16.01.2025
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Damaskus am 16- Dezember 2024. Foto: picture alliance / CTK | Pavel Nemecek

Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL, ist Ende Dezember nach Syrien gereist, um sich vor Ort einen Überblick der Lage zu verschaffen. Er berichtet von seinen Erfahrungen und stellt Forderungen auf, was die Bundesregierung nun tun sollte.

Vorbemerkung

Ich, Tareq Alaows, wur­de in Syri­en gebo­ren und bin dort auf­ge­wach­sen. Auf­grund mei­nes Enga­ge­ments gegen den Staats­ap­pa­rat und die Dik­ta­tur Baschar al-Assads muss­te ich 2015 flie­hen. Mitt­ler­wei­le bin ich deut­scher Staats­bür­ger. Vom 22. Dezem­ber 2024 bis zum 5. Janu­ar 2025 kehr­te ich nach über einem Jahr­zehnt erst­mals in mei­ne Hei­mat­stadt Damas­kus zurück. Ziel mei­ner Rei­se war es, mei­ne Fami­lie zu besu­chen und Ein­drü­cke von der aktu­el­len Lage in Syri­en zu gewin­nen – eine Erfah­rung, von der ich lan­ge nicht ein­mal zu träu­men gewagt hatte.

Die Ent­schei­dung, die­se Rei­se anzu­tre­ten, fiel mir nicht leicht. Da es zu die­sem Zeit­punkt kei­ne Direkt­ver­bin­dun­gen nach Damas­kus gab, war ich gezwun­gen, über die Tür­kei in den Liba­non zu rei­sen und von dort aus mit dem Auto die syri­sche Gren­ze zu über­que­ren. Die­se Zwi­schen­hal­te stell­ten eine erheb­li­che Sicher­heits­be­dro­hung dar – sowohl wegen mei­ner öffent­li­chen Kri­tik an der Regie­rung Erdo­gans als auch der an der His­bol­lah, die den inter­na­tio­na­len Flug­ha­fen in Bei­rut de fac­to kon­trol­liert. Hin­zu kom­men die ange­spann­ten Bezie­hun­gen zwi­schen dem Liba­non und Syri­en und dass die liba­ne­si­schen Behör­den die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit bei Doppelstaatsbürger*innen wie mir nicht anerkennen.

Auch in Syri­en selbst stell­te sich mir die Fra­ge nach mei­ner per­sön­li­chen Sicher­heit. Als eine öffent­li­che Stim­me gegen isla­mis­ti­sche und bewaff­ne­te Grup­pen war ich gezwun­gen, eigen­stän­dig für mei­nen Schutz zu sorgen.

Von Sta­bi­li­tät in Syri­en kann kei­ne Rede sein. Das Land ist weder sicher noch sta­bil, die Zukunft bleibt unge­wiss. Die Lage ist geprägt von einer feh­len­den Infra­struk­tur, poli­ti­schen Span­nun­gen und tief­grei­fen­den Unsicherheiten.

Wäh­rend mei­nes Auf­ent­halts ver­folg­te ich die Debat­ten in Deutsch­land, in denen sug­ge­riert wird, Syri­en sei sicher für Rückkehrer*innen. Die­se Sicht­wei­se ver­kennt jedoch die Rea­li­tät vor Ort: Von Sta­bi­li­tät in Syri­en kann kei­ne Rede sein. Das Land ist weder sicher noch sta­bil, die Zukunft bleibt unge­wiss. Die Lage ist geprägt von einer feh­len­den Infra­struk­tur, poli­ti­schen Span­nun­gen und tief­grei­fen­den Unsicherheiten.

Die­ser Kurz­be­richt stützt sich auf mei­ne per­sön­li­chen Erleb­nis­se sowie auf Gesprä­che mit Ver­tre­te­rin­nen der Zivil­ge­sell­schaft, femi­nis­ti­schen Grup­pen, Min­der­hei­ten, poli­ti­schen Akteu­rin­nen und Initia­ti­ven in Damas­kus und Umge­bung, As-Swei­da und Daraa. Ergän­zend dazu flie­ßen die Ana­ly­se syri­scher Medi­en und Berich­te von Journalist*innen in die Dar­stel­lung ein.

