29.08.2016

PRO ASYL: Kor­rek­tur eige­ner Feh­ler im BAMF-Sys­tem nicht mehr vor­ge­se­hen – Arbeits­ver­la­ge­rung auf die Gerichte

Beim Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) häu­fen sich in den letz­ten Mona­ten Asy­l­ent­schei­dun­gen, die extrem män­gel­be­haf­tet sind. Wenn sie bei PRO ASYL auf den Tisch kom­men, bit­ten wir höf­lich um eine Rück­nah­me bzw. Abän­de­rung der Ent­schei­dung  und wei­sen auf die kon­kre­ten Män­gel hin. Gelang dies in der Ver­gan­gen­heit öfters, sodass eine sach­ge­rech­te Ent­schei­dung erzielt wer­den konn­te, so scheint sich das Bun­des­amt jetzt sys­te­ma­tisch zu ver­wei­gern. PRO ASYL erhebt den Vor­wurf, dass das Bun­des­amt die ihm auf­ge­tra­ge­ne Arbeit sys­te­ma­tisch den Ver­wal­tungs­ge­rich­ten auf­bür­det. Dies wird aus der schrift­li­chen Ant­wort des Bun­des­am­tes im fol­gen­den Fall deutlich.

PRO ASYL hat sich im Fall eines als „offen­sicht­lich unbe­grün­det“ abge­lehn­ten Soma­lis an das BAMF gewen­det – mit kon­kre­ten Män­gel­rü­gen. Im Ant­wort­schrei­ben des Bun­des­am­tes heißt es: „Grund­sätz­lich bit­te ich Sie aber um Ihr Ver­ständ­nis, dass wir auf Grund der enor­men Arbeits­be­las­tung der­zeit Inter­ven­tio­nen von drit­ter Sei­te nur in äußerst ekla­tan­ten Fäl­len nach­ge­hen kön­nen und auf die – wie hier bereits gesche­hen – Über­prü­fung im Gerichts­ver­fah­ren ver­wei­sen müssen.“

Dafür kann man aber in einem Rechts­staat kein Ver­ständ­nis haben. Denn die inzwi­schen auch über­las­te­ten Ver­wal­tungs­ge­rich­te sind nicht dafür da, vom Bun­des­amt sehen­den Auges in Kauf genom­me­ne Ver­fah­rens­män­gel zu kor­ri­gie­ren. Qua­li­täts­kon­trol­le ist in ers­ter Linie die Sache des Amtes selbst – und zwar bevor Beschei­de in die Post gehen. PRO ASYL hat­te dem Bun­des­amt bereits kürz­lich eine Hal­tung der Miss­ach­tung der deut­schen Ver­wal­tungs­ge­richts­bar­keit durch solch Indienst­nah­me vor­ge­wor­fen.

Selbst nach dem Kate­go­ri­en­sys­tem des Bun­des­am­tes war der kon­kre­te Fall „äußerst ekla­tant“. Der Soma­li hat­te ange­ge­ben, er sei nicht nur kurz­zei­tig von der Al-Shabab Miliz fest­ge­setzt wor­den, son­dern ihm dro­he auch die Blut­ra­che einer Fami­lie, deren einer Ange­hö­ri­ger durch den Bru­der des Asyl­su­chen­den ermor­det wor­den war. Ohne jeden Quel­len­be­zug ging der Ent­schei­der davon aus, dass ein Mit­glied des in Rede ste­hen­den Ver­fol­ger-Clans auf­grund sei­ner Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit kei­nen Mord bege­hen wür­de. Wei­ter wird in der Bun­des­amts­ent­schei­dung behaup­tet, der Antrag­stel­ler sei auch des­we­gen unglaub­wür­dig, weil er „trotz aus­rei­chen­der Gele­gen­heit und mehr­ma­li­gen Nach­fra­gens in sei­ner per­sön­li­chen Anhö­rung es unter­las­sen habe, den Wider­spruch auf­zu­klä­ren, an wel­chem Ort zwei Män­ner auf ihn geschos­sen hät­ten“. Im Pro­to­koll der Anhö­rung fin­det sich kei­ne ein­zi­ge sol­che Nach­fra­ge. Es ist aber wesent­li­che Pflicht des Bun­des­am­tes, angeb­li­che Wider­sprü­che durch geziel­te Nach­fra­gen auf­zu­klä­ren (sog. Vor­hal­te­pflicht).  Da dies nach­weis­bar ver­säumt wor­den ist, durf­te die Bun­des­amts­ent­schei­dung, in der behaup­tet wird, der Asyl­an­trag­stel­ler sei bei der Glaub­haft­ma­chung der Ver­fol­gungs­furcht „gänz­lich geschei­tert“, nie­mals das Amt verlassen.

