25.05.2023

1993 beschloss der Bun­des­tag die Ein­füh­rung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes als Instru­ment der Abschre­ckung. Zum 30. Jah­res­tag der Beschluss­fas­sung am 26. Mai for­dern mehr als 200 Orga­ni­sa­tio­nen die Gleich­be­hand­lung aller Men­schen in Deutsch­land nach den Regeln des Sozi­al­ge­setz­buchs: „Es gibt nur eine Men­schen­wür­de – Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz abschaffen!“

Am 26.5.1993 beschloss der Bun­des­tag im soge­nann­ten Asyl­kom­pro­miss, das in der Ver­fas­sung garan­tier­te Grund­recht auf Asyl stark zu beschnei­den, um Flücht­lin­ge mög­lichst fern­zu­hal­ten. Gleich­zei­tig wur­de mit dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz (Asyl­bLG) ein neu­es Gesetz geschaf­fen, das die Lebens­ver­hält­nis­se von Asyl­su­chen­den in Deutsch­land gezielt ver­schlech­tern und die sozia­le Ver­sor­gung auf ein Niveau deut­lich unter­halb der regu­lä­ren Sozi­al­leis­tun­gen absen­ken sollte.

Ziel des Geset­zes war es, Schutz­su­chen­de durch das Woh­nen in Sam­mel­un­ter­künf­ten, durch nied­ri­ge­re Leis­tun­gen und durch Sach­leis­tun­gen statt Geld abzu­schre­cken oder zur Aus­rei­se zu bewe­gen. Auch heu­te lie­gen die Regel­sät­ze des Asyl­bLG deut­lich unter denen des Bür­ger­gelds bezie­hungs­wei­se der Sozi­al­hil­fe. Sach­leis­tun­gen statt Geld bedeu­ten für die Betrof­fe­nen zusätz­li­che Ein­bu­ßen. Zudem führt eine nach dem Geset­zes­wort­laut stark beschränk­te Gesund­heits­ver­sor­gung in der Pra­xis zu ver­spä­te­ter und unzu­rei­chen­der Behand­lung, und behörd­li­che Sank­tio­nen füh­ren zu wei­te­ren Kürzungen.

„Die Men­schen­wür­de zählt – für Schutz­su­chen­de darf es kei­nen nied­ri­ge­ren Stan­dard geben“, kri­ti­siert Andrea Kothen, Refe­ren­tin von PRO ASYL. „Es ist Zeit, die­ses beschä­men­de Kapi­tel deut­scher Abschre­ckungs­po­li­tik der 1990er Jah­re end­lich zu beenden.“

Von Anfang an hat­ten sich Kir­chen, Gewerk­schaf­ten und zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen gegen das Asyl­bLG als dis­kri­mi­nie­ren­des Son­der­ge­setz gewandt. Seit Anfang 2023 fand sich nun ein brei­tes Bünd­nis zivil­ge­sell­schaft­li­cher Orga­ni­sa­tio­nen unter dem Mot­to „Es gibt nur eine Men­schen­wür­de – Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz abschaf­fen!“ zusam­men. Sie for­dern die Abschaf­fung des Asyl­bLG und die Ein­be­zie­hung Geflüch­te­ter in das regu­lä­re Sozi­al­leis­tungs­sys­tem. Unter den 200 Unterzeichner*innen fin­den sich u.a. Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen, Wohl­fahrts­ver­bän­de, Orga­ni­sa­tio­nen von Migrant*innen, Ver­ei­ni­gun­gen von Anwält*innen, Jurist*innen, Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Frau­en­ver­bän­de und Kinderrechtsorganisationen.