Die letzten Wochen vor dem Sturz Assads

Am 27. Novem­ber 2024 ver­kün­de­te die Grup­pe »Hay’at Tah­r­ir al-Sham« (HTS) eine mili­tä­ri­sche Offen­si­ve gegen den dama­li­gen Macht­ha­ber und Dik­ta­tor Baschar al-Assad. Die­se Offen­si­ve führ­te schließ­lich zum Zer­fall und Sturz des 54-jäh­ri­gen Assad-Regimes in Syri­en. Für vie­le über­ra­schend war die Geschwin­dig­keit, mit der das Regime fiel: Bereits inner­halb der ers­ten zwei Tage konn­te die Grup­pe Groß­städ­te wie Alep­po einnehmen.

Es ist wich­tig zu beto­nen, dass beim Sturz des Assad-Regimes gro­ße Tei­le Syri­ens von den Bewohner*innen selbst befreit wur­den. Ein Bei­spiel hier­für sind Städ­te mit Min­der­hei­ten, wie Sala­mi­yah in der Umge­bung von Hama, einer Stadt, in der die ismai­li­ti­sche Min­der­heit lebt. Zudem wur­de Damas­kus von dru­si­schen und sun­ni­ti­schen Trup­pen aus dem Süden Syri­ens befreit. Erst nach die­ser Befrei­ung wur­de der Sturz des Regimes ver­kün­det, wäh­rend die HTS noch an den Gren­zen zu Homs kämpf­te, einer Stadt im west­li­chen Zen­tral-Syri­en, etwa 200 Kilo­me­ter von der Haupt­stadt entfernt.

Die HTS ist eine isla­mis­ti­sche und ideo­lo­gisch gepräg­te Grup­pe, die in den ver­gan­ge­nen Jah­ren im Nord­wes­ten Syri­ens, ins­be­son­de­re in der Stadt Idlib, herrsch­te. Sie geht her­vor aus der ehe­ma­li­gen »Al-Nus­ra-Front«, die sich mit ande­ren bewaff­ne­ten Grup­pen zusam­men­schloss, um die HTS zu grün­den. Mit isla­mis­ti­scher Ideo­lo­gie regier­te die HTS in Idlib. Die Grup­pe stieß in den letz­ten Jah­ren auf erheb­li­che Kri­tik und Wider­stand inner­halb Syri­ens, sowohl in der Regi­on Idlib als auch dar­über hin­aus. In Idlib betrieb die HTS eige­ne Gefäng­nis­se, in denen laut Berich­ten auch wei­ter­hin poli­ti­sche Gefan­ge­ne fest­ge­hal­ten werden.

Der Anfüh­rer der HTS, Al-Jola­ni, der erst­mals im Dezem­ber 2024 unter sei­nem ech­ten Namen Ahmad Al-Sharea in Erschei­nung trat, kehr­te laut Berich­ten im Jahr 2011 aus dem Irak nach Syri­en zurück, nach­dem er meh­re­re Jah­re mit der Grup­pe »Al-Qai­da« gekämpft hat­te. Der Grund für sei­ne Rück­kehr war die Grün­dung von Al-Qai­da in Syri­en. Al-Jola­ni, oder Al-Sharea, ist heu­te der fak­ti­sche Macht­ha­ber in Syri­en. Nach dem Sturz des Assad-Regimes ernann­te er eine Über­gangs­re­gie­rung, die aus sei­nen ver­trau­ten Per­so­nen aus der ers­ten und zwei­ten Rei­he der HTS besteht. Er ver­sprach Ver­än­de­run­gen in Syri­en sowie den Schutz von Min­der­hei­ten. Doch die­se Ver­spre­chun­gen sind mit Vor­sicht zu genie­ßen, da sei­ne Ver­gan­gen­heit in Idlib ande­re Tat­sa­chen auf­zeigt. Die­se Grund­an­nah­me bil­det die Grund­la­ge für den vor­lie­gen­den Bericht.