Über­ra­schen­der­wei­se räumt das Bun­des­amt Män­gel in sei­nem Schrei­ben an PRO ASYL durch­aus ein: Eini­ge der von PRO ASYL bean­stan­de­ten For­mu­lie­run­gen und Rück­schlüs­se im Bescheid hät­ten tat­säch­lich so nicht vor­ge­nom­men wer­den dür­fen. So sei es kor­rekt, dass zwi­schen der Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit eines Clan-Mit­glieds und einer dadurch beding­ten ver­min­der­ten Tötungs­ab­sicht kein kau­sa­ler Zusam­men­hang bestehe.

Und wie ver­hält sich das Bun­des­amt zu dem Vor­wurf, wesent­li­che Wider­sprü­che durch Nach­fra­gen nicht auf­ge­klärt zu haben, also zur Ver­let­zung der Vor­hal­te­pflicht? Es stimmt PRO ASYL zu und räumt nach­träg­li­che Mani­pu­la­tio­nen des Amts ein: „Die von Ihnen zu Recht bemän­gel­te angeb­lich mehr­ma­li­ge Auf­for­de­rung zur Auf­klä­rung eines Wider­spruchs, die sich so dem Anhö­rungs­pro­to­koll nicht ent­neh­men lässt, wur­de anhand schrift­li­cher Noti­zen rekon­stru­iert, zumal hier Anhö­rer und Ent­schei­der iden­tisch sind. Der Ent­schei­der wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass der exak­te Ablauf der Anhö­rung zu pro­to­kol­lie­ren ist und der Bescheid den wesent­li­chen Inhalt der Anhö­rung wider­spie­geln muss.“ Man hat also der Ent­schei­dung nicht das Anhö­rungs­pro­to­koll, in dem die nöti­gen Nach­fra­gen nicht zu fin­den sind, zu Grun­de gelegt, son­dern den angeb­li­chen Ablauf der Anhö­rung aus schrift­li­chen Noti­zen, die sich der Anhö­rer gemacht haben soll, „rekon­stru­iert“. Im Klar­text: Man hat mani­pu­liert und die angeb­li­chen Wider­sprü­che „hin­zu­in­ter­pre­tiert“. Das ist schon skan­da­lös genug. Skan­da­lö­ser noch ist das Behar­ren auf die­ser mani­pu­la­ti­ven Vor­ge­hens­wei­se. Nicht der Flücht­ling ist beim Nach­weis der Glaub­haf­tig­keit geschei­tert, son­dern dem Bun­des­amt kann man künf­tig nicht mehr abneh­men, dass Anhö­rungs­pro­to­kol­le das tat­säch­lich Gesag­te wiedergeben.

Kei­ner­lei Ein­sicht in die Unrecht­mä­ßig­keit die­ses Vor­ge­hens zeigt das Bun­des­amt am Schluss sei­nes Brie­fes an PRO ASYL: „Trotz die­ser Qua­li­täts­män­gel ist die Ent­schei­dung als offen­sicht­lich unbe­grün­det nicht zu bean­stan­den, so dass ich lei­der kei­ne Ver­an­las­sung sehe, eine Bescheid­auf­he­bung wäh­rend des lau­fen­den Gerichts­ver­fah­rens her­bei­zu­füh­ren.“ Wer stoppt die­sen Irr­sinn? Im vor­lie­gen­den Fall inzwi­schen glück­li­cher­wei­se das Ver­wal­tungs­ge­richt. Im Eil­rechts­schutz hat das Gericht fest­ge­stellt, dass der Klä­ger wahr­schein­lich bei einer Rück­kehr nach Soma­lia eine ernst­haf­te Bedro­hung sei­nes Lebens oder sei­ner Unver­sehrt­heit in Fol­ge will­kür­li­cher Gewalt zu befürch­ten habe.

Die posi­ti­ve Wen­dung des Fal­les ist kein Trost für alle ande­ren Betrof­fe­nen sol­cher Prak­ti­ken. Das Bun­des­amt, das die Behe­bung von Feh­lern selbst dann ver­wei­gert, wenn es dar­auf hin­ge­wie­sen wird, legt es dar­auf an, dass es mit der Metho­de manch­mal durch­kommt. Ein Teil der so abge­lehn­ten Flücht­lin­ge wird inner­halb der kur­zen Rechts­mit­tel­frist (bei „offen­sicht­lich unbe­grün­det“ eine Woche) kei­nen Anwalt fin­den kön­nen, der moniert, was das Bun­des­amt schon von sich aus nicht hät­te tun dürfen.

Hin­weis: In einer frü­he­ren Ver­si­on der Pres­se­mit­tei­lung stand, dass der soma­li­sche Asyl­su­chen­de bereits eine Aner­ken­nung als sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ter durch das Gericht zuge­spro­chen bekom­men hat. Tat­säch­lich gibt es bis­lang nur eine posi­ti­ve Ent­schei­dung im Eil­rechts­schutz­ver­fah­ren, in der das Gericht dar­auf hin­weist, dass der Klä­ger wahr­schein­lich schutz­be­rech­tigt ist.

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