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Soll der Geheimdienst über die Gemeinnützigkeit von Vereinen entscheiden?

Durch eine kleine Gesetzesänderung drohen sämtliche Akteure der Zivilgesellschaft künftig auf die Gunst eines Geheimdienstes angewiesen zu sein – eines Geheimdienstes, der erst jüngst gezeigt hat, dass er den Namen „Verfassungsschutz“ nicht im Ansatz verdient.
Ob Naturschutzbund, Kulturverein, Hilfswerk oder Menschenrechtsorganisation – so gut wie alle, die die deutsche Zivilgesellschaft gestalten, sind darauf angewiesen, als „gemeinnützig“ anerkannt zu sein. Nur so ist es ihnen möglich, ihre Arbeit zu finanzieren. Werden ihnen die „Gemeinnützigkeit“ und die damit entsprechende Steuervergünstigungen entzogen, stehen sie finanziell vor dem Ruin.
Wer und was als „gemeinnützig“ gelten darf, entschieden bislang die Steuerbehörden auf der Grundlage des § 52 der Abgabenordnung. Schon bisher enthielt dieser Paragraf auch einen Absatz, der das Urteil des Verfassungsschutzes mit in die Entscheidung einbezog: Bei Körperschaften, die in einem Verfassungsschutzbericht als extremistische Organisation aufgeführt sind, sei widerlegbar davon auszugehen, dass sie nicht als gemeinnützig einzustufen seien, so Absatz 3 des Paragrafen.
Nun soll dieser Absatz durch eine kleine Änderung empfindlich verschärft werden: Im Entwurf zum Jahressteuergesetz 2013 ist vorgesehen, dass in diesem Absatz das Wort „widerlegbar“ gestrichen wird. Die Folge: Das Votum des Verfassungsschutzes, ein Verein sei „extremistisch“, würde künftig bei den Finanzämtern automatisch dazu führen, dass diesem Verein die Gemeinnützigkeit entzogen wird. Der Geheimdienst könnte damit faktisch über den Fortbestand und die Existenz einzelner gemeinnütziger Organisationen entscheiden. Denn bis sich ein Verein vor Gericht gegen das Urteil des „VS“ wehren könnte, wäre er aufgrund der langen Verfahrensdauer unter Umständen längst pleite.
Aus mindestens zwei Gründen macht diese geplante Gesetzesänderung fassungslos. Erstens ist der Extremismusbegriff, wie ihn der Verfassungsschutz verwendet, kein definierter Rechtsbegriff. Das bestätigen mehrere Gutachten – unter anderem des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Wer oder was als „extremistisch“ gilt, kann der Verfassungsschutz daher nach eigenem politischen Gusto entscheiden.
Zweitens geht es um einen Verfassungsschutz, der diesen Namen nicht verdient. Angesichts all dessen, was im Zuge des NSU-Skandals über den „VS“ offenbar wurde, wäre untertrieben zu behaupten, der Geheimdienst hätte bei der Aufklärung der rassistischen Mordserie einfach nur versagt. Was bei der Untersuchung des Skandals durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse auf Bundes- und Landesebene bisher über das Agieren des Verfassungsschutzes ans Licht kam, ist mit den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats keinesfalls zu vereinbaren.
Dass nun just dieser Inlandsgeheimdienst künftig nach Belieben Organisationen der Zivilgesellschaft ausschalten können soll, darf daher keinesfalls passieren. Nach der Sommerpause wird die Gesetzesänderung im Bundestag debattiert werden. In einem offenen Brief an alle Bundestagsabgeordneten haben sich daher mehr als 30 Organisationen aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Bereichen gegen die geplante Gesetzesänderung gewandt. PRO ASYL ist unter den Erstunterzeichnern.
Update: Vereine sollen nun doch nicht automatisch die Gemeinnützigkeit verlieren, wenn sie in Verfassungsschutzberichten auftauchen. Die entsprechende Änderung im im Entwurf zum Jahressteuergesetz 2013 wurde zurückgenommen.