24.02.2022

Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof Baden-Würt­tem­berg hat heu­te sei­ne Ent­schei­dung zur Haus­ord­nung in der Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung Frei­burg bekannt­ge­ge­ben und der Kla­ge meh­re­rer Geflüch­te­ter in wich­ti­gen Punk­ten statt­ge­ge­ben. Das Ver­fah­ren wird unter­stützt von der Gesell­schaft für Frei­heits­rech­te (GFF), PRO ASYL, der Akti­on Blei­be­recht und dem Flücht­lings­rat Baden-Württemberg.

Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof ent­schied, dass die in der Haus­ord­nung gere­gel­ten Befug­nis­se des Sicher­heits­diens­tes, die Zim­mer der Geflüch­te­ten jeder­zeit kon­trol­lie­ren und betre­ten zu kön­nen, unwirk­sam sind. Das Gericht bestä­tig­te, dass die Schlaf­zim­mer in den Unter­künf­ten grund­recht­lich geschütz­te Wohn­räu­me sind.

Urteil hat bun­des­wei­te Bedeutung

„Die Unver­letz­lich­keit der Woh­nung gilt auch in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen, und Geflüch­te­te haben dort ein Recht auf Pri­vat­sphä­re – was eigent­lich eine Selbst­ver­ständ­lich­keit ist, stellt der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof Mann­heim mit dem Urteil end­lich klar“, sagt Sarah Lin­coln, Juris­tin bei der GFF. „Die Ent­schei­dung macht eine kla­re Ansa­ge an das Land Baden-Würt­tem­berg. Weit­rei­chen­de Grund­rechts­ein­grif­fe per Haus­ord­nung regeln – das geht nicht. Das Land muss Ein­schrän­kun­gen gesetz­lich fest­le­gen, nur dann sind Grund­rech­te und Demo­kra­tie­prin­zip gewahrt.“

„Die­ses Urteil ist von bun­des­wei­ter Bedeu­tung, denn es macht klar, dass die Unver­letz­lich­keit der Woh­nung nach Art.13 Grund­ge­setz auch in Sam­mel­un­ter­künf­ten gilt. Das gibt geflüch­te­ten Men­schen ein Stück Eigen­stän­dig­keit und Wür­de zurück“, sagt Peter von Auer, rechts­po­li­ti­scher Refe­rent bei PRO ASYL.

Ent­rech­tung der Men­schen beenden

Der regio­na­le Flücht­lings­rat kri­ti­siert, dass das Land dafür über­haupt Nach­hil­fe durch ein Gericht braucht: „Es ist bezeich­nend, dass ein Gericht die Lan­des­po­li­tik zu einer grund­ge­setz­kon­for­men Aus­ge­stal­tung der Unter­brin­gung von Geflüch­te­ten zwin­gen muss. Das zeigt, wie es um die Rech­te von Schutz­su­chen­den in Baden-Würt­tem­berg bis­her bestellt war. Die Lan­des­re­gie­rung muss die sys­te­ma­ti­sche Ent­rech­tung von Men­schen jetzt umge­hend been­den. Wir for­dern selbst­be­stimm­te Wohn­for­men, die die Rech­te eines jeden Men­schen ach­ten und ein Ende der repres­si­ven Mas­sen­un­ter­brin­gung“, sagt Seán McGin­ley, Geschäfts­füh­rer des Flücht­lings­rats Baden-Württemberg.

Auch die Klä­ger Emma­nu­el Annor und Ba Gan­do erhof­fen sich nach dem Urteil eine Ver­bes­se­rung der Situa­ti­on in den Unter­künf­ten: „Nach der Flucht brau­chen wir einen Ort, an dem wir zur Ruhe kom­men kön­nen. Bis­lang hat­ten wir in der Unter­kunft kaum Pri­vat­sphä­re. Das heu­ti­ge Urteil macht Hoff­nung auf Ver­än­de­rung und ist für uns ein wich­ti­ges Signal. Es bestärkt uns, wei­ter für uns und unse­re Rech­te einzustehen.“

Schutz der Wohnung

Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof Baden-Würt­tem­berg stützt sich mit die­ser Ent­schei­dung auf den wei­ten Woh­nungs­be­griff des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts. Der Schutz der Woh­nung ist eng mit der Men­schen­wür­de ver­bun­den. Geschützt sind nach der Karls­ru­her Recht­spre­chung alle Räu­me, in denen das Pri­vat­le­ben stattfindet.

Wei­ter­füh­ren­de Infor­ma­tio­nen fin­den Sie hier: 
https://freiheitsrechte.org/hausordnung/

Für Rück­fra­gen:
Dr. Maria Schar­lau: presse@freiheitsrechte.org, Tele­fon 030/549 08 10 55

Peter von Auer: presse@proasyl.de

Zum Hin­ter­grund:
Am 16. Dezem­ber 2020 reich­ten sechs Bewoh­ner der Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung Frei­burg mit Unter­stüt­zung der Gesell­schaft für Frei­heits­rech­te, der Akti­on Blei­be­recht Frei­burg, PRO ASYL und dem Flücht­lings­rat Baden-Würt­tem­berg einen Nor­men­kon­troll­an­trag beim Ver­wal­tungs­ge­richts­hof Baden-Würt­tem­berg gegen die restrik­ti­ve Haus­ord­nung ein.

Die in allen Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen Baden-Würt­tem­bergs ein­heit­lich aus­ge­stal­te­te Haus­ord­nung regu­liert den All­tag der Bewohner*innen umfas­send. Die Türen zu den Schlaf­räu­men sind nicht abschließ­bar. Der Sicher­heits­dienst kon­trol­liert täg­lich die Zim­mer und darf die­se auch nachts und gegen den Wil­len der Bewoh­ner betre­ten. Sie dür­fen kei­nen Besuch emp­fan­gen. Auf dem gesam­ten Gelän­de ist es ihnen ver­bo­ten, sich poli­tisch zu betätigen.

Selbst ein­fa­che Haus­halts­ge­gen­stän­de wie eine Packung Reis, einen Gebets­tep­pich, einen Schrau­ben­zie­her oder einen Haar­schnei­der dür­fen sie nicht mit in die Ein­rich­tung neh­men. Gegen wei­te­re Rege­lun­gen der Haus­ord­nung läuft ein Ver­fah­ren vor dem Verwaltungsgericht.

Alle Presse­mitteilungen