22.06.2017

PRO ASYL warnt vor dem Aus­stieg Euro­pas aus dem indi­vi­du­el­len Recht auf Asyl

Die Flücht­lings­po­li­tik der EU und das euro­päi­sche Asyl­recht wer­den ab Don­ners­tag TOP 1 des Gip­fel­tref­fens in Brüs­sel. Auf dem Tisch lie­gen Plä­ne der EU-Kom­mis­si­on für eine Flücht­lings­po­li­tik, die das indi­vi­du­el­le Recht auf Asyl fun­da­men­tal beschä­di­gen wer­den. Die­se sol­len bei dem Tref­fen wei­ter ver­schärft werden.

»Die EU will das euro­päi­sche Flücht­lings­recht ver­bie­gen, bis es sinn­ent­leert ist«, warnt Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL. Flücht­lin­ge sol­len in angeb­lich siche­re Zonen in Dritt­staa­ten außer­halb Euro­pas ver­frach­tet wer­den. Die Plä­ne für Koope­ra­tio­nen mit Dritt­staa­ten sind schon weit gedie­gen. »Es sol­len wil­li­ge Staa­ten gefun­den wer­den, die gegen Zusa­gen durch die EU bereit sind, Schutz­su­chen­de auf­zu­neh­men, egal ob die­se einen Bezug zu die­sem Staat haben oder nicht«, befürch­tet Burk­hardt. Die EU behaup­tet, sich strikt an der GFK und dem Pri­mär­recht aus­rich­ten zu wol­len. Fak­tisch spielt es kei­ne Rol­le, ob Flücht­lings­schutz in den koope­rie­ren­den Dritt­staa­ten tat­säch­lich gewähr­leis­tet ist. Nun will die EU ihr Asyl­recht so ver­än­dern, dass dies auch recht­lich mög­lich ist.

Im Unter­schied zum bis­he­ri­gen Recht sol­len die Kri­te­ri­en für die­se angeb­lich siche­ren Dritt­staa­ten dras­tisch gesenkt wer­den. Die Not­wen­dig­keit der Ver­bin­dung des Asyl­su­chen­den zu dem siche­ren Dritt­staat (»sodass es ver­nünf­tig erscheint, dass sich die­se Per­son in den Staat begibt«, Art. 38 Asyl­ver­fah­rens­richt­li­nie, Abs. 2 a) – soll wei­ter auf­ge­weicht oder gar ganz gestri­chen wer­den. Erreicht wer­den soll, dass Asyl­su­chen­de, die z.B. über die zen­tra­le Mit­tel­meer­rou­te ankom­men, in ande­re auf­nah­me­be­rei­te Dritt­staa­ten geschickt wer­den, durch die sie noch nicht ein­mal durch­ge­reist sind.

Schutz­su­chen­den soll das Recht genom­men wer­den, einen Asyl­an­trag in der EU zu stel­len. Nach den Plä­nen der EU-Kom­mis­si­on sol­len für Asyl­su­chen­de, die in der EU Schutz suchen, statt eines Asyl­ver­fah­rens flä­chen­de­ckend ver­pflich­tend Zuläs­sig­keits­ver­fah­ren vor­ge­schal­tet wer­den. Dies ist die Fol­ge, wenn aus einer Richt­li­nie eine für die Mit­glieds­staa­ten ver­bind­li­che Ver­ord­nung wird. Dann wür­de nicht mehr die Schutz­be­dürf­tig­keit geprüft, son­dern ent­schie­den, ob ein Asyl­an­trag in der EU über­haupt gestellt wer­den darf, also »zuläs­sig« ist. Nach die­sem Kon­zept will die EU sys­te­ma­tisch Asyl­su­chen­de in angeb­lich siche­re Dritt­staa­ten außer­halb der EU zurück­wei­sen, ohne ihre Flucht­grün­de oder das Recht auf Fami­li­en­ein­heit geprüft zu haben.

Zusätz­lich wur­den Plä­ne Deutsch­lands und Frank­reichs Ende Febru­ar öffent­lich. Bei erhöh­ten Zugangs­zah­len in Euro­pa muss der angeb­lich »siche­re« Dritt­staat zusätz­lich nicht ein­mal in Gän­ze sicher sein – son­dern nur in einem Teil­ge­biet, so der deutsch – fran­zö­si­sche Plan. Sol­che »Inseln« sol­len gera­de noch Schutz vor Fol­ter nach Art. 3 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EMRK) bie­ten, um Flücht­lin­ge dort­hin zurück zu verfrachten.

