun­da­ti­on mehr als 24.600 Men­schen zwangs­wei­se nach Liby­en zurück­ge­schleppt wor­den, und 2023 ging es wei­ter mit den rechts­wid­ri­gen „Pull­backs“ in ein Land, in dem Schutz­su­chen­de gefol­tert und ver­sklavt wer­den – ein tau­send­fa­cher Ver­stoß gegen das Völ­ker­recht und den Grund­satz der Nichtzurückweisung.

Mehr Infor­ma­tio­nen über die flücht­lings­recht­li­che Situa­ti­on in Mal­ta und die Arbeit der Preisträger*innen lie­fert der Text von PRO ASYL „Mal­ta: Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt“

Der Preis­trä­ger Dr. Neil Falzon
Dr. Neil Fal­zon ist Grün­der und Direk­tor der adit­us foun­da­ti­on. Er lehrt als Dozent für Men­schen­rechts­fra­gen an der Uni­ver­si­tät von Mal­ta und koor­di­niert den Flücht­lings­rat von Mal­ta. Zuvor lei­te­te er das mal­te­si­sche Büro des UNHCR.

Der Preis
Den Men­schen­rechts­preis ver­leiht die Stif­tung PRO ASYL seit 2006 jähr­lich an Per­so­nen, die sich in her­aus­ra­gen­der Wei­se für die Ach­tung der Men­schen­rech­te und den Schutz von Flücht­lin­gen in Deutsch­land und Euro­pa ein­set­zen. Der Preis ist mit 5.000 Euro und einer Skulp­tur des Künst­lers Ari­el Aus­len­der, Pro­fes­sor an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Darm­stadt, dotiert.

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