29.08.2014
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Foto: flickr / Björn Kietzmann

Mehr als neun Jahre nachdem Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, sind die Todesumstände weiterhin ungeklärt. Eine Folge ungeheuerlicher Ermittlungsschlampereien und mangelnden Aufklärungswillens.

Am 7. Janu­ar 2005 ver­brann­te der aus Sier­ra Leo­ne stam­men­de 36-Jäh­ri­ge Oury Jal­loh in einer Gewahr­sams­zel­le des Des­sau­er Poli­zei­re­viers – an Hän­den und Füßen gefes­selt und auf einer feu­er­fest umhüll­ten Matrat­ze lie­gend. Mehr als neun Jah­re spä­ter sind die Todes­um­stän­de wei­ter­hin unge­klärt, eine Fol­ge unge­heu­er­li­cher Ermitt­lungs­schlam­pe­rei­en, man­geln­den Auf­klä­rungs­wil­lens und einer frü­hen Fest­le­gung auf ein ein­zi­ges Sze­na­rio: Jal­loh habe sich in der Zel­le selbst ange­zün­det. Die Initia­ti­ve „In Geden­ken an Oury Jal­loh“ und die Opfer­an­wäl­te wer­fen Sach­sen-Anhalts Jus­tiz vor, dass die Auf­klä­rung von Anfang an dadurch behin­dert wur­de, dass Indi­zi­en nicht nach­ge­gan­gen wur­de und kei­ne Bereit­schaft bestand „das Undenk­ba­re zu den­ken“, das heißt: ein Tötungs­ver­bre­chen in der Poli­zei­zel­le als Sze­na­rio zu untersuchen. 

Erst bei einer von der Initia­ti­ve finan­zier­ten zusätz­li­chen Obduk­ti­on in der Gerichts­me­di­zin in Frank­furt am Main fan­den sich Schä­del­frak­tu­ren beim Opfer. In Jal­lohs Urin fan­den sich kei­ne Stress­hor­mo­ne sowie kaum Ruß in der Lun­ge. Dies leg­te nahe, dass Jal­loh beim Aus­bruch des Bran­des mög­li­cher­wei­se bewusst­los gewe­sen sein könnte. 

Was die Jus­tiz ver­säum­te, brach­te die uner­müd­li­che Initia­ti­ve aus eige­ner Kraft und mit Spen­den­mit­teln zustan­de. Im Novem­ber 2013 wur­de ein selbst­fi­nan­zier­tes Brand­gut­ach­ten der Öffent­lich­keit vor­ge­stellt. Es legt nahe, dass die weit­ge­hen­de Ver­bren­nung von Oury Jal­lohs Lei­che inner­halb von etwa 20 Minu­ten ohne den Ein­satz einer beträcht­li­chen Men­ge Brand­be­schleu­ni­ger nicht erklär­bar ist. Der beauf­trag­te Sach­ver­stän­di­ge führ­te eine gan­ze Rei­he von Brand­ver­su­chen mit Schwei­ne­ka­da­vern durch. Nur unter Ver­wen­dung von meh­re­ren Litern Ben­zin konn­te ein Ergeb­nis erzielt wer­den, dass der Auf­fin­dungs­si­tua­ti­on in der Des­sau­er Poli­zei­zel­le glich. Damit ist die von der Jus­tiz seit jeher ver­tre­te­ne Theo­rie, Jal­loh habe sich mit einem Feu­er­zeug, das man über­se­hen habe, selbst ange­zün­det, kaum zu hal­ten. Wie aber kommt Brand­be­schleu­ni­ger liter­wei­se in eine Poli­zei­zel­le? Der Ver­dacht auf ein Tötungs­ver­bre­chen drängt sich spä­tes­tens jetzt auf. 