Zwar sind die­se Plä­ne noch nicht beschlos­sen. Die Innen­mi­nis­ter der EU bera­ten jedoch bereits die Umset­zung. Laut einem von der taz ver­öf­fent­lich­ten Doku­ment sol­len in Liby­en soge­nann­te »Lega­li­täts­in­seln« geschaf­fen wer­den. Wört­lich heißt es im Nach­be­richt zum Tref­fen des Rates der EU-Innen- und Jus­tiz­mi­nis­ter am 27./28. März in Brüs­sel: »In LBY prü­fe man die Ein­rich­tung von »Lega­li­täts­in­seln«, in denen die Poli­zei gut aus­ge­stat­tet wer­de und die für Rück­füh­run­gen genutzt wer­den können.«

Der von der Bun­des­re­gie­rung maß­geb­lich geschmie­de­te EU-Tür­kei-Deal war der Beginn. Nun wird er ent­grenzt und auf jeden wil­li­gen Staat aus­ge­wei­tet, der sich bereit erklärt, gegen Geld, Visa­be­güns­ti­gun­gen, Wirt­schafts­ver­spre­chun­gen, Mili­tär­hil­fe oder ande­re Zusa­gen, Flücht­lin­ge der EU abzunehmen.

»Das ist der Aus­stieg eines Kon­ti­nents aus dem welt­weit gül­ti­gen, indi­vi­du­el­len Asyl­recht«, so PRO ASYL-Geschäfts­füh­rer Gün­ter Burk­hardt. Weil in Euro­pa die Soli­da­ri­tät abso­lut unzu­rei­chend ist, lädt man die Ver­ant­wor­tung ein­fach auf ande­re Staa­ten ab. PRO ASYL befürch­tet einen welt­wei­ten Domi­no-Effekt, der Flücht­lings- und Men­schen­rech­te ein­schnei­dend beschränkt. Wenn das rei­che Euro­pa aus dem indi­vi­du­el­len Asyl­recht aus­steigt, wer­den ärme­re Staa­ten folgen.

Kei­ne Soli­da­ri­tät in Europa 

Ein wei­te­rer Schwer­punkt des geplan­ten euro­päi­schen Asyl­sys­tems ist die Zwangs­ver­tei­lung von Flücht­lin­gen inner­halb Euro­pas. Nach den Plä­nen der EU-Kom­mis­si­on zur Dub­lin-IV-Ver­ord­nung (Link Dub­lin IV) soll ohne jeg­li­che zeit­li­che Befris­tung aus ande­ren EU-Staa­ten in den EU-Erst­ein­rei­se­staat abge­scho­ben wer­den kön­nen. Das gel­ten­de Dub­lin-Sys­tem funk­tio­niert nicht, da in eini­gen EU-Staa­ten Men­schen­rech­te ver­letzt wer­den oder die­se sich wei­gern, Schutz­su­chen­de zurück­zu­neh­men. Nur in etwas mehr als 10 Pro­zent aller Fäl­le wur­den im 1. Quar­tal 2017 aus Deutsch­land Schutz­su­chen­de in ande­re Staa­ten über­stellt (BT-Druck­sa­che 18/12623, S. 45): 11.059 Zustim­mun­gen im 1. Quar­tal 2017 ste­hen nur 1.344 tat­säch­li­che Über­stel­lun­gen gegen­über. In der Regel ging bis­her die Zustän­dig­keit für die Durch­füh­rung des Asyl­ver­fah­rens nach sechs Mona­ten auf den Auf­ent­halts­staat über. Nach den Plä­nen der EU-Kom­mis­si­on soll es mit der neu­en Dub­lin-IV-Ver­ord­nung kei­ne sol­che zeit­li­che Befris­tung für die Über­stel­lung mehr geben. Für die Flücht­lin­ge bedeu­tet dies, dass kein EU-Staat ihre Schutz­be­dürf­tig­keit mehr prüft.

Die feh­len­de Soli­da­ri­tät in Euro­pa zeigt sich auch in der Bereit­schaft, aus Grenz­staa­ten Schutz­su­chen­de aus­rei­sen zu las­sen. Obwohl Deutsch­land sich im 1. Quar­tal 2017 für 2.079 Schutz­su­chen­de, die sich in Grie­chen­land auf­hal­ten, zustän­dig erklärt hat, wur­den nur 837 Über­stel­lun­gen voll­zo­gen. Hier­bei han­delt es sich Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge, die nach der Dub­lin-III-Ver­ord­nung nach Deutsch­land ein­rei­sen dürfen.

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