30.10.2014
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Die Polizei bereit in Berlin eine erneute Räumung von Flüchtlinge aus der ehemaligen Schule in der Ohlauer-Straße vor. Foto: twitter / @ollitsch09

Die besetzte Gerhardt-Hauptmann-Schule in Kreuzberg soll geräumt werden, 344 Flüchtlinge müssen Berlin verlassen. Doch während die Stadt ihren Wortbruch gegenüber den Protestierenden fortsetzt, nehmen diese einen neuen Anlauf: Mitte November findet die nächste Flüchtlingskonferenz in Berlin statt.

„Nach den gan­zen Repres­sio­nen am Ora­ni­en­platz und in der Schu­le, müs­sen wir sehen, wie wir unse­ren poli­ti­schen Kampf vor­an brin­gen“, sagt Patras Bwan­si, Ora­ni­en­platz-Akti­vist der ers­ten Stun­de. Nach den andau­ern­den Wort­brü­chen durch den Senat hät­ten vie­le Flücht­lin­ge ver­stan­den, dass sie den Poli­ti­kern nicht trau­en könn­ten. „Vie­le Grup­pen haben sich jetzt poli­ti­siert. Das ist gut für uns. Jetzt geht es dar­um, uns zu koor­di­nie­ren, die Soli­da­ri­tät zu stär­ken, und eine gemein­sa­me Stra­te­gie zu entwickeln“.

Fast sah es so aus, als habe die Stadt Ber­lin ihre Flücht­lings­pro­test­be­we­gung zer­schla­gen: Nach zwei­jäh­ri­gem Pro­test, Beset­zun­gen und Hun­ger­streiks war den Flücht­lin­gen im April in dem sog­nann­ten  „Ora­ni­en­platz-Agree­ment“ eine Ein­zel­fall­prü­fung, Unter­brin­gung und Ver­sor­gung zuge­si­chert wor­den. Doch die Stadt hielt nicht Wort, im Gegen­teil: Nach der Räu­mung des Camps waren die Flücht­lin­ge in Unter­künf­te in ver­schie­de­nen Stadt­vier­teln ver­sprengt wor­den. Von hier aus wur­den sie nach und nach obdach­los und mit­tel­los auf die Stra­ße gesetzt. Die ers­ten  – mehr als 100 Men­schen – am 26. August,  wei­te­re 99 Men­schen, dar­un­ter schwer kran­ke, am 23. Okto­ber.

Inzwi­schen haben die Behör­den bei 344 der ins­ge­samt 553 Per­so­nen aus dem „Ora­ni­en­platz-Agree­ment“ ent­schie­den, dass sie Ber­lin ver­las­sen müs­sen. Eini­ge sind nach Ita­li­en oder in die ihnen zuge­wie­se­nen Bun­des­län­der zurück­ge­kehrt. Auch für die rund 45 Men­schen in der besetz­ten Ger­hardt-Haupt­mann-Schu­le sieht es nicht gut aus: Der Bezirk Kreuz­berg ist von sei­ner Zusa­ge der Umwand­lung in ein selbst-ver­wal­te­tes Refu­geezen­trum abge­wi­chen. Nach dem Wil­len der Bezirks­re­gie­rung müs­sen die Flücht­lin­ge die Schu­le bis mor­gen ver­las­sen, andern­falls droht die Räu­mung durch die Poli­zei.

Über die Zukunft der Flücht­lin­ge wagt Nora Brez­ger vom Ber­li­ner Flücht­lings­rat nicht, zu spe­ku­lie­ren: „Was wir sicher wis­sen, ist, dass die Leu­te, die jetzt aus­zie­hen muss­ten, nicht in Abschie­bungs­haft gekom­men sind.“ Die Men­schen wür­den mit ihren Aus­wei­sun­gen auf die Stra­ße gesetzt, nach wie vor nicht ver­sorgt. „Die Leu­te sind ja in der genau glei­chen Situa­ti­on jetzt wie zu Beginn ihrer Pro­tes­te. Nur schlech­ter gestellt, weil es die Pro­test­platt­form Ora­ni­en­platz nicht mehr gibt, und weil sie nament­lich in Ber­lin regis­triert sind“, sagt Brezger. 

