18.12.2023

Heu­te am 18. Dezem­ber tref­fen sich die Mit­glied­staa­ten, das Euro­pa­par­la­ment und die Kom­mis­si­on zu den wahr­schein­lich letz­ten poli­ti­schen Ver­hand­lun­gen zur EU-Asyl­rechts­re­form. Nach aktu­el­lem Stand ist mit einer Eini­gung am 19. Dezem­ber zu rech­nen. Dabei sind men­schen­recht­lich höchst rele­van­te Rege­lun­gen noch offen – die Eini­gung hier­über könn­te unter dem hohen Ver­hand­lungs­druck übers Knie gebro­chen wer­den. Es droht, dass Men­schen­rech­te, Rechts­staat­lich­keit und Flücht­lings­schutz lang­fris­tig unter­gra­ben werden.

„Dies sind ent­schei­den­de Stun­den in Euro­pa – nicht nur für den Schutz von ver­folg­ten Men­schen, son­dern auch für die Bedeu­tung von Men­schen­rech­ten und Rechts­staat­lich­keit ins­ge­samt in der Euro­päi­schen Uni­on“, sagt Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL. „Noch kön­nen Kin­der hin­ter Sta­chel­draht, Abschie­bun­gen in unsi­che­re Dritt­staa­ten und qua­si rechts­freie Räu­me an den Außen­gren­zen ver­hin­dert wer­den, wenn das EU-Par­la­ment stark bleibt und auch die Bun­des­re­gie­rung ihren Ein­fluss end­lich posi­tiv für die Men­schen­rech­te nutzt“.

Die Ver­hand­lun­gen über die Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS) sind in ihrer ent­schei­dends­ten Pha­se. Doch was aus den Gesprä­chen bekannt ist, sind ver­schie­de­ne men­schen­recht­lich höchst rele­van­te Aspek­te noch nicht geeint. Hier­zu gehö­ren unter ande­rem die Fragen:

  • Was für Deals kön­nen EU-Staa­ten zukünf­tig ein­ge­hen, um eigent­lich in der EU schutz­be­rech­tig­te Flücht­lin­ge in außer­eu­ro­päi­sche Staa­ten abzu­schie­ben und um sich so selbst aus dem Flücht­lings­schutz zurück­zu­zie­hen? Wel­che Stan­dards müs­sen für sol­che „siche­ren Dritt­staa­ten“ gel­ten und wie stark muss die Ver­bin­dung zwi­schen Flücht­ling und jewei­li­gem Dritt­staat für eine Abschie­bung sein?
  • Kom­men Kin­der mit ihren Fami­li­en in die geplan­ten neu­en Grenz­ver­fah­ren, obwohl sie damit abseh­bar inhaf­tiert wer­den und dies nicht kin­der­rechts­kon­form wäre? Wer­den hier­von selbst Klein­kin­der betrof­fen sein oder wird es eine – aus Kin­der­rechts­sicht absur­de – Alters­gren­ze von sechs oder zwölf Jah­ren geben?
  • Kann im Fall einer angeb­li­chen „Instru­men­ta­li­sie­rung von Migrant*innen“ das eigent­lich gel­ten­de Recht so aus­ge­he­belt wer­den, dass rechts­wid­ri­ge Push­backs zuneh­men und alle die­je­ni­gen, die es über­haupt noch schaf­fen, einen Asyl­an­trag zu stel­len, in mas­siv aus­ge­wei­te­te Asyl­grenz­ver­fah­ren kom­men würden?

„Kin­der, Frau­en und Män­ner hin­ter Git­tern – nur weil sie in Euro­pa Schutz suchen? Das darf nicht die Zukunft des Flücht­lings­schut­zes wer­den!“, mahnt Judith. „Beson­ders gefähr­lich ist zudem die von den Mit­glied­staa­ten gewoll­te Aus­wei­tung des Kon­zepts von soge­nann­ten siche­ren Dritt­staa­ten. Ganz offen­sicht­lich berei­ten sich eini­ge Mit­glied­staa­ten dar­auf vor, sich über Deals mit auto­kra­ti­schen Regie­run­gen der Flücht­lin­ge zu ent­le­di­gen. Das unter­gräbt den welt­wei­ten Flücht­lings­schutz und ver­letzt – wie schon heu­te bei sol­chen Deals der Fall – in der Pra­xis Men­schen­rech­te und gefähr­det die Rechts­staat­lich­keit. Sol­chen Ver­su­chen der Aus­la­ge­rung des Flücht­lings­schut­zes muss bei den Ver­hand­lun­gen der Rie­gel vor­ge­scho­ben wer­den“, for­dert Judith.