Die Lage in Syrien – zwischen Hoffnung und Herausforderungen

Die Zer­stö­run­gen, die die jah­re­lan­gen Kriegs­hand­lun­gen hin­ter­las­sen haben, sind wei­ter­hin all­ge­gen­wär­tig. Kran­ken­häu­ser, Schu­len und Ver­sor­gungs­net­ze funk­tio­nie­ren vie­ler­orts nur ein­ge­schränkt oder gar nicht. Vie­le Städ­te wur­den teil­wei­se oder voll­stän­dig zer­stört. Die wirt­schaft­li­che Lage ist kata­stro­phal: Hyper­in­fla­ti­on, hohe Arbeits­lo­sig­keit und weit ver­brei­te­te Kor­rup­ti­on belas­ten die Bevöl­ke­rung massiv.

Es gibt zwar Bestre­bun­gen der geschäfts­füh­ren­den Über­gangs­re­gie­rung, die Situa­ti­on vor Ort zu ver­bes­sern, zumin­dest in Bezug auf die Ver­füg­bar­keit von Waren im Land. Doch ange­sichts der pre­kä­ren finan­zi­el­len Lage der Bevöl­ke­rung bleibt es unrea­lis­tisch, dass Fami­li­en, die kei­ne Unter­stüt­zung aus dem Aus­land erhal­ten, ihren Lebens­un­ter­halt allein durch eige­ne Arbeits­kraft in Syri­en bestrei­ten kön­nen. Her­vor­zu­he­ben ist, dass etwa 80 Pro­zent der syri­schen Bevöl­ke­rung auf huma­ni­tä­re Hil­fe ange­wie­sen sind.

Ange­sichts der pre­kä­ren finan­zi­el­len Lage der Bevöl­ke­rung bleibt es unrea­lis­tisch, dass Fami­li­en, die kei­ne Unter­stüt­zung aus dem Aus­land erhal­ten, ihren Lebens­un­ter­halt allein durch eige­ne Arbeits­kraft in Syri­en bestrei­ten können.

Auf­grund der weit­rei­chen­den Zer­stö­run­gen im Land sind vie­le Groß­städ­te mas­siv gewach­sen. So ist bei­spiels­wei­se der Stadt­teil Jara­ma­na in Damas­kus, in dem vor 2011 bis zu 500.000 Men­schen leb­ten, inzwi­schen auf etwa 3,5 Mil­lio­nen ange­wach­sen. In die­sem Stadt­teil sowie in ande­ren Tei­len des Lan­des sind vie­le Fami­li­en auf­grund der finan­zi­el­len Not und der hohen Miet­prei­se gezwun­gen, Woh­nun­gen mit meh­re­ren ande­ren Fami­li­en zu teilen.

Die oben genann­ten Grün­de ver­deut­li­chen, dass unter die­sen Bedin­gun­gen eine nach­hal­ti­ge Rück­kehr von Men­schen nach Syri­en und ein Leben in Wür­de ohne einen umfas­sen­den Wie­der­auf­bau nicht mög­lich sind.

Hin­zu kom­men wei­te­re Gefah­ren, die die Situa­ti­on zusätz­lich kom­plex machen:

Gefahren und Unsicherheiten

  • Feh­len­de Auf­ar­bei­tung der Ver­bre­chen des Assad-Regimes: Der bis­her aus­ste­hen­de Plan zur Auf­ar­bei­tung der Ver­ge­hen des Assad-Regimes stellt eine gro­ße Gefahr für Rache­ak­te dar, von denen bereits eini­ge doku­men­tiert wur­den. Dies betrifft Hin­rich­tun­gen, Ent­füh­run­gen, Miss­hand­lun­gen und Ernied­ri­gun­gen von Assad-Anhänger*innen und ‑mitarbeiter*innen sowie von Ange­hö­ri­gen der ale­vi­ti­schen Min­der­heit, denen eine Nähe zum Assad-Regime zuge­schrie­ben wird. Es gab zwar in eini­gen Fäl­len offi­zi­el­le Distan­zie­run­gen durch die geschäfts­füh­ren­de Regie­rung, jedoch fehlt bis­lang eine umfas­sen­de Auf­klä­rung die­ser Taten. Die Ver­zö­ge­rung eines offi­zi­el­len Ver­fah­rens führt dazu, dass der­ar­ti­ge Rache­ak­te zuneh­men und gleich­zei­tig wert­vol­le Bewei­se zer­stört wer­den. Es kam bereits zu Fäl­len, in denen Regie­rungs­ge­bäu­de abge­brannt wur­den, in denen sich mut­maß­lich ehe­ma­li­ge Mitarbeiter*innen des Regimes befan­den. Dabei wur­den Lis­ten mit den Namen von Inhaf­tier­ten oder Hin­ge­rich­te­ten vernichtet.
  • Poli­ti­sche Insta­bi­li­tät: Es feh­len kla­re Struk­tu­ren. Die der­zei­ti­ge geschäfts­füh­ren­de Regie­rung hat ver­spro­chen, in naher Zukunft eine neue Über­gangs­re­gie­rung zu bil­den, die Akteu­re aus allen gesell­schaft­li­chen Grup­pen Syri­ens ein­be­zieht. Die­ses Ver­spre­chen wur­de jedoch bis­lang nicht umge­setzt. Die geplan­ten Wah­len lie­gen noch meh­re­re Jah­re in der Zukunft.  Die jet­zi­gen Macht­ha­ber kon­trol­lie­ren alle Medi­en in Syri­en. Es exis­tiert kaum eine alter­na­ti­ve Mei­nung zur aktu­el­len Dar­stel­lung der neu­en Macht­ha­ber. Kritiker*innen wer­den schnell als Assad-nah, „west­lich beein­flusst“ oder isla­mo­phob dif­fa­miert, meis­tens in den sozia­len Medi­en. Die­se Reak­tio­nen sind jedoch weni­ger als geziel­te Angrif­fe zu ver­ste­hen, son­dern spie­geln viel­mehr eine tief­sit­zen­de Angst der Bevöl­ke­rung wider, dass “zu viel exter­ne Kri­tik” den Wie­der­auf­bau gefähr­den könn­te. Die­se Angst ist auch auf die unge­wis­se Zukunft und die insta­bi­le Lage im Land zurück­zu­füh­ren. Es besteht die berech­tig­te Sor­ge, dass jeder poli­tisch fal­sche Schritt das Land wei­ter desta­bi­li­sie­ren und Fort­schrit­te ver­hin­dern könn­te, wes­halb vie­le sich selbst zen­sie­ren oder bereit sind, Kom­pro­mis­se einzugehen.
  • Zunah­me reli­giö­ser Ein­flüs­se: Es häu­fen sich Berich­te über Ver­su­che, das öffent­li­che Leben zu isla­mi­sie­ren, was ins­be­son­de­re Frau­en und Min­der­hei­ten trifft. Beson­ders betrof­fen sind Orte wie Uni­ver­si­tä­ten, Stadt­tei­le mit Min­der­hei­ten­grup­pen sowie Ange­hö­ri­ge vul­nerabler Grup­pen. In vie­len Fäl­len wur­den bei­spiels­wei­se Hin­wei­se zur isla­mi­schen Klei­der­ord­nung für Frau­en ange­bracht oder Flug­blät­ter mit ähn­li­chen Inhal­ten verteilt.