Im Novem­ber hat­te die Initia­ti­ve auch Straf­an­zei­ge gegen Unbe­kannt beim Gene­ral­bun­des­an­walt in Karls­ru­he gestellt – wegen Mor­des. Ver­ur­teilt wur­de bis­her im Dezem­ber 2012 ledig­lich der Des­sau­er Dienst­grup­pen­lei­ter: Zu einer Geld­stra­fe von 10.800 Euro wegen fahr­läs­si­ger Tötung. Im Zen­trum des Urteils steht der Vor­wurf, er habe dem Gefan­ge­nen nicht schnell genug gehol­fen. Revi­si­on dage­gen hat­ten die Staats­an­walt­schaft, die Neben­kla­ge (die Ver­tre­ter der Hin­ter­blie­be­nen) und die Ver­tei­di­gung ein­ge­legt. Auch ein drit­ter Pro­zess wür­de bei einem Behar­ren auf der Selbst­an­zün­dungs­theo­rie wohl kaum mehr brin­gen als eine mög­li­che Ver­ur­tei­lung des Dienst­grup­pen­lei­ters auch wegen Frei­heits­be­rau­bung mit Todes­fol­ge. Denn Oury Jal­loh soll zu Unrecht fest­ge­hal­ten wor­den sein, ohne dass, wie das Recht es ver­langt, eine rich­ter­li­che Ent­schei­dung ein­ge­holt wurde. 

Staats­ge­fähr­den­de Blind­heit und Aufklärungsverhinderung

Nach Bekannt­wer­den des Brand­gut­ach­tens bestand Hoff­nung auf wei­te­re Auf­klä­rung. Doch der ein­ge­schal­te­te Gene­ral­bun­des­an­walt teil­te mit, man sei nicht berech­tigt, das Ver­fah­ren an sich zu zie­hen. Die Zustän­dig­keit der Bun­des­län­der bestehe auch im Fal­le von Mord oder schwe­rer Brand­stif­tung. Ande­res gel­te nur, wenn die Sicher­heit des Staa­tes beein­träch­tigt sei. Im Lich­te des NSU-Pro­zes­ses, zu dem sich Par­al­le­len erge­ben – staats­ge­fähr­den­de Blind­heit und Igno­ranz gegen­über Sze­na­ri­en, die nicht ins (Selbst-)bild pas­sen – hät­te man das auch anders sehen können. 

Hat­te die obe­re Ermitt­lungs­be­hör­de sich noch im Dezem­ber 2013 kri­tisch zur Beweis­wür­di­gung im Urteil des Land­ge­richts Mag­de­burg geäu­ßert, so reih­te man sich am 11. Febru­ar 2014 wie­der in die Front der Auf­klä­rungs­ver­hin­de­rer ein. In einem Schrei­ben wur­de mit­ge­teilt, das Brand­gut­ach­ten fin­de man „nicht beweis­kräf­tig“. Vie­les sei heu­te nicht mehr nach­voll­zieh­bar – was als Ergeb­nis lang­jäh­ri­gen Ermitt­lungs­ver­sa­gens wirk­lich auf der Hand liegt. Die gerüg­ten Ermitt­lungs­ver­säum­nis­se, dar­un­ter gelösch­te Jour­nal­ein­trä­ge bei der Poli­zei, ver­nich­te­te Fahr­ten­bü­cher, ein Tat­ort­vi­deo, auf dem Wich­ti­ges fehlt, eine ver­schwun­de­ne Fes­sel, die ver­spä­te­te Auf­fin­dung eines Feu­er­zeugs und sei­ne Auf­nah­me in die Asser­va­ten­lis­te, lie­ßen „kei­ne Absicht ver­mu­ten“. Der Brand­schutt sei auf Brand­be­schleu­ni­ger hin unter­sucht wor­den und man habe nichts fin­den kön­nen. Das aller­dings hör­te man im vor­an­ge­gan­ge­nen Pro­zess in Mag­de­burg ganz anders. 

Noch wäh­rend der NSU-Pro­zess offen­legt, wie sehr die Sicht­wei­se der Ermitt­ler in den Mord­fäl­len von selek­ti­ver Wahr­neh­mung und Ras­sis­mus geprägt waren, sind Ermitt­lungs­be­hör­den und Jus­tiz im Des­sau­er Fall  nicht bereit, ihren Blick zu schär­fen. Demons­tra­tio­nen gegen die­se Zumu­tun­gen wer­den eben­so wei­ter­ge­hen wie wei­te­re Auf­klä­rungs­be­mü­hun­gen. Zu Beginn des kom­men­den Jah­res wird sich der Todes­tag Oury Jal­lohs zum 10. Mal jähren. 

 

Bernd Meso­vic