09.02.2021

Für heu­te ist wie­der eine Sam­mel­ab­schie­bung nach Afgha­ni­stan geplant, die in Mün­chen star­ten soll.  Es ist schon die zwei­te in die­sem Jahr und bereits die drit­te, nach der auf Ersu­chen der afgha­ni­schen Regie­rung pan­de­mie­be­ding­ten 9‑monatigen Abschie­be-Pau­se bis Dezem­ber 2020. PRO ASYL ist ent­setzt über die ein­ge­lei­te­ten Sam­mel­ab­schie­bun­gen in den letz­ten zwei Mona­ten und for­dert einen sofor­ti­gen bun­des­wei­ten Abschie­be­stopp nach Afghanistan.

Dabei ver­schlim­mert sich die Lage in dem Land zuse­hends. Das Robert-Koch-Insti­tut benennt Afgha­ni­stan zum Hoch­in­zi­denz­ge­biet, das Aus­wär­ti­ge Amt beschei­nigt ein zusam­men­bre­chen­des Gesund­heits­sys­tem, die poli­ti­schen Ana­ly­sen rech­nen mit einer wei­te­ren Ver­schär­fung der Sicher­heits­la­ge in dem ohne­hin gefähr­lichs­ten Land der Welt.

Rück­sicht auf die coro­nabe­ding­te Situa­ti­on wäre gera­de jetzt mehr denn je ange­zeigt. Denn Afgha­ni­stan wur­de am 31.01.2021 vom Robert-Koch-Insti­tut als »Hoch­in­zi­denz­ge­biet« – also als Gebiet mit beson­ders hohem Infek­ti­ons­ri­si­ko durch beson­ders hohe Inzi­den­zen für die Ver­brei­tung des Coro­na­vi­rus SARS-CoV‑2 – ein­ge­stuft. In den Rei­se- und Sicher­heits­hin­wei­sen des Aus­wär­ti­gen Amtes heißt es vor die­sem Hin­ter­grund: »Afgha­ni­stan ist von COVID-19 beson­ders stark betrof­fen. Das Gesund­heits­sys­tem hält den Belas­tun­gen nicht stand«. Bereits am 17.12.2020 warn­te die UN-Son­der­be­auf­trag­te für Afgha­ni­stan, Debo­rah Lyons: »Afgha­ni­stan steht vor einer neu­en Wel­le von COVID-19. Die Aus­wir­kun­gen die­ser Pan­de­mie waren bereits ver­hee­rend. Die zwei­te Wel­le im Win­ter wird vor­aus­sicht­lich noch viel schäd­li­cher sein als die ers­te Früh­jahrs­wel­le. Hun­ger und Unter­ernäh­rung haben zuge­nom­men und die Lebens­grund­la­gen sind erodiert«.

Laut dem stell­ver­tre­ten­den UN-Chef für huma­ni­tä­re Hil­fe hat sich die Zahl der Men­schen in Not in Afgha­ni­stan von 9,4 Mil­lio­nen Anfang 2020 auf 18,4 Mil­lio­nen im Jahr 2021 ver­dop­pelt – bei einer Bevöl­ke­rung von 40,4 Mil­lio­nen. Vier von zehn Men­schen hun­gern aktu­ell, bis März 2021 wer­den sich pro­gnos­tisch fast 17 Mil­lio­nen Men­schen in einer Kri­se oder einem Not­stand der Ernäh­rungs­un­si­cher­heit befinden.

Wie exis­tenz­be­dro­hend sich die wirt­schaft­li­che Situa­ti­on durch die Pan­de­mie ent­wi­ckelt hat, zeigt auch eine aktu­el­le Gerichts­ent­schei­dung. Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof Baden-Würt­tem­berg hat, wie am 03.02.2021 in einer Pres­se­mit­tei­lung bekannt­ge­ge­ben, in einem Urteil vom 17.12.2020 ent­schie­den, dass der­zeit selbst allein­ste­hen­de, gesun­de und arbeits­fä­hi­ge Män­ner regel­mä­ßig nicht nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben wer­den dür­fen, da es ihnen dort in Fol­ge der gra­vie­ren­den Ver­schlech­te­rung der wirt­schaft­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen infol­ge der COVID-19-Pan­de­mie vor­aus­sicht­lich nicht gelin­gen wird, auf lega­lem Wege die ele­men­tars­ten Bedürf­nis­se nach Nah­rung, Unter­kunft und Hygie­ne zu befriedigen.

Auch die Gewalt in Fol­ge krie­ge­ri­scher Aus­ein­an­der­set­zun­gen reißt nicht ab. Afgha­ni­stan war laut dem Glo­bal Peace Index im Jahr 2020 zum zwei­ten Mal in Fol­ge das unsi­chers­te Land der Welt. Für das Jahr 2021 rech­net  die US-ame­ri­ka­ni­sche Denk­fa­brik Coun­cil on For­eign Rela­ti­ons mit einer wei­te­ren Ver­schär­fung der Sicher­heits­la­ge. Dies hängt mit dem im Febru­ar 2020 zwi­schen den Tali­ban und den USA aus­ge­han­del­ten Trup­pen­ab­zug bis Mai 2021 zusam­men. Zwei dar­aus fol­gen­de Sze­na­ri­en wären mit einer Zunah­me an Gewalt ver­bun­den: Soll­ten die USA alle Trup­pen in die­sem Jahr abzie­hen, ohne eine poli­ti­sche Lösung zu fin­den, wür­de der Frie­dens­pro­zess zusam­men­bre­chen und das dar­auf fol­gen­de Geran­gel um Macht wür­de das Land wahr­schein­lich in einen noch blu­ti­ge­ren Bür­ger­krieg füh­ren. Wür­den die USA indes­sen die Frist im Mai ver­strei­chen las­sen, ohne sich mit den Tali­ban auf einen neu­en Zeit­plan zu eini­gen – oder beschlie­ßen, eine unbe­fris­te­te klei­ne Mili­tär­mis­si­on auf­recht­zu­er­hal­ten – dann wür­den die Tali­ban die US-Prä­senz erneut anfech­ten und die Gewalt wür­de aller Vor­aus­sicht nach eben­falls zunehmen.

Alle Presse­mitteilungen