08.02.2024

Der Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on (EuGH) in Luxem­burg hat heu­te in einem deut­schen Fall über Fra­gen zur Aner­ken­nung der Flücht­lings­ei­gen­schaft für syri­sche Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer ent­schie­den (sie­he hier zur Pres­se­er­klä­rung des EuGHs).

Der EuGH hat bejaht, dass syri­sche Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer einen Asyl­fol­ge­an­trag stel­len kön­nen, weil es mit einem EuGH-Urteil von 2020 eine neue Rechts­la­ge gibt, die berück­sich­tigt wer­den muss. „Vie­len syri­schen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rern wur­de in Deutsch­land gleich zwei­mal Unrecht getan: Erst lehn­te das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge ihren Antrag auf Flücht­lings­ei­gen­schaft fälsch­li­cher­wei­se ab. Und als der EuGH das klar­stell­te, wur­de ihr Asyl­fol­ge­an­trag abge­lehnt – auch das war falsch. Aus die­ser dop­pel­ten Nie­der­la­ge vor dem EuGH muss das BAMF ler­nen, einen weni­ger restrik­ti­ven Kurs bei der Rechts­aus­le­gung zu fah­ren“, for­dert Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

Hin­ter­grund des Falls ist, dass im Jahr 2020 der EuGH in einem von PRO ASYL unter­stütz­tem Ver­fah­ren ent­schied, dass es bei syri­schen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rern eine star­ke Ver­mu­tung gebe, dass sie poli­tisch ver­folgt sei­en und damit Flücht­lings­schutz bekom­men soll­ten. Dies wur­de in den Jah­ren davor vom Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) anders gese­hen. Tau­sen­de Män­ner erhiel­ten des­we­gen nur den soge­nann­ten sub­si­diä­ren Schutz und nicht den vol­len Flücht­lings­schutz – was seit 2016 unter ande­rem star­ke Ein­schrän­kun­gen beim Fami­li­en­nach­zug bedeutete.

Nach dem EuGH Urteil von 2020 stell­ten vie­le Män­ner, die in Syri­en den Kriegs­dienst ver­wei­gert hat­ten, soge­nann­te Asyl­fol­ge­an­trä­ge in der Hoff­nung, das BAMF wür­de nun ihren Fall neu bewer­ten. Doch das BAMF wies die Fol­ge­an­trä­ge mit der Begrün­dung ab, dass es kei­ne „Ände­rung der Rechts­la­ge“ gege­ben habe, die einen Fol­ge­an­trag erlau­ben wür­de. Die­se Beur­tei­lung erweist sich nun als falsch.

Das Urteil hat über die Fäl­le der syri­schen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer hin­aus Bedeu­tung, auch ande­re Schutz­su­chen­de kön­nen sich künf­tig dar­auf beru­fen. Wenn nach rechts­kräf­ti­ger Ableh­nung von Asy­l­erst­an­trä­gen EuGH-Urtei­le erge­hen, die mit erheb­li­cher Wahr­schein­lich­keit zur Zuer­ken­nung inter­na­tio­na­len Schut­zes geführt hät­ten, dann muss ein Asyl­fol­ge­an­trag nun zuge­las­sen wer­den. Damit hat der EuGH die Rechts­po­si­ti­on von schutz­su­chen­den Men­schen in der EU gestärkt.

Hin­ter­grund zum Ver­fah­ren und der recht­li­chen Konstellation

Dem Klä­ger A. A. des Aus­gangs­ver­fah­rens, ein syri­scher Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer, wur­de im Jahr 2017 auf sei­nen ers­ten Asyl­fol­ge­an­trag in Deutsch­land hin die Zuer­ken­nung der Flücht­lings­ei­gen­schaft ver­wei­gert. Er erhielt – wie vie­le ande­re in sei­ner Situa­ti­on – ledig­lich sub­si­diä­ren Schutz. Die Ableh­nung der Zuer­ken­nung der Flücht­lings­ei­gen­schaft wur­de bestandskräftig.

