10.02.2017

PRO ASYL hat erheb­li­che Beden­ken gegen das beim gest­ri­gen Tref­fen zwi­schen Bund und Län­dern beschlos­se­ne Maß­nah­men­pa­ket für eine schär­fe­re Abschie­be­po­li­tik. »Deutsch­land soll sich vom Auf­nah­me­land zum Abschie­be­land ent­wi­ckeln«, warnt Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL.

Es irri­tie­re, dass ein solch weit­rei­chen­der Beschluss der Minis­ter­prä­si­den­ten ohne aus­führ­li­che öffent­li­che Dis­kus­si­on, ohne Betei­li­gung der gewähl­ten Abge­ord­ne­ten in Bund und Län­dern gefasst wird. »Das Ende der Will­kom­mens­kul­tur kann aber nicht ein­fach so von oben ver­ord­net wer­den«, sagt Burk­hardt. Gera­de jetzt ist die Zivil­ge­sell­schaft gefragt, Asyl­su­chen­den zur Sei­te zu ste­hen, sie in ihren Asyl­ver­fah­ren zu beglei­ten und behörd­li­ches Han­deln von unab­hän­gi­gen Gerich­ten über­prü­fen zu lassen.

PRO ASYL appel­liert dazu, sich in Län­der­ko­ali­tio­nen, im Bun­des­rat und auch im Bun­des­tag inten­siv mit die­sen poli­ti­schen Beschlüs­sen zu befas­sen und sich der Abschie­be­ma­schi­ne­rie, die mensch­li­che Fol­gen außer Acht lässt, ent­ge­gen­zu­stel­len. Abschie­bun­gen und erzwun­ge­ne frei­wil­li­ge Aus­rei­sen in Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­te wie zum Bei­spiel nach Afgha­ni­stan sind inakzeptabel.

PRO ASYL teilt die von den Bun­des­län­dern Ber­lin, Baden-Würt­tem­berg, Bran­den­burg und Thü­rin­gen pro­to­kol­lier­ten Vor­be­hal­te zum sog. 15-Punk­te-Plan der Bun­des­re­gie­rung. Die Bun­des­län­der ins­ge­samt haben sich eine abschlie­ßen­de Bewer­tung im Lich­te des kon­kret vor­lie­gen­den Gesetz­ent­wur­fes des »Geset­zes zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht« vor­be­hal­ten. Auf grund­sätz­li­che Kri­tik stößt das von den Bun­des­län­dern ins­ge­samt gebil­lig­te Kon­zept der flä­chen­de­cken­den staat­li­chen Rück­kehr­be­ra­tung, die bereits am Anfang des Asyl­ver­fah­rens vor­ge­nom­men wer­den soll.

Ers­te Bewer­tung von PRO ASYL von zen­tra­len Ele­men­ten des Maßnahmenpakets

Ent­wurf eines Geset­zes zur bes­se­ren Durch­füh­rung der Ausreisepflicht

Der Bund möch­te noch vor der Bun­des­tags­wahl ein neu­es Gesetz zur bes­se­ren Durch­füh­rung der Aus­rei­se­pflicht in den Bun­des­tag ein­brin­gen. Ein neu­er Abschie­be­haft­grund soll ein­ge­führt wer­den, um Per­so­nen, von denen eine erheb­li­che Gefahr für Leib und Leben Drit­ter oder bedeu­ten­de Rechts­gü­ter der inne­ren Sicher­heit aus­geht, in Abschie­be­haft zu neh­men. Doch was unter sog. Gefähr­dern zu ver­ste­hen ist, ist auch straf­recht­lich höchst umstrit­ten. Eine prä­ven­ti­ve Inhaf­tie­rung von Per­so­nen ohne hin­rei­chen­den Grund ist rechts­staat­lich unzu­läs­sig. Zudem wer­den Aus­län­der­recht und Straf­recht hier ver­mischt. Die Abschie­be­haft darf nur zur Sicher­stel­lung des Voll­zugs der Abschie­bung ange­ord­net wer­den. Die Abschie­be­haft ist kei­ne effek­ti­ve und recht­lich zuläs­si­ge Maß­nah­me zur Abwehr ter­ro­ris­ti­sche Gefah­ren. Die­sen muss mit Mit­teln der Straf­ver­fol­gung und des Straf­rechts begeg­net werden.

