12.07.2012
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Operation erfolgreich, Aufklärung vereitelt: Die NSU-Affäre aus der Perspektive des Verfassungsschutzes. Foto: flickr / dorema-wm

Durch eine kleine Gesetzesänderung drohen sämtliche Akteure der Zivilgesellschaft künftig auf die Gunst eines Geheimdienstes angewiesen zu sein – eines Geheimdienstes, der erst jüngst gezeigt hat, dass er den Namen „Verfassungsschutz“ nicht im Ansatz verdient.

Ob Natur­schutz­bund, Kul­tur­ver­ein, Hilfs­werk oder Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on –  so gut wie alle, die die deut­sche Zivil­ge­sell­schaft gestal­ten, sind dar­auf ange­wie­sen, als „gemein­nüt­zig“ aner­kannt zu sein. Nur so ist es ihnen mög­lich, ihre Arbeit zu finan­zie­ren. Wer­den ihnen die „Gemein­nüt­zig­keit“ und die damit ent­spre­chen­de Steu­er­ver­güns­ti­gun­gen ent­zo­gen, ste­hen sie finan­zi­ell vor dem Ruin.

Wer und was als „gemein­nüt­zig“ gel­ten darf, ent­schie­den bis­lang die Steu­er­be­hör­den auf der Grund­la­ge des § 52 der Abga­ben­ord­nung. Schon bis­her ent­hielt die­ser Para­graf auch einen Absatz, der das Urteil des Ver­fas­sungs­schut­zes mit in die Ent­schei­dung ein­be­zog: Bei Kör­per­schaf­ten, die in einem Ver­fas­sungs­schutz­be­richt als extre­mis­ti­sche Orga­ni­sa­ti­on auf­ge­führt sind, sei wider­leg­bar davon aus­zu­ge­hen, dass sie nicht als gemein­nüt­zig ein­zu­stu­fen sei­en, so Absatz 3 des Paragrafen.

Nun soll die­ser Absatz durch eine klei­ne Ände­rung emp­find­lich ver­schärft wer­den: Im Ent­wurf zum Jah­res­steu­er­ge­setz 2013 ist vor­ge­se­hen, dass in die­sem Absatz das Wort „wider­leg­bar“ gestri­chen wird. Die Fol­ge: Das Votum des Ver­fas­sungs­schut­zes, ein Ver­ein sei „extre­mis­tisch“, wür­de künf­tig bei den Finanz­äm­tern auto­ma­tisch dazu füh­ren, dass die­sem Ver­ein die Gemein­nüt­zig­keit ent­zo­gen wird.  Der Geheim­dienst könn­te damit fak­tisch über den Fort­be­stand und die Exis­tenz ein­zel­ner gemein­nüt­zi­ger Orga­ni­sa­tio­nen ent­schei­den. Denn bis sich ein Ver­ein vor Gericht gegen das Urteil des „VS“ weh­ren könn­te, wäre er auf­grund der lan­gen Ver­fah­rens­dau­er unter Umstän­den längst pleite.

Aus min­des­tens zwei Grün­den macht die­se geplan­te Geset­zes­än­de­rung fas­sungs­los. Ers­tens ist der Extre­mis­mus­be­griff, wie ihn der Ver­fas­sungs­schutz ver­wen­det, kein defi­nier­ter Rechts­be­griff. Das bestä­ti­gen meh­re­re Gut­ach­ten – unter ande­rem des Wis­sen­schaft­li­chen Diens­tes des Bun­des­ta­ges. Wer oder was als „extre­mis­tisch“ gilt, kann der Ver­fas­sungs­schutz daher nach eige­nem poli­ti­schen Gus­to entscheiden.

Zwei­tens geht es um einen Ver­fas­sungs­schutz, der die­sen Namen nicht ver­dient. Ange­sichts all des­sen, was im Zuge des NSU-Skan­dals über den „VS“ offen­bar wur­de, wäre unter­trie­ben zu behaup­ten, der Geheim­dienst hät­te bei der Auf­klä­rung der ras­sis­ti­schen Mord­se­rie ein­fach nur ver­sagt. Was bei der Unter­su­chung des Skan­dals durch par­la­men­ta­ri­sche Unter­su­chungs­aus­schüs­se auf Bun­des- und Lan­des­ebe­ne bis­her über das Agie­ren des Ver­fas­sungs­schut­zes ans Licht kam, ist mit den Prin­zi­pi­en eines demo­kra­ti­schen Rechts­staats kei­nes­falls zu vereinbaren.

Dass nun just die­ser Inlands­ge­heim­dienst künf­tig nach Belie­ben Orga­ni­sa­tio­nen der Zivil­ge­sell­schaft aus­schal­ten kön­nen soll, darf daher kei­nes­falls pas­sie­ren. Nach der Som­mer­pau­se wird die Geset­zes­än­de­rung im Bun­des­tag debat­tiert wer­den. In einem offe­nen Brief an alle Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten haben sich daher mehr als 30 Orga­ni­sa­tio­nen aus ver­schie­de­nen zivil­ge­sell­schaft­li­chen Berei­chen gegen die geplan­te Geset­zes­än­de­rung gewandt. PRO ASYL ist unter den Erstunterzeichnern.

Update: Ver­ei­ne sol­len nun doch nicht auto­ma­tisch die Gemein­nüt­zig­keit ver­lie­ren, wenn sie in Ver­fas­sungs­schutz­be­rich­ten auf­tau­chen. Die ent­spre­chen­de Ände­rung im  im Ent­wurf zum Jah­res­steu­er­ge­setz 2013 wur­de zurückgenommen.