18.01.2019

PRO ASYL: Gesetz­ent­wurf ist abzulehnen

PRO ASYL appel­liert an den Bun­des­tag, dem aktu­el­len Gesetz­ent­wurf zur Erwei­te­rung der Lis­te der »siche­ren Her­kunfts­län­der«, der heu­te ver­han­delt wird, nicht zuzu­stim­men. Er ist aus recht­li­chen Grün­den und aus prag­ma­ti­schen Erwä­gun­gen abzu­leh­nen. Zudem öff­net er poli­ti­schen Mani­pu­la­tio­nen die Tür.

Die Ein­stu­fung von Alge­ri­en, Marok­ko, Tune­si­en und Geor­gi­en als »siche­re« Her­kunfts­staa­ten wider­spricht den Vor­ga­ben des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, wonach Sicher­heit vor Ver­fol­gung »lan­des­weit und für alle Per­so­nen- und Bevöl­ke­rungs­grup­pen bestehen« muss (BVerfG, Beschluss v. 14. Mai 1996, 2 BvR 1507/93, 2 BvR 1508/93). In allen zur Debat­te ste­hen­den Län­dern wer­den Min­der­hei­ten dis­kri­mi­niert und ins­be­son­de­re Homo­se­xua­li­tät geahndet.

PRO ASYL kri­ti­siert, dass auch der von der Regie­rungs­ko­ali­ti­on per Ände­rungs­an­trag kurz­fris­tig ein­ge­brach­te Ver­weis auf »spe­zi­el­le Rechts­be­ra­tung für beson­ders vul­nerable Grup­pen« fak­tisch ins Lee­re lau­fen wird. Die For­mu­lie­rung ist nicht mehr als ein Köder für die Län­der im Bun­des­rat. Die Rege­lung wird schon des­halb ins Lee­re lau­fen, weil – im Übri­gen gegen euro­päi­sches Recht – über­haupt kei­ne gesetz­li­chen Vor­keh­run­gen getrof­fen sind, um bei allen Asyl­an­trag­stel­len­den »beson­ders Schutz­be­dürf­ti­ge« zu iden­ti­fi­zie­ren. Selbst die im Koali­ti­ons­ver­trag ver­ab­re­de­te »unab­hän­gi­ge« Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung als Ange­bot für alle soll vom Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) in Eigen­re­gie als for­ma­le Erst­in­for­ma­ti­on durch­ge­führt wer­den. »Ein behörd­li­ches Pseu­do­an­ge­bot statt unab­hän­gi­ger Bera­tung«, sagt Bernd Meso­vic, rechts­po­li­ti­scher Lei­ter bei PRO ASYL. »Als die am Ende über den Asyl­an­trag ent­schei­den­de Instanz ist das BAMF unge­eig­net, Ver­trau­en zu vul­ner­ablen Per­so­nen her­zu­stel­len, deren Bedar­fe zu ermit­teln und Kon­tak­te zu Rechts­an­wäl­ten zu ver­mit­teln.« PRO ASYL appel­liert an die rot und grün mit­re­gier­ten Bun­des­län­der, sich bereits jetzt von die­ser Mogel­pa­ckung zu distanzieren.

Der Gesetz­ent­wurf igno­riert außer­dem die Grund­satz­ent­schei­dung des EuGH, nach der abge­lehn­te Asyl­be­wer­be­rIn­nen die Mög­lich­keit haben müs­sen zu kla­gen, ohne dass sie wäh­rend­des­sen abge­scho­ben wer­den dür­fen (Urteil v. 19.06.2018, C‑181/16). Asyl­su­chen­de aus »siche­ren Her­kunfts­län­dern« wer­den i.d.R. als »offen­sicht­lich unbe­grün­det« abge­lehnt. Das ermög­licht aber der­zeit die Abschie­bung wäh­rend des lau­fen­den Ver­fah­rens (§ 75 i.V.m. § 36 AsylG). Dies hät­te also zwin­gend neu gere­gelt wer­den müs­sen, fehlt aber im Ent­wurf. (Wei­te­re Erläu­te­run­gen dazu auch in unse­rer Stellungnahme.)

