27.11.2014

Am Frei­tag, 28. Novem­ber 2014 stimmt der Bun­des­rat über die Novel­lie­rung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes (Asyl­bLG) ab. Der Flücht­lings­rat Ber­lin und PRO ASYL for­dern die Län­der auf, die Geset­zes­no­vel­le abzu­leh­nen. Das Gesetz hält an ver­fas­sungs­wid­ri­gen Kür­zun­gen beim Exis­tenz­mi­ni­mum, dis­kri­mi­nie­ren­den Sach­leis­tun­gen und einer lebens­ge­fähr­li­chen Mini­mal­me­di­zin fest. Das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz muss abge­schafft, die Leis­tungs­be­rech­tig­ten müs­sen in die regu­lä­ren Sozi­al­sys­te­me ein­be­zo­gen werden.

Im Bun­des­rat wur­den erheb­li­che ver­fas­sungs­recht­li­che Beden­ken gegen die Asyl­bLG-Novel­le geäu­ßert. [1] PRO ASYL und der Flücht­lings­rat Ber­lin for­dern dazu auf, an den Beden­ken fest­zu­hal­ten, auch wenn den Län­dern zuletzt groß­zü­gi­ge finan­zi­el­le Offer­ten einer Bun­des­be­tei­li­gung bei den Kos­ten der Unter­brin­gung von Flücht­lin­gen gemacht wurden.

Die Novel­lie­rung des Asyl­bLG ist seit dem Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom Juli 2012[2] zum men­schen­wür­di­gen Exis­tenz­mi­ni­mum für Flücht­lin­ge nach dem Asyl­bLG über­fäl­lig. Doch das jetzt vor­ge­leg­te Gesetz leh­nen PRO ASYL und der Flücht­lings­rat ent­schie­den ab:

Ver­fas­sungs­wid­ri­ge Kür­zun­gen am Existenzminimum

Das BVerfG hat im Urteil zum Asyl­bLG klar­ge­stellt: „Die Men­schen­wür­de ist migra­ti­ons­po­li­tisch nicht zu rela­ti­vie­ren.“ Das nach Arti­kel 1 und 20 Grund­ge­setz zu gewähr­leis­ten­de men­schen­wür­di­ge Exis­tenz­mi­ni­mum ste­he Deut­schen und Aus­län­dern glei­cher­ma­ßen zu. Die Höhe der Bedarfs­sät­ze sei in einem nach­voll­zieh­ba­ren Ver­fah­ren betrags­mä­ßig zu ermit­teln und vom Gesetz­ge­ber fest­zu­set­zen. Das Exis­tenz­mi­ni­mum dür­fe dabei nicht zum Zweck der Abschre­ckung gekürzt werden.

Doch genau dies sieht der Gesetz­ent­wurf vor. Ohne Begrün­dung wer­den Mehr­be­dar­fe etwa wegen Schwan­ger­schaft ver­wei­gert. Flücht­lin­ge, denen vor­ge­wor­fen wird, zum Zweck des Leis­tungs­be­zugs ein­ge­reist zu sein oder nicht aus­rei­chend an ihrer eige­nen Abschie­bung mit­zu­wir­ken, sol­len dau­er­haft gekürz­te Leis­tun­gen erhal­ten. Dabei über­lässt das Gesetz die Höhe der Kür­zung der Will­kür der ört­li­chen Sozialämter.

Lebens­ge­fähr­li­che Minimalmedizin 

Die Pra­xis der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung nach Asyl­bLG ist von Will­kür und Ver­schlep­pung not­wen­di­ger Kran­ken­be­hand­lun­gen geprägt – teils mit lebens­be­droh­li­chen, manch­mal auch töd­li­chen Fol­gen. Ärz­te­tag und Ärz­te­kam­mer for­dern eben­so wie Wohl­fahrts­ver­bän­de, Flücht­lings­rä­te, Kir­chen und PRO ASYL die Ein­be­zie­hung Asyl­su­chen­der in die Gesetz­li­che Kran­ken­ver­si­che­rung. Initia­ti­ven, die medi­zi­ni­sche Hil­fen für nicht ver­si­cher­te Flücht­lin­ge ver­mit­teln, haben jetzt eine Kam­pa­gne zur Abschaf­fung des Asyl­bLG gestar­tet.[3]