  • Inter­na­tio­na­le Ein­flüs­se: Die Tür­kei und Isra­el üben wei­ter­hin Ein­fluss auf Syri­en aus, ins­be­son­de­re durch Mili­tär­schlä­ge, wäh­rend der Iran eige­ne poli­ti­sche Inter­es­sen ver­folgt. Berich­ten zufol­ge ver­sucht die Isla­mi­sche Repu­blik Iran durch geziel­te Des­in­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen die Lage in Syri­en wei­ter zu desta­bi­li­sie­ren und Spal­tun­gen zwi­schen ver­schie­de­nen Grup­pen her­bei­zu­füh­ren. Ein Bei­spiel hier­für ist die Ver­brei­tung einer Mel­dung über ein angeb­lich zer­stör­tes ale­vi­ti­sches Denk­mal durch die HTS, die sich spä­ter als unwahr her­aus­stell­te. Die­se Falsch­mel­dung lös­te Demons­tra­tio­nen in den ale­vi­ti­schen Gebie­ten von Homs und Damas­kus aus. Die Sicher­heits­kräf­te schos­sen. HTS behaup­te­te, dass die Schüs­se von ehe­ma­li­gen Assad- und Iran-Mili­zen stamm­ten, und mel­de­te Tote und Ver­letz­te. Die von der Tür­kei kon­trol­lier­ten oder der Tür­kei nahe­ste­hen­den Mili­zen der „Syri­an Natio­nal Army“ (SNA) haben in der Ver­gan­gen­heit kur­di­sche Gebie­te sowie die Selbst­ver­wal­tung von Roja­va ange­grif­fen und auch kur­di­sche Kämpfer*innen ver­haf­tet. Dies führt dazu, dass im Nord­os­ten Syri­ens wei­ter­hin bewaff­ne­te Kon­flik­te zwi­schen der SDF (Syri­an Demo­cra­tic Forces) und der SNA bestehen, was zu anhal­ten­dem Leid für die ara­bi­sche und ins­be­son­de­re die kur­di­sche Bevöl­ke­rung führt. Beson­ders her­vor­zu­he­ben ist, dass die Regi­on über 200.000 Bin­nen­ge­flüch­te­te aus Alep­po und der Umge­bung beher­bergt, die unter äußerst schwie­ri­gen huma­ni­tä­ren Bedin­gun­gen leben. Die soge­nann­te „Prä­ven­ti­ons­of­fen­si­ve“ Isra­els und die Ein­nah­me wei­te­rer Gebie­te im Süd­wes­ten Syri­ens füh­ren nach wie vor zu Bin­nen­flucht­be­we­gun­gen aus der Regi­on. Die israe­li­sche Armee kon­trol­liert neue Gebie­te inner­halb der syri­schen Sou­ve­rä­ni­täts­zo­nen. Die­se Inter­ven­ti­on hat zu Tren­nun­gen von Fami­li­en geführt, die zeit­wei­lig in Damas­kus oder ande­ren Städ­ten leb­ten und nun nicht mehr zu ihren Fami­li­en zurück­keh­ren kön­nen, wenn die­se Gebie­te von Isra­el besetzt wurden.
  • Ängs­te der Min­der­hei­ten: Ale­vi­ten, Kur­den, Chris­ten sowie ande­re Min­der­hei­ten und vul­nerable Grup­pen wie Frau­en und que­e­re Men­schen füh­len sich zuneh­mend bedroht. Berich­te über Dis­kri­mi­nie­rung und Gewalt gegen die­se Grup­pen neh­men zu. Die­se Angst führt dazu, dass vie­le Min­der­hei­ten ver­su­chen, ihre Iden­ti­tä­ten zu ver­ber­gen, um sich vor mög­li­chen Repres­sa­li­en zu schützen.

