02.06.2017

PRO ASYL: Gesetz öff­net Tür und Tor für über­fall­ar­ti­ge Abschiebungen

PRO ASYL for­dert die Bun­des­län­der auf, heu­te im Bun­des­rat Ein­spruch gegen das »Gesetz zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht« zu erhe­ben. Den Ent­wurf hat der Bun­des­tag in gro­ßer Ent­schei­dungs­hek­tik beschlos­sen. »Die­ses Gesetz ist unver­hält­nis­mä­ßig und rechts­staat­lich inak­zep­ta­bel«, sag­te Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL. Das Gesetz schafft den Nähr­bo­den für eine exzes­si­ve Aus­le­gung des gest­ri­gen Beschlus­ses der Bun­des­re­gie­rung. Nir­gends ist defi­niert, was die Bun­des­re­gie­rung unter »Gefähr­der« ver­steht. Nebu­lös ist auch, wie der Begriff »Straf­tä­ter« ange­wandt wird.

PRO ASYL for­dert, die Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan gene­rell aus­zu­set­zen. »Es gibt ein Recht auf Leben, und zwar auch für straf­fäl­lig Gewor­de­ne«, sag­te Burk­hardt. Er kri­ti­sier­te, dass die Behör­den nicht offen­leg­ten, was sie unter dem Begriff Straf­tä­ter ver­stün­den. »In der Öffent­lich­keit herrscht der Ein­druck, es geht um Schwer­kri­mi­nel­le – fak­tisch legt jedes Bun­des­land den Begriff »Straf­tä­ter« aber anders aus.« Eben­so dehn­bar ist der Begriff der »Aus­rei­se­pflich­ti­gen, die hart­nä­ckig ihre Mit­wir­kung an der Iden­ti­täts­fest­stel­lung ver­wei­gern«. Schutz­su­chen­den ohne Pass wür­de das pau­schal unter­stellt wer­den können.

Der Gesetz­ent­wurf ebnet den Weg für Über­ra­schungs­in­haf­tie­run­gen und ‑abschie­bun­gen. Beson­ders gra­vie­rend ist die geplan­te Abschaf­fung der ein­mo­na­ti­gen Wider­rufs­frist nach über ein­jäh­ri­ger Dul­dung für bestimm­te Per­so­nen­grup­pen (Ände­rung § 60a Abs. 5 Auf­enthG). Im Kern heißt das, dass Per­so­nen, die sich über einen län­ge­ren Zeit­raum in Deutsch­land auf­hal­ten, ganz ohne vor­he­ri­ge Ankün­di­gung abge­scho­ben wer­den kön­nen – z.B. nachts oder wäh­rend der Arbeit. Für lang­jäh­rig Gedul­de­te bedeu­tet dies eine stän­di­ge Unge­wiss­heit und den dar­auf­fol­gen­den Schock vor einer über­ra­schen­den Rück­füh­rung. Sol­che Abschie­bun­gen sind unver­hält­nis­mä­ßig, zumal ein erheb­li­cher Teil der lang­jäh­rig Gedul­de­ten Chan­cen auf einen lega­len Auf­ent­halt in Deutsch­land hät­te – bei­spiels­wei­se nach der Blei­be­rechts­re­ge­lung in §§ 25a, 25b Auf­enthG für gut inte­grier­te Jugend­li­che und Her­an­wach­sen­de sowie bei nach­hal­ti­ger Inte­gra­ti­on. Die­se Rege­lun­gen haben aller­dings bis­her kaum gegrif­fen. Auch der Zugang zu Rechts­bei­stand wird durch die Neu­re­ge­lun­gen fast unmög­lich gemacht.

Durch das Gesetz wird die Mög­lich­keit eröff­net, eine »Lager­pflicht« in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen für bis zu zwei Jah­ren ein­füh­ren zu kön­nen – mit weit­rei­chen­den Ein­schrän­kun­gen: Der Auf­bau sozia­ler Kon­tak­te wird ver­hin­dert, was wie­der­um die Unter­stüt­zung im eigent­li­chen Asyl­ver­fah­ren erschwert. Ohne Kon­tak­te kann kaum eine Beglei­tung bei Anhö­run­gen statt­fin­den, es kann schwe­rer Hil­fe bei der Suche von geeig­ne­ten Rechts­an­wäl­tIn­nen, bei Peti­tio­nen oder vor der Här­te­fall­kom­mis­si­on geben. Auch wird jeg­li­che Inte­gra­ti­on bis zu zwei Jah­re ver­hin­dert, da bei­spiels­wei­se ein dau­er­haf­tes Arbeits- und Berufs­aus­bil­dungs­ver­bot besteht (§ 61 AsylG). Art. 15 der EU-Auf­nah­me­richt­li­nie sieht jedoch vor, nach neun Mona­ten Zugang zum Arbeits­markt zu gewäh­ren. Selbst Kin­der wer­den von der »Lager­pflicht« in den Erst­auf­nah­men nicht aus­ge­schlos­sen, was zu beson­ders psy­chi­schen und phy­si­schen Belas­tun­gen führt, einen Schul­zu­gang in man­chen Län­dern unmög­lich macht und somit sowohl gegen euro­pa­recht­li­che Vor­ga­ben als auch gegen die UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on ver­stößt. Bis heu­te ist die geson­der­te Unter­brin­gung vul­nerabler Per­so­nen flä­chen­de­ckend nicht gewährleistet.

Neben die­sen Gesichts­punk­ten haben PRO ASYL, Kir­chen, Wohl­fahrts- und Fach­ver­bän­de sowie wei­te­re Orga­ni­sa­tio­nen mehr­fach gra­vie­ren­de Beden­ken hin­sicht­lich der Ver­fas­sungs­kon­for­mi­tät des Geset­zes erho­ben, die im Gesetz­ge­bungs­pro­zess nur unzu­rei­chend berück­sich­tigt wur­den (sie­he Sach­ver­stän­di­gen-Stel­lung­nah­me von PRO ASYL vom 22.03.2017 zum Gesetz­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung (BR-Druck­sa­che 179/17)).

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