Wei­ter­ge­hen­de Informationen

Die GEAS-Reform soll dem Wil­len der spa­ni­schen Rats­prä­si­dent­schaft nach noch in die­sem Jahr zwi­schen den Ko-Gesetz­ge­bern poli­tisch geeint wer­den. Die tech­ni­schen Tri­log-Ver­hand­lun­gen lau­fen abseh­bar noch bis Anfang Febru­ar, im Anschluss müs­sen Rat und EU-Par­la­ment der Reform for­mal zustim­men. Ins­be­son­de­re die Posi­ti­ons­fin­dung zwi­schen den Mit­glied­staa­ten im Rat hat in die­sem Jahr gro­ße media­le Auf­merk­sam­keit bekommen.

Im Okto­ber einig­ten sich die Mit­glied­staa­ten auf ihre Posi­ti­on zur letz­ten Ver­ord­nung, der soge­nann­ten Kri­sen­ver­ord­nung. In die­se nah­men die Mit­glied­staa­ten beson­ders schar­fe Vor­schlä­ge im Fall einer Instru­men­ta­li­sie­rung auf. PRO ASYL erläu­tert hier die Vor­schlä­ge. Vor­ab gab es brei­te zivil­ge­sell­schaft­li­che Appel­le an die Bun­des­re­gie­rung, einer solch toxi­schen Ver­ord­nung nicht zuzu­stim­men. Der Appell „Nein zur ‚Instru­men­ta­li­sie­rung‘ durch die Hin­ter­tür – Das Recht an den EU-Außen­gren­zen ein­hal­ten, nicht ver­bie­gen“ an die Bun­des­re­gie­rung vom 4. Juli 2023 wur­de von 55 deut­schen Bun­des- und Lan­des­or­ga­ni­sa­tio­nen unterschrieben.

Zuvor hat­ten sich die Mit­glied­staa­ten am 8. Juni 2023 auf ihre Ver­hand­lungs­po­si­tio­nen zu den meis­ten Ver­ord­nun­gen geei­nigt, auch mit der Stim­me der Bun­des­re­gie­rung – u.a. für ein neu­es Scree­ning an den Außen­gren­zen, schär­fe­re Asyl­grenz­ver­fah­ren und neue Bestim­mun­gen für die Zustän­dig­kei­ten im Asyl­ver­fah­ren sowie schwa­che Regeln zur Soli­da­ri­tät. PRO ASYL ana­ly­sier­te hier die Eini­gung. Im Vor­feld der Eini­gung rich­te­ten über 50 deut­sche Bun­des- und Lan­des­or­ga­ni­sa­tio­nen den Appell „Kei­ne Kom­pro­mis­se auf Kos­ten des Flücht­lings­schut­zes“ an die Bundesregierung.

Das Euro­par­la­ment hat­te bereits im April 2023 sei­ne Ver­hand­lungs­po­si­tio­nen beschlos­sen, die in vie­len Berei­chen stär­ke­re Rechts­ga­ran­tien für nach Euro­pa flie­hen­de Men­schen vor­se­hen. Des­we­gen über­gab PRO ASYL am 13. Dezem­ber 2023 im EU-Par­la­ment die Peti­ti­on „Nein zu einem Euro­pa der Haft­la­ger für Flücht­lin­ge!“ mit über 40.000 Unter­schrif­ten an Bir­git Sip­pel als Mit­ver­hand­le­rin des Euro­pa­par­la­ments (Frak­ti­on der Pro­gres­si­ven Alli­anz der Sozi­al­de­mo­kra­ten im Euro­päi­schen Par­la­ment), um das Par­la­ment auf­zu­for­dern, die­se Posi­tio­nen in den Ver­hand­lun­gen stark zu vertreten.

In der Sach­ver­stän­di­gen­an­hö­rung im Bun­des­tag zur euro­päi­schen Flücht­lings­po­li­tik hat Wieb­ke Judith als rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin für PRO ASYL im März 2023 auf die Gefah­ren der Reform hingewiesen.

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