Mutmachende Momente

Trotz aller Her­aus­for­de­run­gen gibt es beein­dru­cken­de Bei­spie­le von Wider­stands­fä­hig­keit und Hoffnung.

  • Zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment: Loka­le Initia­ti­ven und Pro­jek­te set­zen sich aktiv für den Wie­der­auf­bau von Gemein­schaf­ten ein. Frau­en spie­len eine zen­tra­le Rol­le in Bil­dungs- und Gesund­heits­pro­jek­ten, die den Men­schen hel­fen, neue Per­spek­ti­ven zu ent­wi­ckeln. Ein Bei­spiel dafür ist eine Demons­tra­ti­on, die am 27. Dezem­ber 2024 haupt­säch­lich in Damas­kus und in den sozia­len Medi­en orga­ni­siert wur­de. Die Demons­trie­ren­den pro­tes­tier­ten gegen den Ver­such der der­zei­ti­gen Macht­ha­ber, syri­sche Schul­bü­cher zum Nach­teil von Frau­en und reli­giö­sen Min­der­hei­ten umzu­schrei­ben. Die­ser Pro­test war so stark, dass der bis­lang nicht legi­ti­mier­te Bil­dungs­mi­nis­ter gezwun­gen war, eine Rück­nah­me die­ser Plä­ne anzukündigen.
  • Soli­da­ri­tät inner­halb der Bevöl­ke­rung: Vie­le Men­schen orga­ni­sie­ren sich, um sich gegen­sei­tig zu unter­stüt­zen und das Leben in den zer­stör­ten Regio­nen schritt­wei­se zu ver­bes­sern. Ein Bei­spiel hier­für ist eine zivil­ge­sell­schaft­li­che Initia­ti­ve im mehr­heit­lich von Drus*innen bewohn­ten Ort Jara­ma­na, die einen Weih­nachts­baum auf­stell­te. Damit woll­ten sie ver­hin­dern, dass die christ­li­che Min­der­heit aus Angst vor Repres­sio­nen davon abge­hal­ten wird, Weih­nach­ten öffent­lich zu feiern.
  • Poli­ti­sie­rung: Im Gegen­satz zu den letz­ten Jahr­zehn­ten unter der Herr­schaft von Assad schrei­tet die Poli­ti­sie­rung der Bevöl­ke­rung wei­ter vor­an. Initia­ti­ven, Netz­wer­ke und Grup­pen kom­men zusam­men, füh­ren Gesprä­che und über­neh­men zuneh­mend staat­li­che Auf­ga­ben, etwa die Müll­ab­fuhr in den Städ­ten, die bis­lang von den neu­en Macht­ha­bern nicht orga­ni­siert wird. Zudem ent­ste­hen Initia­ti­ven, die sich für die Schaf­fung einer viel­fäl­ti­gen Par­tei­en­land­schaft ein­set­zen, die die Zukunft Syri­ens mit­ge­stal­ten soll. Die­se Initia­ti­ven machen Hoff­nung, dass die syri­sche Bevöl­ke­rung eine neue Dik­ta­tur nicht hin­neh­men wür­de und wei­ter­hin für ein frei­es und demo­kra­ti­sches Syri­en ein­tre­ten wird. Auf­grund ihrer Neu­for­mie­rung sind sol­che Grup­pen und Initia­ti­ven inter­na­tio­nal jedoch bis­lang weit­ge­hend unbe­kannt und erhal­ten noch kei­ne Unterstützung.

Die Debatte in Deutschland – ein Angriff auf die Menschlichkeit

Die deut­sche Debat­te über die Rück­kehr syri­scher Geflüch­te­ter ist nicht nur ver­früht, son­dern igno­riert fun­da­men­ta­le Grund­sät­ze von Schutz und Mensch­lich­keit. Beson­ders pro­ble­ma­tisch ist der Ver­such, den Schutz­sta­tus der Men­schen mit ihrer Erwerbs­tä­tig­keit zu ver­knüp­fen. Schutz ist kein Gna­den­akt, den man sich mit Arbeit ver­die­nen muss, son­dern ein unver­äu­ßer­li­ches Recht und eine völ­ker­recht­li­che Verpflichtung.

Politiker*innen, die die­se The­men ver­knüp­fen, täu­schen die Öffent­lich­keit und bedie­nen rechts­po­pu­lis­ti­sche Nar­ra­ti­ve. Die Debat­te über Rück­kehr oder gar Abschie­bun­gen nach Syri­en ver­kennt die anhal­tend fra­gi­le Lage vor Ort und erzeugt ein Kli­ma, das Geflüch­te­te unter Druck setzt und ihre Exis­tenz bedroht.

Zum jet­zi­gen Zeit­punkt ist eine Rück­kehr nach Syri­en kei­ne Opti­on. Die Lage vor Ort ist geprägt von Unsi­cher­heit und gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen. Gleich­zei­tig gibt es Hoff­nung durch die Arbeit der Zivil­ge­sell­schaft, die eine zen­tra­le Rol­le im Wie­der­auf­bau spielt. Die deut­sche Poli­tik muss sich ihrer Ver­ant­wor­tung bewusst blei­ben und Mensch­lich­keit sowie die Rech­te Geflüch­te­ter in den Mit­tel­punkt stel­len. Um eine dau­er­haf­te Sta­bi­li­tät im Land zu errei­chen, muss es für Geflüch­te­te aus Syri­en mög­lich sein, “Son­die­rungs­rei­sen” nach Syri­en zu unter­neh­men, ohne ihren Schutz­sta­tus zu verlieren.

