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»Wir haben mitbekommen: Ok, jetzt brennt es. Wir müssen etwas tun.«
Ziviler Ungehorsam in Serie: Gleich mehrere Abschiebungen haben Osnabrücker Bürgerinnen und Bürger innerhalb weniger Wochen verhindern können. Wie haben sie das gemacht? Und was kann man daraus lernen? Darüber sprachen wir mit Philipp Ströhle, der die Proteste mitorganisiert.
Am Dienstag letzte Woche habt Ihr zum wiederholten Mal eine Abschiebung in Osnabrück verhindert. Worum ging es und wie habt Ihr das gemacht?
Es ging um einen jungen Pakistani, der zum wiederholten Mal nach Ungarn abgeschoben werden sollte. Der Mann befürchtete ganz konkret, dass er ins Gefängnis zurück muss. Wir haben uns dann morgens vor der Unterkunft getroffen. Die Überstellung war für sechs Uhr vorgesehen. Mehr als hundert Menschen waren da und haben den Eingang blockiert.
Das war die fünfte Abschiebung, die Ihr verhindert habt. Wie hat es damit angefangen?
Als im Rosenplatzquartier eine neue Geflüchtetenunterkunft bezogen wurde, hat sich im Stadtteilbüro eine Arbeitsgemeinschaft „Flüchtlingshilfe“ gebildet. Es wurden Sprachkurse angeboten, Fahrräder wurden zur Verfügung gestellt und Spenden gesammelt. Über den Kontakt mit den geflüchteten Menschen haben wir mitbekommen: Ok, jetzt brennt es. Jetzt bekommen alle ihre Abschiebebescheide, wir müssen etwas tun.
Wie erfahrt Ihr von den Abschiebungen?
Abschiebungen werden in Niedersachsen zur Zeit noch angekündigt. Die Geflüchteten kommen dann mit dem Brief zu uns, auch deshalb, damit wir ihnen den Inhalt übersetzen können.
Wie kamt Ihr auf die Idee mit den Blockaden?
Ein Geflüchteter in unserer NoLager-Gruppe hat plötzlich so einen Brief bekommen. Wir waren schockiert und überfordert und haben lange diskutiert. Am Ende haben wir einfach entschieden: Wenn die Abschiebung um drei Uhr nachts stattfinden soll, dann bleiben wir eben solange auf und lassen ihn nicht alleine. Als dann die Abschiebung nicht stattgefunden hat, weil wir vor der Tür standen, waren wir sehr überrascht.
Wie ist das genau abgelaufen und wie hat die Polizei damals reagiert?
Die Beamten von der Ausländerbehörde waren ziemlich verwundert, dass da 40 Leute vor der Tür standen. Dann haben sie die Polizei gerufen. Die wollte keinen Stress. Sie haben gesagt: Wenn ihr uns nicht hereinlasst, dann gehen wir eben wieder. Da haben wir zum ersten Mal gesehen, dass eine Abschiebung nicht einfach stattfinden muss.
Müssen die Leute, die sich beteiligen, mit Strafanzeigen oder anderen Problemen rechnen?
Ausgeschlossen ist das nicht. Wir haben uns natürlich schon Gedanken darüber gemacht. Was ist, wenn ich die Versammlung anmelde, und jemand wehrt sich oder lässt sich wegtragen? Ist das vielleicht eine Ordnungswidrigkeit, erstattet die Polizei dann Anzeige wegen vermeintlichen Widerstands gegen die Staatsgewalt? Aber dann müsste die Polizei erstmal aktiv werden. Momentan habe ich das Gefühl, dass sie sich hier sehr stark zurückhält und keine Eskalation passieren soll.
Das lädt zum Nachahmen ein. Uns fragen immer wieder Leute, wie sie bei solchen Aktionen mitmachen oder bei sich vor Ort aktiv werden können. Hast Du einen Tipp?
Wir sollten den Mut haben, aufzustehen – dass es sich lohnen kann, sieht man am Beispiel Osnabrück. Man kann natürlich die Bedingungen nicht in jeden beliebigen Ort kopieren. Offensichtlich ist ja die Polizei in Osnabrück sehr zurückhaltend. Das heißt ja nicht, dass es in anderen Städten auch so sein muss. Leider.
Woran sollten Leute, die ähnliche Aktionen machen wollen, denken?
Wir haben ein sehr breites Bündnis. Es nehmen Menschen aus Kirchengemeinden, aus Vereinen und Organisationen und aus der breiten Gesellschaft teil: Professorinnen, Lehrerinnen, Geflüchtete, Auszubildende, Studierende sowie Rentnerinnen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Vor allem der kirchliche Aspekt scheint mir in Osnabrück sehr bedeutend zu sein.
Über euch wird ja viel berichtet, welche Rolle spielen die Medien?
Sobald die Telefonkette beginnt, bekommt die Presse das über persönliche Kontakte von Leuten auf der Liste mit. Es ist sehr wichtig, dass die Osnabrücker Zeitung jedes Mal vor Ort ist, fotografiert und berichtet. Es ist schon ein Schutz, auf der Titelseite der Regionalzeitung zu sein.
Was sagt Ihr zu Vorwürfen, Ihr würdet die Durchsetzung von Gesetzen mit militanten Mitteln verhindern?
Wenn ich mir anschaue, wie die Bundesrepublik und die Europäische Union in der Welt Kriege zur Durchsetzung von Menschenrechten führen und diese dann im eigenen Territorium selbst mit Füßen treten, dann sehe ich das, was wir machen, nicht als Verstoß, sondern als Geburtshilfe für das Menschenrecht.
Wie war das bei Dir persönlich, warum bist du gegen Abschiebungen aktiv geworden?
Ich bin in Osnabrück Student der Migrationswissenschaften und bin über meine Freundin zu der NoLager-Gruppe gekommen. Wenn wir es hier in Osnabrück, in einer Friedensstadt mit einer großen Zivilgesellschaft, nicht schaffen, diese unmenschlichen Dublin-Abschiebungen zu verhindern oder zumindest zu skandalisieren, wo soll es dann möglich sein? Wenn in Deutschland immer nur auf die anderen Länder gezeigt wird, statt den Menschen hier zu helfen, dann frage ich, was ist denn eigentlich der Beitrag Deutschlands zu den Fluchtursachen in der Welt? Da muss man sagen, dass Deutschland hier sehr viel mehr Verantwortung hat, als öffentlich wahrgenommen wird.
Das Interview führten wir mit Philipp Ströhle, Student der Migrationswissenschaften, NoLager und Bündnis gegen Abschiebungen in Osnabrück.
Wie Sie sich vor Ort beteiligen und die Aktionen unterstützen können, erfahren Sie auf der NoLager-Seite: http://lagerhesepe.blogsport.eu/
Update: Am 1. Juli 2014 wurde in Osnabrück erneut eine Abschiebung durch eine Blockade verhindert.
Update: Am 2. Juli 2014 wurde eine weitere Abschiebung verhindert.