Nach dem Gesetz­ent­wurf sol­len medi­zi­ni­sche Leis­tun­gen wie bis­her von den Sozi­al­äm­tern erbracht wer­den. Anspruch besteht nur bei „aku­ter“ oder „schmerz­haf­ter“ Erkran­kung, die Ver­sor­gung bei chro­ni­schen Erkran­kun­gen und Behin­de­run­gen liegt im behörd­li­chen Ermes­sen. In der Pra­xis wer­den Krank­hei­ten ver­schleppt und Büro­kra­tie­kos­ten erzeugt, wenn man­cher­orts erst eine amts­ärzt­li­che Unter­su­chung erfol­gen muss, bevor ein Fach­arzt auf­ge­sucht wer­den darf. In Ber­lin wer­den unauf­schieb­ba­re Ope­ra­tio­nen, zwin­gend not­wen­di­ge Anschluss­be­hand­lun­gen nach Ope­ra­tio­nen sowie unab­weis­ba­re Hilfs­mit­tel für Behin­der­te unter Hin­weis auf amts­ärzt­li­che Prüf­ver­fah­ren über vie­le Mona­te ver­wei­gert. Men­schen­rech­te wer­den ver­letzt, Büro­kra­tie- und Gesund­heits­kos­ten erhöht.[4]

Dis­kri­mi­nie­ren­de Sachleistungen

Die Asyl­bLG-Novel­le hält an der zur Abschre­ckung ein­ge­führ­ten Mög­lich­keit der Sach­leis­tungs­ver­sor­gung fest, wobei Höhe und Zusam­men­set­zung der Sach­leis­tun­gen statt vom Gesetz­ge­ber will­kür­lich von den ört­li­chen Behör­den fest­ge­legt wer­den. In der Pra­xis führt dies regel­mä­ßig zu gra­vie­ren­den Leis­tungs­kür­zun­gen und Bedarfs­de­ckungs­lü­cken. Den Men­schen wird vor­ge­schrie­ben, was sie essen, womit sie sich klei­den und wie sie zu woh­nen haben.

Georg Clas­sen, Sozi­al­rechts­exper­te des Flücht­lings­rats Ber­lin: „Mit dem Gesetz­ent­wurf zum Asyl­bLG schreibt die Bun­des­re­gie­rung den Ver­fas­sungs­bruch fort. Das Grund- und Men­schen­recht auf Gesund­heit und ein men­schen­wür­di­ges Exis­tenz­mi­ni­mum wird durch das novel­lier­te Asyl­bLG bewusst ver­letzt. Es gibt nur einen rich­ti­gen Weg, näm­lich die Abschaf­fung des dis­kri­mi­nie­ren­den Asyl­bLG. Wir for­dern den Ber­li­ner Senat auf, der Asyl­bLG-Novel­le am Frei­tag im Bun­des­rat nicht zuzu­stim­men, und sich statt­des­sen für die Ein­be­zie­hung Asyl­su­chen­der in die Gesetz­li­che Kran­ken­ver­si­che­rung und die regu­lä­ren Exis­tenz­si­che­rungs­sys­te­me nach dem Sozi­al­ge­setz­buch einzusetzen.“

[1] www.bundesrat.de. Zur Kri­tik der A‑Länder vgl. Stel­lung­nah­me des AS-Aus­schus­ses des Bun­des­ra­tes, der die Ein­be­zie­hung in die Gesetz­li­che Kran­ken­ver­si­che­rung, den direk­ten Über­gang ins SGB II/XII nach 12 Mona­ten und die Her­aus­nah­me von Aus­län­dern mit Auf­ent­halts­er­laub­nis aus dem Asyl­bLG for­dert: www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2014/0501–0600/513–1‑14.pdf?__blob=publicationFile&v=1.

[2] Urteil des BVerfG vom 18.08.2012, 1 BvL 10/10 u.  1 BvL 2/11 www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20120718_1bvl001010.html.

[3] Kam­pa­gne „Gesund­heit für alle“ http://stopasylblg.de

[4] Zu Rechts­grund­la­gen und Fall­bei­spie­len sie­he aus­führ­lich Sei­te 39 ff. der Stel­lung­nah­me des Flücht­lings­rats Ber­lin vom Okto­ber 2014 für den AS-Aus­schuss des Deut­schen Bun­des­tags: www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/Classen_AsylbLG_2014_AS-Ausschuss.pdf.

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