Ein Gesetz gegen die Menschenwürde

Mit dem Asyl­bLG kam man den aggres­si­ven und men­schen­feind­li­chen Stim­men gegen­über Schutz­su­chen­den in Poli­tik und Gesell­schaft Anfang der 1990er Jah­re weit ent­ge­gen. 2012 stell­te das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt fest, die Men­schen­wür­de sei „migra­ti­ons­po­li­tisch nicht zu rela­ti­vie­ren“ und ver­ur­teil­te damit die Absen­kung von Leis­tun­gen zum Zweck der Abschre­ckung (Beschluss vom 18.7.2012 – 1 BvL 10/10). Zuletzt ver­warf das höchs­te deut­sche Gericht im Okto­ber 2022 gekürz­te Leis­tungs­sät­ze für Allein­ste­hen­de und Allein­er­zie­hen­de in Sam­mel­un­ter­künf­ten als ver­fas­sungs­wid­rig (Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21).

Die aktu­el­le Bun­des­re­gie­rung will das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz laut Koali­ti­ons­ver­trag „im Lich­te der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts wei­ter­ent­wi­ckeln“. Bis heu­te ist nicht ein­mal das Urteil des Ver­fas­sungs­ge­richts vom Okto­ber 2022 im Asyl­bLG umge­setzt. Ein Blick in die Geschich­te des Asyl­bLG zeigt aller­dings, dass ein von vorn­her­ein auf Dis­kri­mi­nie­rung ange­leg­tes Son­der­ge­setz sich nicht ver­fas­sungs­kon­form ändern lässt, son­dern je nach poli­ti­scher Stim­mungs­la­ge immer wie­der dazu ein­lädt, neue Zumu­tun­gen und Schi­ka­nen auf den Weg zu brin­gen. Sozialrechtler*innen wei­sen zudem ste­tig dar­auf hin, dass sehr vie­le behörd­li­che Asyl­bLG-Beschei­de zum Nach­teil von Geflüch­te­ten nach­weis­lich falsch sind und ver­tre­ten die davon Betroffenen.

Unab­hän­gi­ge Grup­pen haben für die Zeit vom 20.–26. Mai bun­des­wei­te Akti­ons­ta­ge für die Abschaf­fung des Asyl­bLG aus­ge­ru­fen.

Eine ande­re Flücht­lings­po­li­tik ist möglich

Die Flücht­lings­auf­nah­me 2015/16 und die Auf­nah­me von über einer Mil­li­on ukrai­ni­scher Geflüch­te­te 2022 haben eine offe­ne und hilfs­be­rei­te Gesell­schaft sicht­bar gemacht. Gleich­wohl ver­ein­bar­ten Bund und die Ministerpräsident*innen der Län­der im Mai 2023 Ver­schär­fun­gen in der Flücht­lings­po­li­tik, die unter ande­rem auch neue Sozi­al­leis­tungs­kür­zun­gen beinhal­ten. Dem gegen­über ver­wei­sen die Integrationsminister*innen der Län­der auf die posi­ti­ven Erfah­run­gen mit der Gleich­stel­lung ukrai­ni­scher Geflüch­te­ter und drin­gen auf einen zügi­gen, dis­kri­mi­nie­rungs­frei­en Zugang zu Inte­gra­ti­ons­leis­tun­gen „für alle vor Krieg, Gewalt und Ver­fol­gung geflüch­te­ten Men­schen“. Für Kom­mu­nen und Län­der hät­te die Gleich­stel­lung von Geflüch­te­ten wegen der stär­ke­ren Bun­des­be­tei­li­gung und weg­fal­len­der Son­der­ge­setz-Büro­kra­tie auch finan­zi­el­le Vorteile.

Der voll­stän­di­ge Text des Appells und die aktu­el­le Unter­zeich­ner­lis­te fin­den Sie hier.

Aktu­el­le Rück­bli­cke und Ein­ordun­gen der Geschich­te des Asyl­bLG fin­den Sie hier:

30 Jah­re Asyl­kom­pro­miss: »Hun­dert­tau­sen­de waren auf der Straße« 
Es gibt nur eine Men­schen­wür­de! 200 Ver­bän­de für sozi­al­recht­li­che Gleich­be­hand­lung Geflüchteter
Im Auf­trag Dis­kri­mi­nie­rung. Eine klei­ne Geschich­te von Schi­ka­nen durch das Asyl­bLG .

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