02.03.2023

Anläss­lich des rus­si­schen Angriffs auf die Ukrai­ne wur­de am 4. März 2022 vom Rat der EU zum ers­ten Mal der soge­nann­te vor­über­ge­hen­de Schutz akti­viert. Er erlaubt es, dass aus der Ukrai­ne flie­hen­de Men­schen in der gan­zen EU unbü­ro­kra­tisch Schutz fin­den, arbei­ten dür­fen und ein Leben in Sicher­heit auf­bau­en kön­nen. Ein Jahr nach der Akti­vie­rung zieht PRO ASYL Bilanz und for­dert, die Rege­lun­gen, die sich bewährt haben, für alle Schutz­su­chen­den anzu­wen­den. Gemein­sam mit einem Bünd­nis von über 50 Orga­ni­sa­tio­nen for­dert PRO ASYL zudem die kon­se­quen­te Anwen­dung des vor­über­ge­hen­den Schut­zes für alle aus der Ukrai­ne geflüch­te­ten Menschen.

„Der vor­über­ge­hen­de Schutz hat ermög­licht, was in der Flücht­lings­po­li­tik lan­ge Zeit unmög­lich schien: Ukrai­ni­sche Kriegs­flücht­lin­ge kön­nen ihren Schutz­ort in Euro­pa frei wäh­len, dür­fen direkt arbei­ten oder zur Schu­le gehen und bekom­men unkom­pli­zier­ten Schutz. Die­se posi­ti­ven Rege­lun­gen füh­ren auch dazu, dass die Auf­nah­me von über einer Mil­li­on nach Deutsch­land geflüch­te­ten Men­schen aus der Ukrai­ne gut gelingt. Schutz­su­chen­de aus Län­dern wie Syri­en oder Afgha­ni­stan haben auch viel­fach Ver­wand­te hier, die ihnen beim Ankom­men hel­fen wür­den. Sie wer­den aber gezwun­gen in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen zu leben, kön­nen nur schwer den Wohn­ort wech­seln und wer­den so mit repres­si­ven Maß­nah­men gegän­gelt“, kom­men­tiert Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

Posi­ti­ve Rege­lun­gen beim vor­über­ge­hen­den Schutz erleich­tern das Ankommen

Ein Jahr nach dem rus­si­schen Angriff auf die Ukrai­ne kann zumin­dest mit Blick auf die Auf­nah­me der geflo­he­nen Ukrainer*innen eine ins­ge­samt posi­ti­ve Bilanz gezo­gen wer­den. Laut einer reprä­sen­ta­ti­ven Stu­die leben zum Bei­spiel 74 Pro­zent der befrag­ten Ukrainer*innen in pri­va­ten Haus­hal­ten, nur 9 Pro­zent müs­sen in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten für Geflüch­te­te unter­ge­bracht wer­den. Im Kon­trast dazu müs­sen Asyl­su­chen­de bis zu 18 Mona­ten in oft abge­le­ge­nen Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen woh­nen, in denen es an Pri­vat­sphä­re man­gelt und wo ein selbst­be­stimm­tes Leben unmög­lich ist. Selbst wenn sie Ver­wand­te in Deutsch­land haben, dür­fen sie nicht bei ihnen wohnen.

Wie die Stu­die zeigt, haben sich 60 Pro­zent der Ukrainer*innen für Deutsch­land als Schutz­land ent­schie­den, da sie hier bereits Fami­lie, Freund*innen und Bekann­te haben. Das ergibt Sinn, kön­nen die­se doch beim Ankom­men und Ein­le­ben unter­stüt­zen. Ande­re Flücht­lin­ge haben die­se Mög­lich­keit nicht, obwohl auch vie­le Syrer*innen oder Afghan*innen schon Ver­wand­te und Bekann­te in Deutsch­land haben: Sie sind auf­grund der soge­nann­ten Dub­lin-Rege­lun­gen gezwun­gen, ihren Asyl­an­trag im ers­ten Ein­rei­se­land oder im Land der Visa-Ertei­lung zu stel­len – egal wie groß ihr Netz­werk in einem ande­ren EU-Land ist. Schla­gen sie sich doch in das EU-Land ihrer Wahl durch, wird ver­sucht, sie in den Mit­glied­staat der Erst­ein­rei­se abzu­schie­ben – so ver­zö­gert sich der Zugang zu Asyl und Schutz oft über vie­le Monate.

Beson­ders posi­tiv ist, dass ukrai­ni­sche Geflüch­te­te mit dem vor­über­ge­hen­den Schutz direkt Sprach­kur­se besu­chen und nach einer Arbeit suchen kön­nen. Asyl­su­chen­de dür­fen dage­gen meist über Mona­te hin­weg nicht arbei­ten und bekom­men auch nur die gerin­gen Leis­tun­gen nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz. Ukrai­ni­sche Geflüch­te­te bekom­men seit Juni 2022 regu­lä­re Sozialhilfe.