Auch das Argu­ment, »offen­sicht­lich unbe­grün­de­te« Ableh­nun­gen wür­den das Asyl­ver­fah­ren beschleu­ni­gen, hält einer prak­ti­schen Prü­fung nicht stand. Die Dau­er eines Asyl­ver­fah­rens hängt ganz über­wie­gend von ande­ren Fak­to­ren ab, wie z.B. von einer aus­rei­chen­den Per­so­nal­aus­stat­tung beim BAMF. Statt­des­sen ist die Dis­kus­si­on um »siche­re Her­kunfts­staa­ten« poli­ti­scher Popanz nach dem Mot­to »wer dage­gen ist, ver­hin­dert effek­ti­ve Asyl­ver­fah­ren«, der den andau­ern­den Asyl­streit wei­ter ansta­chelt, ohne tat­säch­li­che Rele­vanz für schnel­le­re Asyl­ver­fah­ren zu haben.

Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um (BMI) begrün­det die Ein­stu­fung als »siche­re Her­kunfts­staa­ten« dar­über hin­aus damit, dass die Aner­ken­nungs­quo­ten bei die­sen Län­dern unter 5 Pro­zent lie­ge. Abge­se­hen davon, dass es eine sol­che 5%-Hürde als Beweis für »siche­re Her­kunfts­staa­ten« weder im Asyl­recht, noch nach den Vor­ga­ben des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts gibt: Die Quo­ten wer­den sei­tens der Bun­des­re­gie­rung her­un­ter­ge­rech­net. Von der Bun­des­re­gie­rung wer­den näm­lich auch die for­mel­len Ableh­nun­gen mit ein­ge­rech­net, was die Schutz­quo­ten nach unten drückt (»unbe­rei­nig­te« Quo­te).* Die berei­nig­ten Quo­ten lie­gen bei den zur Debat­te ste­hen­den Maghreb-Staa­ten aktu­ell (Janu­ar bis Novem­ber 2018) bei: Alge­ri­en 4,5 Pro­zent, Marok­ko 8,0 Pro­zent und Tune­si­en 5,5 Prozent.

Aner­ken­nungs­quo­ten sind zudem poli­tisch mani­pu­lier­bar, indem das BMI poli­ti­schen Druck auf das BAMF aus­übt – nicht durch Anwei­sun­gen, son­dern durch öffent­li­che Äuße­run­gen von Erwar­tungs­hal­tun­gen. Bes­tes Bei­spiel: Afgha­ni­stan. Aus­ge­hend von der Behaup­tung des dama­li­gen Innen­mi­nis­ters De Mai­zie­re, afgha­ni­sche Asyl­su­chen­de hät­ten meist kei­ne Flucht­grün­de, gin­gen die Aner­ken­nungs­quo­ten deut­lich nach unten.

Aus poli­tisch mani­pu­lier­ba­ren Quo­ten die Vor­aus­set­zun­gen für die Ein­stu­fung wei­te­rer Län­der als »siche­re Her­kunfts­staa­ten« ablei­ten zu wol­len, ist zynisch. Macht die Metho­de Schu­le, könn­ten BAMF und Regie­rung im Zusam­men­spiel ver­sucht sein, die Lis­te der angeb­lich »siche­ren Staa­ten« kon­ti­nu­ier­lich zu erwei­tern. Der redu­zier­te Rechts­schutz im Fall der Ent­schei­dung als »offen­sicht­lich unbe­grün­det« wür­de damit Zug um Zug von der Aus­nah­me zur Regel.

* Um die Ent­schei­dungs­pra­xis des BAMF rea­lis­ti­scher abbil­den zu kön­nen, rech­nen wir die »sons­ti­gen Ver­fah­rens­er­le­di­gun­gen« aus den Quo­ten her­aus (sog. »berei­nig­te Schutz­quo­te«), da in die­sen Ver­fah­ren kei­ne inhalt­li­che Prü­fung der Asyl­grün­de statt­fin­det (bspw. weil auf­grund der Dub­lin-Ver­ord­nung ein ande­rer EU-Staat für die Prü­fung des Asyl­an­trags zustän­dig ist oder wegen Ver­fah­rens­ein­stel­lung, weil ein Asyl­an­trag zurück­ge­nom­men wur­de). Somit fin­den nur die­je­ni­gen Asyl­ver­fah­ren, in denen die Asyl­grün­de der Betrof­fe­nen inhalt­lich geprüft wur­den und in denen Schutz erteilt oder abge­lehnt wur­de, Berück­sich­ti­gung in unse­ren Berech­nun­gen. Durch einen hohen Anteil for­mel­ler Erle­di­gun­gen wür­de die­se tat­säch­li­che Schutz­quo­te ver­zerrt, denn über die Schutz­be­dürf­tig­keit wur­de in die­sen Fäl­len weder posi­tiv noch nega­tiv entschieden.

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