31.08.2021

Will­kür­lich gesetz­te Fris­ten und ein­engen­de Kri­te­ri­en sor­gen dafür, dass Zehn­tau­sen­de bedroh­te Afghan*innen kei­ne Chan­ce auf Ein­rei­se nach Deutsch­land haben werden. 

Mit dem heu­ti­gen Tag endet die mili­tä­ri­sche Eva­ku­ie­rungs­ak­ti­on aus Kabul, die von west­li­chen Staa­ten nach der Macht­über­nah­me der Tali­ban am 15. August begon­nen wur­de. Die deut­schen Flü­ge wur­den bereits nach 10 Tagen, am 26. August, ein­ge­stellt. Pro Asyl wirft der Bun­des­re­gie­rung und den Innen­mi­nis­te­ri­en der Län­der vor, bereits jetzt wie­der alle Kri­te­ri­en zur Auf­nah­me so aus­zu­rich­ten, dass der Kreis der Auf­zu­neh­men­den mög­lichst klein bleibt. „Es ist empö­rend, dass die Bun­des­re­gie­rung hin­ter den Kulis­sen mit allen Mit­teln ver­sucht, die Zahl der Schutz­be­dürf­ti­gen mög­lichst gering zu hal­ten. Das Ver­spre­chen von Außen­mi­nis­ter Hei­ko Maas, für die Bun­des­re­gie­rung abge­ge­ben, nie­man­den im Stich zu las­sen, für den Deutsch­land Ver­ant­wor­tung trägt, wird so zur Wort­hül­se“, kri­ti­siert Burkhardt.

Die Bun­des­re­gie­rung hat beschlos­sen, dass – von den Orts­kräf­ten abge­se­hen – nur Men­schen eine Chan­ce haben, in Deutsch­land Schutz zu fin­den, die bis zum Ende der deut­schen Eva­ku­ie­rungs­mis­si­on (also bis 26.8.) für die Eva­ku­ie­rungs­lis­te gemel­det wur­den. Die­ses will­kür­lich fest­ge­leg­te Datum war vor­her nie kom­mu­ni­ziert wor­den. All jene etwa, die sich zum Bei­spiel im Nor­den Afgha­ni­stans ver­steckt hiel­ten und nicht sofort ver­such­ten, auf die Lis­te zu kom­men, da sie kei­ne Chan­ce hat­ten, bis zum 31.8. Kabul zu errei­chen, sind außen vor. Sie haben nun kei­ne Mög­lich­keit mehr, sich regis­trie­ren zu las­sen und in Deutsch­land Zuflucht zu fin­den. Journalist*innen, Men­schen- und Frauenrechtsverteidiger*innen sowie Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge von in Deutsch­land leben­den Schutz­be­rech­tig­ten, die von den Tali­ban mas­siv bedroht sind, aber bis­her noch auf kei­ner Lis­te der Bun­des­re­gie­rung auf­tau­chen, wer­den ein­fach ihrem Schick­sal überlassen.

Hes­sen behält bis­he­ri­ge restrik­ti­ve Bestim­mun­gen bei 

„Die has­ti­ge deut­sche Eva­ku­ie­rungs­ak­ti­on lässt Tau­sen­de von den Tali­ban bedroh­te Men­schen zurück. Zum seit Jah­ren ver­schlepp­ten Fami­li­en­nach­zug aus Afgha­ni­stan fehlt in den offi­zi­el­len Erklä­run­gen der Bun­des­re­gie­rung jedes Wort“, kri­ti­siert Burk­hardt. „Dass auch Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge von in den Wes­ten Geflo­he­nen gefähr­det sind, scheint trotz unse­rer wie­der­hol­ten Mah­nun­gen auf tau­be Ohren zu sto­ßen. Dazu gehö­ren auch erwach­se­ne Fami­li­en­mit­glie­der, die nicht der soge­nann­ten Kern­fa­mi­lie ange­hö­ren“, so Burkhardt.

Den aktu­el­len Bestim­mun­gen ein­zel­ner Bun­des­län­der wie etwa Hes­sen ist zu ent­neh­men, dass Bund und Län­der nicht gewillt sind, die bis­lang gel­ten­de, restrik­ti­ve Aus­le­gung für die huma­ni­tä­re Ein­rei­se von Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen nach § 36 Auf­ent­halts­ge­setz, die nicht der soge­nann­ten Kern­fa­mi­lie ange­hö­ren, auf­zu­ge­ben. Im jetzt bekannt gewor­de­nen Rund­schrei­ben des Hes­si­schen Innen­mi­nis­te­ri­ums vom 26.8. heißt es:

„Eine Titeler­tei­lung im Inland aus sons­ti­gen Auf­ent­halts­zwe­cken kommt nicht in Betracht. So ver­langt bei­spiels­wei­se § 36 Abs. 2 Auf­enthG, dass der Fami­li­en­nach­zug zur Ver­mei­dung einer außer­ge­wöhn­li­chen Här­te erfor­der­lich ist. Die Här­te muss fami­li­en­be­zo­gen sein, das heißt in der Tren­nung der Fami­li­en­ein­heit begrün­det sein, und die fami­liä­re Lebens­ge­mein­schaft im Bun­des­ge­biet muss das geeig­ne­te und not­wen­di­ge Mit­tel sein, um die außer­ge­wöhn­li­che Här­te zu ver­mei­den. All­ge­mei­ne Ver­hält­nis­se im Her­kunfts­land, so schwie­rig sie auch sein mögen, rei­chen als Begrün­dung des Här­te­falls nicht aus.(Fet­tung durch PRO ASYL vorgenommen)

Fami­lie in Deutsch­land – und trotz­dem kei­ne Chan­ce auf Aufnahme


In der Pra­xis bedeu­tet das: Die afgha­ni­sche Staats­an­wäl­tin, die um ihr Leben und das ihrer Kin­der fürch­ten muss, hat kei­ne Chan­ce, in Deutsch­land auf­ge­nom­men zu wer­den, obwohl ihr Bru­der hier lebt. Glei­ches trifft auf bedroh­te Menschenrechtsaktivist*innen zu sowie auf alle ande­ren, die fami­liä­re Ver­bin­dun­gen in die Bun­des­re­pu­blik haben. Es steht zu befürch­ten, dass ande­re Bun­des­län­der dem hes­si­schen Bei­spiel folgen.

„Die west­li­chen Staa­ten machen sich aus dem Staub – und ver­schlei­ern das Elend all jener Men­schen, die ein­mal gro­ße Hoff­nun­gen und Ver­trau­en in den Wes­ten gesetzt hat­ten und nun ein­fach zurück­ge­las­sen wer­den“, fasst Burk­hardt die Lage zusam­men. „Wir for­dern ein umfas­sen­des Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm und ergän­zen­de Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me. Alle, die Bezü­ge zu Deutsch­land haben, müs­sen die Chan­ce auf Ein­rei­se haben, außer­dem alle beson­ders Gefährdeten.“

PRO ASYL fordert:

  •    Die Defi­ni­ti­on von Orts­kräf­ten auf bei Sub­un­ter­neh­men ange­stell­te Per­so­nen aus­zu­wei­ten, denn für die Tali­ban ist eine sol­che Unter­schei­dung nicht ersichtlich.
  •     Bei der Auf­nah­me von gefähr­de­ten Per­so­nen alle gefähr­de­ten Fami­li­en­mit­glie­der zu berück­sich­ti­gen und nicht auf ein deut­sches Ver­ständ­nis der »Kern­fa­mi­lie« abzustellen.
  •     Wei­ter­hin Gefähr­dungs­an­zei­gen von Menschenrechtsverteidiger*innen etc. zu prü­fen und Auf­nah­me­zu­sa­gen nach § 22 Satz 2 Auf­enthG zu ertei­len. Ein plötz­li­cher Stopp die­ser Prü­fung mit Ende der mili­tä­ri­schen Eva­ku­ie­rung ist will­kür­lich und ange­sichts der mas­si­ven Bedro­hung in Afgha­ni­stan nicht zu rechtfertigen.
  •     Den Fami­li­en­nach­zug zu in Deutsch­land leben­den Afghan*innen mas­siv zu beschleu­ni­gen, denn die Tali­ban suchen laut Mel­dun­gen vor Ort aktiv nach Ver­wand­ten von im Wes­ten leben­den Per­so­nen. Die anhän­gi­gen Ver­fah­ren müs­sen jetzt prio­ri­tär geprüft wer­den und von huma­ni­tä­rem Spiel­raum, z.B. für erwach­se­ne Kin­der, muss Gebrauch gemacht werden.
  • Visums­an­trä­ge von afgha­ni­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen müs­sen von allen deut­schen Aus­lands­ver­tre­tun­gen bear­bei­tet wer­den (soge­nann­te Globalzuständigkeit).
  •     Bun­des- und Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me auf­zu­le­gen für afgha­ni­sche Flücht­lin­ge – zum Bei­spiel aus Anrai­ner­staa­ten -, für beson­ders gefähr­de­te Per­so­nen und für Ange­hö­ri­ge von in Deutsch­land leben­den Afghan*innen.

PRO ASYL hat eine Peti­ti­on gestar­tet, um für die wei­te­re Auf­nah­me von gefähr­de­ten Men­schen aus Afgha­ni­stan einzutreten.

Wel­che Grup­pen zurück­ge­las­sen wer­den und wel­che Schick­sa­le sich dahin­ter ver­ber­gen, hat PRO ASYL hier dokumentiert. 

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