29.03.2022

In einem gemein­sa­men Appell an den Deut­schen Bun­des­tag for­dert ein brei­tes zivil­ge­sell­schaft­li­ches Bünd­nis den Bun­des­tag und die Bun­des­re­gie­rung auf, sowohl rus­si­schen und bela­rus­si­schen als auch ukrai­ni­schen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rern und Deser­teu­ren Schutz und Asyl zu gewäh­ren. Deutsch­land und alle ande­ren EU-Län­der müs­sen die­se Men­schen, die vor dem Kriegs­ein­satz flie­hen, unbü­ro­kra­tisch auf­neh­men und ihnen ein dau­er­haf­tes Blei­be­recht ermög­li­chen – und auch dafür sor­gen, dass das Men­schen­recht auf Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung aner­kannt wird.

„Unser Ziel ist es, dass Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rern und Deser­teu­ren aus dem Ukrai­ne-Krieg unkom­pli­ziert Schutz und Asyl gewährt wird“, heißt es in dem Brief an die Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten, der von Con­nec­tion e.V., der Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on PRO ASYL und rund 40 wei­te­ren Friedens‑, Men­schen­rechts- und Flücht­lings­or­ga­ni­sa­tio­nen aus ganz Deutsch­land unter­stützt wird. Das Bünd­nis bit­tet die Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten ein­dring­lich, mit einem ent­spre­chen­den Antrag – mög­lichst über­frak­tio­nell – die Bun­des­re­gie­rung mit die­sem Schutz für Deser­teu­re und Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer zu beauf­tra­gen. Lei­der ist die­ser Schutz bis­her nicht garantiert.

Deser­teu­re aus der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on und Belarus

Nach der­zei­ti­gem Stand müs­sen geflüch­te­te Deser­teu­re und Ver­wei­ge­rer aus der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on und Bela­rus ins Asyl­ver­fah­ren gehen –  mit unge­wis­sem Aus­gang. Denn die Ver­fol­gung wegen Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung und Deser­ti­on gilt in Deutsch­land nach der Pra­xis von BAMF und Gerich­ten nicht ohne wei­te­res als Asylgrund.

Der Angriff der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on auf die Ukrai­ne ist ein völ­ker­rechts­wid­ri­ger Krieg, unter­stützt durch Bela­rus. Und des­halb gilt für rus­si­sche und bela­rus­si­sche Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten, die sich dem Ein­satz im Mili­tär und somit dem mög­li­chen Kriegs­ein­satz in der Ukrai­ne ent­zo­gen haben oder deser­tiert sind, Arti­kel 9 der  Qua­li­fi­ka­ti­ons­richt­li­ne der Euro­päi­schen Uni­on: Den­je­ni­gen Men­schen wird flücht­lings­recht­li­cher Schutz zuge­sagt, die sich völ­ker­rechts­wid­ri­gen Hand­lun­gen oder Krie­gen ent­zie­hen und des­we­gen Bestra­fung fürch­ten müs­sen (Arti­kel 9 Abs. 2e).

Doch die Erfah­rung sieht anders aus: Bis­he­ri­ge Asyl­ver­fah­ren, die sich auf Arti­kel 9 Absatz 2 der Richt­li­nie bezo­gen, haben gezeigt, dass deut­sche Behör­den und Gerich­te sehr hohe Beweis­an­for­de­run­gen stel­len, die vie­le der Betrof­fe­nen nicht erfül­len kön­nen. Dann droht ihnen Ableh­nung und Aus­lie­fe­rung an die Kriegsherren.

So for­dern deut­sche Behör­den und Gerich­te von den betrof­fe­nen Män­nern zum Bei­spiel Ein­satz­be­feh­le, die anste­hen­de völ­ker­rechts­wid­ri­ge Hand­lun­gen bele­gen – was in der Pra­xis aber schier unmög­lich ist. Und auch das Recht, den Kriegs­dienst zu ver­wei­gern, ist in bei­den Län­dern eingeschränkt.

Aus­rei­se­ver­bot aus Ukrai­ne wider­spricht Menschenrechtskonvention

Auch in der Ukrai­ne wird nur ein klei­ner Teil der Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer aner­kannt – zu ihnen zäh­len Mit­glie­der von klei­nen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten wie bei­spiels­wei­se den Zeu­gen Jeho­vas. Wer nicht einer sol­chen Reli­gi­ons­ge­mein­schaft ange­hört, dem wird eine Aner­ken­nung ver­sagt. Auch Reser­vis­ten und Sol­da­ten haben kei­ne Mög­lich­keit der Antrag­stel­lung. Zudem wider­spricht das der­zeit gel­ten­de Aus­rei­se­ver­bot für Män­ner zwi­schen 18 und 60 Jah­ren dem 4. Zusatz­pro­to­koll der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, wonach es jeder Per­son „frei­steht, jedes Land ein­schließ­lich sei­nes eige­nen zu verlassen“.

Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung ist ein Men­schen­recht, wie der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te 2011 fest­stell­te. Die­sem Men­schen­recht auf Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung muss in allen Län­dern, auch in denen, die sich im Krieg befin­den, Gel­tung ver­schafft wer­den. Wer aus Gewis­sens­grün­den den Dienst mit der Waf­fe ablehnt und dafür ver­folgt wird, muss geschützt werden.

Zwar genie­ßen Men­schen aus der Ukrai­ne durch den EU-Rats­be­schluss zum vor­über­ge­hen­den Schutz für zunächst ein Jahr einen siche­ren Auf­ent­halt. „Bezüg­lich der Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer ist jedoch zu beden­ken, dass mit Aus­lau­fen die­ser Rege­lung die Fra­ge rele­vant sein wird, ob und wie Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer in der Ukrai­ne ver­folgt wer­den“, heißt es in dem gemein­sa­men Appell der Orga­ni­sa­tio­nen. Denn auch hier zeigt die Erfah­rung: In den ver­gan­ge­nen Jah­ren waren bereits meh­re­re Hun­dert Ver­wei­ge­rer aus allen Tei­len der Ukrai­ne nach Deutsch­land gekom­men, um hier Schutz zu fin­den. Die meis­ten wur­den aber in den Asyl­ver­fah­ren abgelehnt.

Der Appell an den Deut­schen Bun­des­tag steht hier.

Infor­ma­tio­nen zur Rechts­la­ge für Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung und Deser­ti­on in Bela­rus, Rus­si­sche Föde­ra­ti­on und Ukrai­ne sind hier zu fin­den.

Infor­ma­tio­nen zu Schutz und Asyl für Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer und Deser­teu­re fin­den Sie hier und hier.

Ansprech­per­so­nen:

Rudi Fried­rich, Con­nec­tion e.V., office@Connection-eV.org, 069 / 82 37 55 34

Gün­ter Burk­hardt, PRO ASYL, presse@proasyl.de, 069 / 24 23 14 30

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