„Die schlech­ten Lebens­be­din­gun­gen wäh­rend eines Asyl­ver­fah­rens in Deutsch­land sind nicht zu recht­fer­ti­gen. Anstatt die Men­schen über Mona­te hin­weg in Lagern zu iso­lie­ren und ihnen das Arbei­ten zu ver­bie­ten, soll­te die Bun­des­re­gie­rung ihnen wie den Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­nern auch einen direk­ten Start in Deutsch­land ermög­li­chen. Statt­des­sen wer­den Asyl­su­chen­de auf die War­te­bank gesetzt“, sagt Judith.

Aktu­el­le Zah­len zei­gen, dass mit 121 Über­fäl­len, Anschlä­gen, Sach­be­schä­di­gun­gen und tät­li­chen Angrif­fen die Zahl der Angrif­fe auf Flücht­lings­un­ter­künf­te im Jahr 2022 erst­mals seit 2015 wie­der deut­lich zuge­nom­men hat (73 Pro­zent mehr als im Vor­jahr). „Die­se Unter­künf­te wer­den nun wie­der zur Ziel­schei­be ras­sis­ti­scher Anschlä­ge. Anstatt die auf­ge­heiz­te Stim­mung anzu­fa­chen müs­sen sich alle demo­kra­ti­schen Par­tei­en für den Schutz von Flücht­lin­gen in die­sem Land stark machen“, so Wieb­ke Judith.

Zivil­ge­sell­schaft­li­ches Bünd­nis for­dert glei­che Rech­te für alle aus der Ukrai­ne geflo­he­ne Menschen

„Zum Jah­res­tag des vor­über­ge­hen­den Schut­zes dür­fen die Augen nicht davor ver­schlos­sen wer­den, dass bei wei­tem nicht alle aus der Ukrai­ne geflüch­te­ten Men­schen tat­säch­lich Schutz bekom­men haben. Hier­zu zäh­len zum Bei­spiel afri­ka­ni­sche Stu­die­ren­de, die sich in der Ukrai­ne neue Per­spek­ti­ven auf­ge­baut hat­ten – die von den rus­si­schen Bom­ben zer­stört wur­den. Vie­le ban­gen noch, ob sie die­se Per­spek­ti­ven in Deutsch­land wei­ter­ent­wi­ckeln kön­nen. Dass eini­ge schon in Abschie­bungs­haft genom­men wur­den, ist beson­ders dra­ma­tisch“, so Judith.

PRO ASYL for­dert daher mit einem Bünd­nis von über 50 zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen in einem heu­te ver­öf­fent­lich­ten State­ment, allen aus der Ukrai­ne geflüch­te­ten Men­schen den vor­über­ge­hen­den Schutz zu geben. Vie­le der unter­zeich­nen­den Orga­ni­sa­tio­nen unter­stüt­zen seit dem letz­ten Jahr aus der Ukrai­ne geflüch­te­te Men­schen ohne ukrai­ni­schen Pass. Obwohl sie vor dem­sel­ben Krieg wie ukrai­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge geflo­hen sind und Schutz suchen, ist ihre der­zei­ti­ge Situa­ti­on von Unsi­cher­heit, Dis­kri­mi­nie­rung und Will­kür geprägt. Für sie müs­sen drin­gend lang­fris­ti­ge und ein­heit­li­che auf­ent­halts­recht­li­che Lösun­gen gefun­den wer­den. Zudem soll­te der Zugang zu Sprach- und Inte­gra­ti­ons­kur­sen, Stu­di­en­plät­zen und Arbeit ermög­licht werden.

Der­zeit befin­den sich in Deutsch­land etwa 38.000 Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne ohne ukrai­ni­schen Pass. Da sie nicht wie ukrai­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge pau­schal von der Anwen­dung der EU-Richt­li­nie 2001/55/EG zum vor­über­ge­hen­den Schutz pro­fi­tie­ren, die in Deutsch­land mit der Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis gemäß § 24 Auf­enthG für zwei Jah­re ein­her­geht, sind vie­le Men­schen jetzt schon von Abschie­bung bedroht. Bei ande­ren lau­fen bald
Fik­ti­ons­be­schei­ni­gun­gen aus.

Wei­ter­füh­ren­de Informationen

PRO ASYL hat einen Über­blick über die Rege­lun­gen für Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne ver­öf­fent­licht ver­öf­fent­licht, der regel­mä­ßig aktua­li­siert wird.

Zudem berich­tet die Akti­vis­tin Katery­na von Vitsche in einer aktu­el­len Pod­cast-Fol­ge von PRO ASYL über ihre per­sön­li­che Flucht aus der Ukrai­ne und erzählt von der Situa­ti­on vie­ler Ukrainer*innen im Ausland.

Pres­se­kon­takt

Für das Bünd­nis: zivilgesellschaftliches.buendnis@cusbu.de, zivilgesellschaftliches.buendnis@muenchner-fluechtlingsrat.de, beyondevacuation@gmail.com
Pres­se­stel­le von PRO ASYL: presse@proasyl.de, 069–24231430

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