Am 19. Novem­ber 2020 hat­te der EuGH über einen ver­gleich­ba­ren Fall zu befin­den. In die­sem Urteil ent­schied der EuGH, dass im Kon­text des syri­schen Bür­ger­krie­ges eine „star­ke Ver­mu­tung“ dafür spricht, dass die Ver­wei­ge­rung des Mili­tär­diens­tes zu einer Ver­fol­gung aus poli­ti­schen Grün­den führt. Grund­la­ge für den EuGH war die Kriegs­si­tua­ti­on im Früh­jahr 2017, die nach Ansicht des Gerichts durch wie­der­hol­te und sys­te­ma­ti­sche Kriegs­ver­bre­chen auch durch Ein­hei­ten, in denen Wehr­pflich­ti­ge dien­ten, gekenn­zeich­net war. Der EuGH brach­te zum Aus­druck, dass es daher nahe­lie­ge, syri­schen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rern in die­ser Situa­ti­on die Flücht­lings­ei­gen­schaft zuzu­er­ken­nen. Letzt­lich oblie­ge es aber den natio­na­len Behör­den „in Anbe­tracht sämt­li­cher in Rede ste­hen­der Umstän­de die Plau­si­bi­li­tät die­ser Ver­knüp­fung“ zwi­schen Mili­tär­dienst­ver­wei­ge­rung und dro­hen­der poli­ti­scher Ver­fol­gung zu prüfen.

Auf­grund die­ser auch für den Klä­ger des jetzt ent­schie­de­nen Fal­les güns­ti­gen Ein­schät­zung des EuGH stell­te die­ser einen Asyl­fol­ge­an­trag. Dabei argu­men­tier­te er, dass die Ent­schei­dung des EuGH vom 19. Novem­ber 2020 einen „neu­en Umstand“ im Sin­ne der Asyl­ver­fah­rens­richt­li­nie (Art. 33 Abs. 2 lit. d) dar­stel­le, bei dem die Stel­lung eines Fol­ge­an­trags nach Uni­ons­recht zuläs­sig sei. Damit lie­ge zugleich eine „Ände­rung der Rechts­la­ge“ vor, die für die Durch­füh­rung eines wei­te­ren Asyl­ver­fah­rens nach deut­scher Rechts­la­ge erfor­der­lich ist, ver­glei­che § 71 Abs. 1 Asyl­ge­setz (AsylG) in Ver­bin­dung mit § 51 Ver­wal­tungs­ver­fah­rens­ge­setz (VwVfG). Auch PRO ASYL hat­te bereits damals die­sen Stand­punkt ein­ge­nom­men und einen Mus­ter­schrift­satz für Betrof­fe­ne erstellt. Das BAMF folg­te die­ser Auf­fas­sung nicht und lehn­te ein wei­te­res Asyl­ver­fah­ren mit der Begrün­dung ab, dass nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts Urtei­le kei­ne „Ände­rung der Rechts­la­ge“ dar­stel­len – mit Aus­nah­me jener des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, die nach § 31 Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts­ge­setz (BVerfGG) Bin­dungs­wir­kung ent­fal­ten. Hier­auf erhob der Betrof­fe­ne Kla­ge. Das zustän­di­ge Ver­wal­tungs­ge­richt Sig­ma­rin­gen setz­te das Ver­fah­ren aus, um den EuGH um die Klä­rung der uni­ons­recht­li­chen Fra­ge zu ersu­chen, was die­ser nun mit dem Urteil vom 8. Febru­ar getan hat.

Der EuGH hat dar­in ent­schie­den, dass grund­sätz­lich jedes Urteil des Gerichts­hofs einen neu­en Umstand dar­stel­len kann, der eine erneu­te voll­stän­di­ge Prü­fung, ob die Vor­aus­set­zun­gen für die Zuer­ken­nung der Flücht­lings­ei­gen­schaft erfüllt sind, recht­fer­ti­gen kann. Dies gilt auch für ein Urteil, das sich auf die Aus­le­gung einer Vor­schrift des Uni­ons­rechts beschränkt, die bei Erlass einer Ent­schei­dung über einen frü­he­ren Antrag bereits in Kraft war. Das Ver­kün­dungs­da­tum des Urteils ist irrele­vant. Ein Urteil des Gerichts­hofs stellt aller­dings nur dann einen neu­en Umstand dar, der eine erneu­te voll­stän­di­ge Prü­fung recht­fer­tigt, wenn es erheb­lich zu der Wahr­schein­lich­keit bei­trägt, dass der Antrag­stel­ler als Per­son mit Anspruch auf Zuer­ken­nung der Flücht­lings­ei­gen­schaft anzu­er­ken­nen ist.

Für das deut­sche Recht bedeu­tet dies: Die Geset­zes­grund­la­ge bezüg­lich des Wie­der­auf­grei­fens von Ver­fah­ren (§ 51 VwVfG) muss künf­tig im Lich­te des Uni­ons­rechts der­ge­stalt aus­ge­legt wer­den, dass neue Urtei­le des EuGH im Asyl­be­reich bei Erfül­lung die­ser Vor­aus­set­zun­gen als „Ände­rung der Rechts­la­ge“ zu behan­deln sind und ein wei­te­res Asyl­ver­fah­ren durch­zu­füh­ren ist.

Alle Presse­mitteilungen