Das Europäische Parlament wird am 16. April 2014 über die so genannte Seeaußengrenzenverordnung abstimmen. Mit der Verordnung werden Zurückweisungen von Flüchtlingen auf eine scheinbar legale Grundlage gestellt. „Die Zustimmung der Abgeordneten ist ein fatales Signal für den Flüchtlingsschutz“, sagte Marei Pelzer, Rechtspolitische Referentin von PRO ASYL.
Der Entwurf sieht vor: Im Küstenmeer, der so genannten 12-Meilen-Zone, und in der Anschlusszone können Flüchtlingsboote abgefangen, an der Weiterfahrt gehindert und durchsucht werden. Außerdem kann das Boot angewiesen werden „den Kurs zu ändern“. Auch das „Eskortieren oder Geleiten des Schiffs, bis es sich auf diesem Kurs befindet“ ist als Maßnahme vorgesehen (Artikel 6).
Wird ein Schiff auf Hoher See aufgegriffen, so gilt: Nach Aufgriff und Durchsuchung des Schiffs kann auch hier die Kursänderung angewiesen werden. Des Weiteren besteht die Möglichkeit des „Führen(s) des Schiffs zu einem Drittstaat“ und der „Überstellung der an Bord befindlichen Personen an die Behörden eines Drittstaats“ (Artikel 7). Zwar heißt es in Artikel 4 des Entwurfs, dass Personen nicht in Drittstaaten überstellt werden dürfen, in denen den Betroffenen Folter, unmenschliche Behandlung oder andere Menschenrechtsverletzungen drohen. Äußerst vage sind jedoch die Bestimmungen dazu, wie die Sicherheit des Drittstaats überprüft werden soll.
Der Entwurf enthält zwar in Artikel 4 wichtige grundrechtliche Bestimmungen, insbesondere den Grundsatz der Nichtzurückweisung. Auch die Klarstellung in Artikel 9, wann ein Seenotrettungsfall vorliegt und wie darauf reagiert werden soll, ist zu begrüßen. Allerdings ist dies bereits im internationalen Seerecht verbrieft und die Zuständigkeitsfragen bezüglich der Aufnahme von geretteten Flüchtlingen bleiben nach wie vor ungeklärt. „Die menschenrechtlichen Verpflichtungen erscheinen insgesamt als legitimatorisches Beiwerk und Augenwischerei mit Blick auf die weitreichenden Befugnisse für Frontex-Beamte während gemeinsamer Operationen“, so Pelzer.
Zahlreiche weitere Fragen bleiben ungeklärt: Wie kann kontrolliert werden, ob sich ein Flüchtlingsboot auf Hoher See „führen“ lässt oder ob es gegen den Willen der Betroffenen zwangsweise abgedrängt wird? Wie kann sichergestellt werden, dass den Schutzsuchenden im Drittstaat, in den das Boot „geführt“ wird, keine Menschenrechtsverletzungen drohen? Die Vorstellung, auf See eine faire und rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechende Prüfung von Asylgesuchen vorzunehmen, ist fragwürdig. Denn Rechtsbeistände, Übersetzer und medizinisches Personal sollen der Verordnung zufolge bei Frontex-Operationen nur zum Einsatz kommen, wenn dies als „notwendig“ erachtet wird.
Am 23. Februar 2012 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Italiens Zurückweisungspolitik nach Libyen verurteilt. Erstmals wurde im Fall Hirsi Jamaa und andere gegen Italien über die Frage der Zurückweisung von Flüchtlingen auf Hoher See entschieden und bestätigt: Das Mittelmeer ist keine menschenrechtsfreie Zone. Die Verordnung zur Festlegung von Regelungen für die Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von Frontex koordinierten operativen Zusammenarbeit sollte diese Rechtsprechung aufnehmen. Das Gegenteil ist der Fall.
Der Verordnungsentwurf wird völkerrechtswidrige Zurückweisungen von Schutzsuchenden nicht verhindern, denn das Nichtzurückweisungsgebot ist angesichts der weitreichenden Befugnisse von Frontex nicht durchsetzbar.
Aus Sicht von PRO ASYL ist die Seeaußengrenzenverordnung ein klarer Rückschritt hinter das Hirsi-Urteil von 2012. Mit den neuen Bestimmungen zu Frontex-Einsätzen an den Seeaußengrenzen Europas wird die Rechtsprechung des EGMR unterlaufen. Statt weitere rechtliche Grauzonen zu schaffen, fordert PRO ASYL die EU mit Nachdruck auf, alles daran zu setzen, Push Backs von Flüchtlingen zu verhindern.
Bericht des Europäischen Parlaments über den Entwurf der Seeaußengrenzenverordnung
Ursprünglicher Vorschlag der Europäischen Kommission
EU-Parlament stimmt über Regelungen für Frontex an den Seeaußengrenzen ab (15.04.14)