Eben­so ist die vor­ge­se­he­ne Ver­län­ge­rung der Höchst­dau­er des Aus­rei­se­ge­wahr­sams auf 10 Tage rechts­staat­lich höchst pro­ble­ma­tisch. PRO ASYL hat die Ein­füh­rung des § 62b Auf­enthG bereits im letz­ten Jahr scharf kri­ti­siert. Mit dem Aus­rei­se­ge­wahr­sam wird ohne die übli­che rechts­staat­li­che Prü­fung ein­zel­ner Haft­grün­de eine Abschie­bungs­haft ange­ord­net. Nach der EU-Rück­füh­rungs­richt­li­nie ist Flucht­ge­fahr der wesent­li­che Grund, aus dem ein Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ger zur Siche­rung der Abschie­bung inhaf­tiert wer­den darf (Art. 15 Abs. 1). Unter wel­chen Umstän­den von Flucht­ge­fahr aus­ge­gan­gen wer­den kann, muss aber gesetz­lich klar defi­niert sein. Wich­tig ist dabei, dass Auf­fang­tat­be­stän­de nach der Rück­füh­rungs­richt­li­nie nicht erlaubt sind (Art. 3 Nr. 7). Der Aus­rei­se­ge­wahr­sam stellt einen sol­chen nicht defi­nier­ten Haft­grund dar, der jetzt auch noch auf zehn Tage aus­ge­wei­tet wird. Eine der­art lan­ge Dau­er ist über­dies unver­hält­nis­mä­ßig und daher sowohl ver­fas­sungs- als auch euro­pa­recht­lich unzulässig.

Beson­ders gra­vie­rend ist das Vor­ha­ben, die ein­mo­na­ti­ge Wider­rufs­frist bei Abschie­bun­gen nach über ein­jäh­ri­ger Dul­dung für bestimm­te Per­so­nen­grup­pen ersatz­los abzu­schaf­fen (§ 60a Abs. 5 Auf­enthG). Im Kern heißt das, dass Per­so­nen, die sich über einen län­ge­ren Zeit­raum in Deutsch­land auf­hal­ten, über­ra­schend abge­scho­ben wer­den kön­nen – ganz ohne vor­he­ri­ge Ankün­di­gung. Für lang­jäh­rig Gedul­de­te bedeu­tet dies eine stän­di­ge Unge­wiss­heit und den dar­auf­fol­gen­den Schock vor einer über­ra­schen­den Rück­füh­rung. Schon bei den bei­den vor­an­ge­gan­ge­nen Sam­mel­char­ter-Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan wur­den auch lang­jäh­rig Gedul­de­te abge­scho­ben. Die Rege­lung soll für Per­so­nen gel­ten, die angeb­lich durch Täu­schung über ihre Iden­ti­tät oder durch Nicht­er­fül­lung zumut­ba­rer Anfor­de­run­gen an die Mit­wir­kung ihre Auf­ent­halts­be­en­di­gung ver­hin­dert oder ver­zö­gert haben. In der Pra­xis wird Flücht­lin­gen immer wie­der ohne belast­ba­re Begrün­dung vor­ge­wor­fen, ihre Abschie­bung selbst­ver­schul­det ver­hin­dert zu haben. Die Rege­lung ist so unscharf for­mu­liert, dass sie ein Ein­falls­tor für Will­kür sein kann. Zusätz­lich soll die­se Per­so­nen­grup­pe noch mit einer Resi­denz­pflicht belas­tet wer­den, um sie noch stär­ker durch den Staat kon­trol­lie­ren zu können.