Seit dem Weg­fall des Camps als Pro­test­platt­form sieht sie die Soli­da­ri­tät für die Flücht­lin­ge als nach wie vor gege­ben: Vie­le Pri­vat­per­so­nen, Kir­chen­ge­mein­den, Haus­ge­mein­schaf­ten und zum Bei­spiel auch das Grips Thea­ter bie­ten den vom Senat auf die Stra­ße gesetz­ten Flücht­lin­gen Obdach. Weni­ger gewor­den sei die Soli­da­ri­tät auf öffent­li­cher Ebe­ne: „Das war anders, als es den Ora­ni­en­platz noch gab.“ Der­zeit unter­hal­ten die Refu­gees dort den täg­lich geöff­ne­ten Info-Con­tai­ner und einen Pavil­lon. Sonn­tag­nach­mit­tags wird laut Patras Bwan­si im Refu­gee-Café debat­tiert: „Wir blei­ben, und wir set­zen unse­ren Kampf am Ora­ni­en­platz fort.“

Die Räu­mung des Camps im April hat ihre Spu­ren hin­ter­las­sen: Ein Teil der Flücht­lin­ge war gewillt, den Ver­spre­chun­gen des Senats zu glau­ben, und frei­wil­lig zu räu­men. Sie wur­den bit­ter ent­täuscht. Ein ande­rer Teil war strikt dage­gen. Zu ihnen gehört Patras Bwan­si, der jetzt ver­su­chen will, die zer­split­ter­te Bewe­gung wie­der zu einen – mit der Flücht­lings­kon­fe­renz im Novem­ber als ers­tem Schritt. Bwan­si gehört zu den Urhe­bern der Pro­test­be­we­gung, unter deren For­de­run­gen ein Blei­be­recht, die die Abschaf­fung der Lager und der Resi­denz­pflicht sind: „Wir sind von Würz­burg nach Ber­lin mar­schiert. Wir haben das Zelt auf dem Ora­ni­en­platz errich­tet, und damit Wider­stand gegen die inhu­ma­nen Geset­ze geleis­tet. Die deut­sche Regie­rung hat unse­re For­de­run­gen kom­plett ignoriert.“

Das inzwi­schen als unver­bind­lich erklär­te „Eini­gungs­pa­pier“ betrach­te­te Bwan­si von Anfang an als Räu­mungs­stra­te­gie für den Ora­ni­en­platz: „Wenn sie eine Lösung hät­ten fin­den wol­len, hät­ten sie dies getan, bevor sie räu­men.  Wütend über die lee­ren Ver­spre­chun­gen äußert sich auch Ahmed, ein Nige­ria­ner aus der Grup­pe „Afri­can Youth Move­ment“. Über die deut­sche Flücht­lings­po­li­tik will er nicht län­ger dis­ku­tie­ren – viel­mehr über Deutsch­lands Rol­le bei der Aus­beu­tung der afri­ka­ni­schen Län­der: „Kein Deut­scher wird in Afri­ka behan­delt wie wir hier. Unser Geld ist will­kom­men, unse­re Bür­ger nicht. Wir sind gegen die euro­päi­sche Poli­tik, gegen die euro­päi­sche Indus­trie in Afrika“.

Soll­te die Ger­hard-Haupt­mann-Schu­le in der Ohlau­er Stra­ße tat­säch­lich geräumt wer­den, ist das für Ahmed nicht das Ende der Bewe­gung: „Danach wird etwas kom­men. Der Pro­test gegen die Euro­pä­er wird sich inter­na­tio­na­li­sie­ren. Wenn sie Afri­ka zer­stö­ren, wer­den wir uns dage­gen weh­ren.” Die dro­hen­de Räu­mung der Schu­le ist auch für Bwan­si kei­ne Nie­der­la­ge. Er gehör­te zu den Beset­zern, es wird ihm aber seit der ers­ten Räu­mungs­ak­ti­on der Zutritt ver­wehrt. „Ich per­sön­lich wür­de mich nicht auf das Gebäu­de kon­zen­trie­ren, son­dern die Chan­ce nut­zen, um ein Blei­be­recht zu for­dern und dar­auf, dass der Senat sich an die Ver­ein­ba­run­gen hält.“