Flüchtlingspolitische Forderungen von PRO ASYL

1. Ende der Rückkehrdebatten

Die Dis­kus­sio­nen über Rück­füh­run­gen und die Über­prü­fung des Schutz­sta­tus von Syrer*innen müs­sen been­det wer­den. Syri­en ist nach wie vor kein Land, in das Men­schen sicher zurück­keh­ren kön­nen. Die demo­kra­ti­schen Par­tei­en brau­chen viel­mehr eine kla­re Hal­tung zu unse­ren Mitbürger*innen mit Flucht­ge­schich­te: Wer hier lebt und die uni­ver­sel­len Wer­te, die auch in der deut­schen Gesell­schaft ver­an­kert sind, mit­trägt, ist Teil die­ses Landes.

Die demo­kra­ti­schen Par­tei­en brau­chen viel­mehr eine kla­re Hal­tung zu unse­ren Mitbürger*innen mit Flucht­ge­schich­te: Wer hier lebt und die uni­ver­sel­len Wer­te, die auch in der deut­schen Gesell­schaft ver­an­kert sind, mit­trägt, ist Teil die­ses Landes.

2. Sicher­heit für die syri­sche Com­mu­ni­ty – Schutz­sta­tus unab­hän­gig von Erwerbstätigkeit

Der Schutz­sta­tus darf nicht an eine Erwerbs­ar­beit gekop­pelt wer­den. Eine sol­che For­de­rung ist recht­lich unbe­grün­det. Dis­kus­sio­nen zur Über­prü­fung des Schutz­sta­tus schü­ren ledig­lich Ängs­te und set­zen die syri­sche Com­mu­ni­ty in Deutsch­land unter Druck. Statt­des­sen ist das Gegen­teil not­wen­dig: Die syri­sche Com­mu­ni­ty braucht eine siche­re Grund­la­ge in Deutsch­land, um sich aus dem Exil her­aus am Wie­der­auf­bau Syri­ens und an der För­de­rung von Demo­kra­tie dort betei­li­gen zu können.

3. Erleich­te­rung von Kurz­rei­sen in die Heimat

Syrer*innen in Deutsch­land soll­te es ermög­licht wer­den, nach Syri­en zu rei­sen, um Ange­hö­ri­ge zu besu­chen oder die Lage vor Ort sowie die Per­spek­ti­ve einer siche­ren und nach­hal­ti­gen Rück­kehr zu bewer­ten, ohne dabei ihren Schutz­sta­tus zu ver­lie­ren. Ein Vor­bild könn­te hier die Rege­lung der Tür­kei sein, die es Fami­li­en­mit­glie­dern erlaubt, trotz Schutz­sta­tus mehr­fach nach Syri­en zu rei­sen, um die Vor­aus­set­zun­gen für eine siche­re Rück­kehr für die gan­ze Fami­lie zu prüfen.

4. Unter­stüt­zung beim Demo­kra­tie­auf­bau und der Vergangenheitsbewältigung

Deutsch­land soll­te Syri­en aktiv bei der Auf­ar­bei­tung von Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und beim Auf­bau demo­kra­ti­scher Struk­tu­ren unter­stüt­zen. Die Bun­des­re­pu­blik kann mit Blick auf Syri­en einen wich­ti­gen Bei­trag zur Auf­ar­bei­tung und Doku­men­ta­ti­on von Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit leis­ten. Dies muss auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne erfol­gen, da die Ver­bre­chen nicht nur vom ehe­ma­li­gen syri­schen Dik­ta­tor und sei­nem Regime began­gen wur­den, son­dern auch von ande­ren Staa­ten wie Russ­land und dem ira­ni­schen Regime.

5. Aner­ken­nung der wei­ter­hin unsi­che­ren Lage

Asy­l­ent­schei­dun­gen für Antragsteller*innen aus Syri­en dür­fen nicht län­ger aus­ge­setzt wer­den. Ein Ein­frie­ren der Ver­fah­ren, wie es der­zeit geschieht, führt dazu, dass Men­schen mona­te­lang ohne jeg­li­che Per­spek­ti­ve in einem Asyl­ver­fah­ren fest­ste­cken und damit von Teil­ha­be in Deutsch­land aus­ge­schlos­sen wer­den. Syrer*innen im lau­fen­den Asyl­ver­fah­ren müs­sen wei­ter­hin Schutz erhal­ten, da die Lage in Syri­en kei­ne Sicher­heit bie­tet. Klar ist ledig­lich, dass das Land von vie­len bewaff­ne­ten Grup­pen beherrscht wird, die alle nach Macht streben.