Das geplan­te Gesetz sieht auch vor, dass das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge bereits im Asyl­ver­fah­ren zur Über­prü­fung der Iden­ti­tät von Asyl­su­chen­den auf Daten aus ihren mobi­len End­ge­rä­ten und auf SIM-Kar­ten Zugriff haben soll. Außer­dem soll geprüft wer­den, ob wei­te­re Daten­aus­wer­tun­gen vor­ge­nom­men wer­den kön­nen, wenn dies angeb­lich der Über­prü­fung der »für die Ent­schei­dung über den Asyl­an­trag maß­geb­li­che Anga­ben« dient. Gera­de die­ser Pas­sus ist sehr unbe­stimmt gehal­ten. Im Daten­schutz­recht gilt das Gebot der Zweck­bin­dung, so dass Daten nur für den Zweck ver­ar­bei­tet wer­den dür­fen, für den sie erho­ben wur­den. Die Rege­lung ermög­licht en pas­se einen umfas­sen­den Zugriff des BAMF auf pri­va­te Daten von Geflüch­te­ten, die mög­li­cher­wei­se zu sach­frem­den Zwe­cken ver­wen­det wer­den könn­ten. Aus der Per­spek­ti­ve von Geflüch­te­ten, die aus auto­ri­tä­ren Regi­men geflo­hen sind, dürf­te es zusätz­lich irri­tie­rend sein, wenn von ihnen in Deutsch­land umfas­send pri­va­te Daten her­aus­ver­langt werden.

Frei­wil­li­ge Rückkehrberatung

Vie­le Maß­nah­men des 15-Punk­te-Plans sol­len außer­halb des Gesetz­ge­bungs­ver­fah­rens auf den Weg gebracht wer­den. Zen­tral ist dabei die angeb­lich »frei­wil­li­ge« Rück­kehr­be­ra­tung. Eine tat­säch­li­che Rück­kehr­be­ra­tung, die auf Frei­wil­lig­keit setzt, kann aber nur ergeb­nis­of­fen und von unab­hän­gi­gen Akteu­ren durch­ge­führt wer­den. Die Rück­kehr­be­ra­tung soll bereits früh im Asyl­ver­fah­ren anset­zen, Asyl­su­chen­de ent­mu­ti­gen und offen­kun­dig unter Rück­kehr­druck set­zen. Schon das Pro­gramm „Start­hil­fe Plus“ der Bun­des­re­gie­rung hat selbst Ziel­staa­ten wie Syri­en, Eri­trea oder Afgha­ni­stan gelis­tet. PRO ASYL lehnt die Idee einer de-fac­to-Zwangs­rück­kehr­be­ra­tung von Staats wegen ab (sie­he dazu The­sen­pa­pier von PRO ASYL). Die Bun­des­re­gie­rung lässt sich das Gan­ze eini­ges kos­ten und will dazu ins­ge­samt 90 Mil­lio­nen Euro in 2017 inves­tie­ren. Ein rechts­staat­li­ches Ver­fah­ren über Asyl­grün­de darf nicht von der Idee einer bal­di­gen Rück­kehr über­wölbt wer­den. Für die Flücht­lin­ge dürf­te es zu erheb­li­chen Irri­ta­tio­nen füh­ren, wenn sie von der glei­chen Behör­de, die über ihren Asyl­an­trag ent­schei­det, zugleich zu einer Rück­kehr in das Her­kunfts­land ani­miert wird.

Rück­kehr­zen­trum

Wei­ter­hin soll inner­halb der nächs­ten drei Mona­te ein Gemein­sa­mes Zen­trum zur Rück­kehr geschaf­fen wer­den, um Sam­mel­ab­schie­bun­gen zu koor­di­nie­ren. Offen­sicht­lich zielt der Plan u.a. dar­auf ab, Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan noch stär­ker zu for­cie­ren. Bei den bei­den ver­gan­ge­nen Sam­mel­char­ter-Flü­gen zeig­te sich, dass eini­ge Bun­des­län­der nicht mit der Linie des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums ein­ver­stan­den sind und unter Ver­weis auf Berich­te von UNHCR und der UN-Mis­si­on UNAMA an der längst über­hol­ten Sicher­heits­be­ur­tei­lung des Bun­des zu Afgha­ni­stan erheb­li­che Zwei­fel haben. Das neue Gemein­sa­me Zen­trum stellt den Ver­such dar, die Beden­ken der Bun­des­län­der zu umge­hen und zen­tral Abschie­bun­gen umzu­set­zen. Die Ermes­sens­spiel­räu­me der Län­der sol­len zusätz­lich deut­lich beschnit­ten wer­den, indem das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um dem­nächst Leit­sät­ze her­aus­ge­ben soll, wie die Anwen­dung von Dul­dun­gen in den Bun­des­län­dern zu regeln ist.

