Forderungen von PRO ASYL zur Innenministerkonferenz in Dresden
Die Konferenz der Innenminister und ‑senatoren von Bund und Ländern (IMK) tagt ab Montag in Dresden. PRO ASYL bezieht Position:
- Die Länder müssen gegen die fehlerträchtige Entscheidungshektik des BAMF Position beziehen. Abgelehnte Afghanistan-Fälle müssen revidiert und neu bearbeitet werden.
- Die vorübergehende Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan ist angesichts der katastrophalen Lage nicht ausreichend. PRO ASYL appelliert an die Bundesländer, sich auf einen Stopp aller Abschiebungen nach Afghanistan zu verständigen.
- Nach der geplanten Dublin-IV-Reform sollen ohne jede zeitliche Befristung Abschiebungen in EU-Staaten z.B. wie Bulgarien, Griechenland oder Ungarn vollzogen werden. PRO ASYL warnt entschieden vor solch einer Reform.
1. Folgen der fehlerhaften BAMF-Entscheidungen gehen auf Kosten der Flüchtlinge und der Bundesländer
PRO ASYL appelliert an die Bundesländer, sich eindeutig gegen die Überlastung der Verwaltungsgerichte durch das BAMF zu stellen. Allein im ersten Quartal 2017 gingen bundesweit rund 97.000 Klagen gegen Asylbescheide ein. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2016 waren es 181.600 Klagen. Die qualitativ schlechte Entscheidungspraxis des Bundesamtes führt zur Überlastung der Justiz. Die Kosten für teure Richterstellen tragen die Länder.
PRO ASYL geht davon aus, dass in tausenden von Fällen die Qualitätsmängel zur Ablehnung geführt haben. Im Jahr 2017 wurden bis Mai rund 146.000 Asylanträge abgelehnt, im Jahr 2016 rund 174.000. Bei AfghanInnen gab es 2016 rund 25.000 Ablehnungen, 2017 bis Mai waren es mehr als 42.000. Sämtliche Afghanistan-Ablehnungen basieren auf veralteten Informationen zur Lage. Zudem wird Schutzsuchenden vorgehalten, es gebe sichere Gebiete, in die sie gehen könnten. PRO ASYL kritisiert dies als reine Spekulation. Neben Afghanistan gehen auch die Ablehnungszahlen für IrakerInnen in die Höhe: Von den 44.620 Entscheidungen zwischen Januar und Mai 2017 wurden 16.234 abgelehnt (36,4 %).
Mit der Verlagerung der Probleme auf die Justiz und einer Aufstockung der Richterstellen wird das Problem nicht zu lösen sein. Im Asylrecht qualifizierte Richter sind Mangelware. Es ist Aufgabe des Bundesamtes, sich selbst so zu organisieren, dass Verfolgungsgründe dort festgestellt werden können.
Wer glaubt, diese Massenablehnungen würden in absehbarer Zeit in Massenabschiebungen gleicher Größenordnung münden, der täuscht sich und verhindert in großem Maße die Integration vieler, die noch über eine längere Zeit in Deutschland leben werden. Nicht ohne Grund gab es in den letzten Jahren in Deutschland immer wieder Bleiberechtsregelungen.
Die Bundesländer müssen sich gegenüber dem Bundesinnenministerium klar positionieren. PRO ASYL fordert, alle in 2016 und 2017 abgelehnten Anträge von AfghanInnen müssen vom BAMF revidiert und neu bearbeitet werden.
2. Keine Abschiebungen nach Afghanistan
Der Afghanistan-Bericht des Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) für den US-Kongress vom 30. April 2017 legt den immer größer werdenden Kontrollverlust der afghanischen Streitkräfte und den wachsenden Einfluss der Taliban offen. Im Vergleich zu Januar 2016 zum Stand vor der Frühjahrsoffensive der Taliban gilt: Aktuell sind 11% weniger Distrikte unter Regierungskontrolle oder ‑einfluss, 6% mehr Distrikte umkämpft, und 5% mehr Distrikte unter Kontrolle oder Einfluss der Aufständischen (gerundete Angaben). Der aktuelle Folter-Bericht des afghanischen UNO-Programms UNAMA aus April 2017 belegt, dass exzessive Gewalt auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten herrscht und auch diese Regionen regelmäßig nicht als sicher klassifiziert werden dürfen. Schließlich hat UNAMA Opferzahlen für das erste Quartal 2017 vorgelegt. Demnach gibt es mehr Opfer unter Frauen, Kindern und in Kabul.
In Deutschland werden bislang die internationalen Berichte über die Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan nicht zur Kenntnis genommen. UNHCR hat im Dezember 2016 festgestellt, dass sich die Gesamtsicherheitslage seit April 2016 rapide verschlechtert hat. Zwischen sicheren und unsicheren Regionen könne man »aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage« in dem Bürgerkriegsland gar nicht unterscheiden.
Aus unserer Sicht ist es Pflicht des Bundesamtes, sämtliche in 2017 erlassenen negativen Bescheide vor dem Hintergrund der aktuellen Faktenlage zu revidieren. Gerade die Ausführungen des UNHCR sind nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes (vgl. Beschluss vom 12.03.2008 – 2 BvR 378/05) zwingend zu beachten.
PRO ASYL appelliert an die Bundesländer, sich auf einen Stopp aller Abschiebungen nach Afghanistan zu verständigen. Die vorübergehende Aussetzung von Abschiebungen ist angesichts der katastrophalen Lage nicht ausreichend. Der Beschluss der Bundesregierung lässt weiterhin viele Interpretationsspielräume für weitere Abschiebungen.
Dehnbar ist zum Beispiel der Begriff der »Ausreisepflichtigen, die hartnäckig ihre Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern«. Schutzsuchenden ohne Pass kann das pauschal unterstellt werden. Der Fall des afghanischen Schülers aus Nürnberg zeigt, wie umstritten die Frage oft ist, ob jemand sich tatsächlich einer Mitwirkungspflicht entzogen hat. Trotz mehrfacher Vorsprache zur Passbeschaffung bei der afghanischen Botschaft wurde dem Betroffenen mangelnde Mitwirkung vorgeworfen. Auch die Begriffe »Straftäter« und »Gefährder« sind in höchstem Masse problematisch und werden zudem höchst unterschiedlich interpretiert. Auch für sie gelten die Menschenrechte.
3. Abschiebungen in andere EU-Staaten
Nach einem Bericht des RedaktionsNetzwerks Deutschland wollen die Innenminister ohne jegliche zeitliche Befristung Schutzsuchende in andere EU-Staaten abschieben können. Der den Medien vorliegende Beschlussvorschlag zur Innenministerkonferenz soll dies unterstützen. PRO ASYL warnt entschieden vor solch einer weitreichenden Reform. Der ersatzlose Wegfall der Fristen wird dazu führen, dass Rechtlosigkeit entsteht. Angesichts der eklatanten Menschenrechtsverletzungen in Staaten wie Ungarn und Bulgarien dürfen Überstellungen nicht vollzogen werden. Wenn die 6‑Monats-Frist für Überstellungen wegfällt und eine Abschiebung in Staaten wie Ungarn, Bulgarien oder Griechenland dennoch scheitert, werden Asylanträge über Monate oder Jahre hinweg in keinem EU-Staat inhaltlich geprüft werden. Die Dublin-Verordnung wird zu einer kompletten Unzuständigkeits-Regelung. So werden Integrationsperspektiven zerstört.