In höchs­tem Maße pro­ble­ma­tisch ist auch die gesetz­li­che Ermäch­ti­gung der Län­der, die Befris­tung der Ver­pflich­tung für Asyl­su­chen­de ohne Blei­be­per­spek­ti­ve in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen zu woh­nen, zu ver­län­gern. Über den gesetz­lich nicht defi­nier­ten Begriff der »Blei­be­per­spek­ti­ve« soll die Dau­er­ka­ser­nie­rung von Asyl­su­chen­den gerecht­fer­tigt wer­den. Es sol­len Zen­tren der »orga­ni­sier­ten Hoff­nungs­lo­sig­keit« werden.

Bun­des­aus­rei­se­zen­tren

Die Ein­rich­tung von Bun­des­aus­rei­se­zen­tren ist noch umstrit­ten. Sie gehen auf den Vor­schlag von Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­ziè­re zurück. Sie sol­len in Flug­ha­fen­nä­he dazu genutzt wer­den, dass abge­lehn­te Asyl­su­chen­de dort bis zur Abschie­bung unter­ge­bracht wer­den. Die Zustän­dig­keit der Län­der für Abschie­bun­gen wird auf­ge­weicht. Die Ermes­sens­spiel­räu­me für huma­ni­tä­re Lösun­gen im Ein­zel­fall wür­den nicht mehr genutzt wer­den können.

Amts­ärzt­li­che Begutachtungen 

Geplant ist, ohne­hin schon schar­fe Rege­lun­gen wei­ter zu ver­schär­fen. Die ärzt­li­che Begut­ach­tung der Rei­se­fä­hig­keit bei Rück­füh­run­gen soll beschleu­nigt (in der Pra­xis: auch in der Sache ver­kürzt) wer­den. Die Län­der sol­len mehr Amts­ärz­te oder ver­gleich­ba­res ärzt­li­ches Per­so­nal ein­set­zen. Schon heu­te wer­den als ver­gleich­ba­res Per­so­nal auch zur Beglei­tung von Rück­füh­run­gen zum Teil will­fäh­ri­ge Hono­rar­ärz­te ein­ge­setzt, die in der Ver­gan­gen­heit bereits tref­fend als »Fach­ärz­te für Abschie­bun­gen« kri­ti­siert wur­den. Ärzt­li­ches Han­deln hat sich am Pati­en­ten­wohl und dem Hip­po­kra­ti­schen Eid zu ori­en­tie­ren, wozu die Reduk­ti­on des ärzt­li­chen Selbst­ver­ständ­nis­ses auf Abschie­bungs­be­glei­tung nicht gehört.

Schnel­le Bear­bei­tung von Folgeanträgen

Auf­grund der sich ste­tig ver­schlech­tern­den Sicher­heits­la­ge in Afgha­ni­stan stel­len der­zeit vie­le Gedul­de­te sog. Fol­ge­an­trä­ge. Der Beschluss sieht nun vor, dass die Fol­ge­an­trä­ge beim BAMF schnell ent­schie­den wer­den, um Ver­zö­ge­run­gen bei der Rück­füh­rung zu mini­mie­ren. Fai­re und sach­ge­rech­te Asyl­ver­fah­ren dür­fen aber nicht nur schnell sein, son­dern eben­so sorg­fäl­tig in Sachen Anhö­rung und Ent­schei­dungs­be­grün­dung sein. Die mas­sen­haft durch­ge­führ­ten Schnell­ver­fah­ren des Bun­des­am­tes im letz­ten Jahr haben gezeigt, dass Schnel­lig­keit zu Las­ten der Qua­li­tät ging. Des­halb befürch­tet PRO ASYL, dass mit die­sem Beschluss die­ses Pro­blem auf die Fol­ge­an­trä­ge über­tra­gen wird.

Die Minis­ter­prä­si­den­ten haben zudem im Beschluss for­mu­liert: »In den nächs­ten Mona­ten wird das BAMF fort­lau­fend eine hohe Zahl von Asyl­an­trä­gen von Per­so­nen ableh­nen, die kei­nes Schut­zes in Deutsch­land bedür­fen.« Dies liest sich nicht wie ein Bekennt­nis zu fai­ren und qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen Asyl­ver­fah­ren, son­dern wie die pro­gram­ma­ti­sche Ankün­di­gung einer ver­schärf­ten Ablehnungspolitik. 

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